| # taz.de -- Autorin über weibliche Lebensrealität: „Instagram macht alles s… | |
| > Paula Irmschler liest viermal im Norden aus ihrem Roman „Superbusen“. Ein | |
| > Gespräch über Chemnitz, Antifa und Körperbilder. | |
| Bild: Hofft auf ehrlich gemeinte Solidarität unter Frauen: Die Autorin Paula I… | |
| taz: Frau Irmschler, Ihr [1][Roman] heißt „Superbusen“. Das lässt bestimmt | |
| viele aufhorchen. | |
| Paula Irmschler: Ich habe sogar gedacht, dass der Titel mehr Leute | |
| aufhorchen lässt. Auch der Verlag hatte Sorge, dass der Titel zu trashig | |
| ist. Aber irgendwie hat sich niemand groß dran gestört. Es war klar, dass | |
| es um das lustige Wort geht und um die Band im Roman, die „Superbusen“ | |
| heißt. Ein bisschen in der Punk-Tradition von komischen Bandnamen. Um Busen | |
| geht’s gar nicht. Ich glaube, es werden nicht mal groß Brüste erwähnt. | |
| Die Protagonistin Gisela studiert wie Sie in Chemnitz, geht auf linke Demos | |
| und gründet mit Freundinnen die besagte Band. Wie autobiografisch ist | |
| Giselas Geschichte? | |
| Der Roman ist collagenhaft. Es sind viele Anekdoten von mir in der | |
| Geschichte. In Gisela sind Persönlichkeitsanteile von mir drin, aber auch | |
| in den anderen Figuren. Die Geschichte und die Figuren sind schnipselartig | |
| aus einem Riesenpulk an Anekdoten und Charaktereigenschaften entstanden. | |
| Ich habe viel umgeschrieben, weil am Anfang alles viel autobiografischer | |
| war. Die anderen Protagonist:innen neben Gisela waren stark an | |
| Freund:innen angelehnt, aber ich wollte nicht, dass sich jemand richtig | |
| wiedererkennt. Und ich selbst wollte auch nicht hundertprozentig | |
| wiedererkannt werden. | |
| Im Roman wirkt Chemnitz ambivalent. Einerseits wie ein Ort, den man | |
| schnellstmöglich verlassen möchte. Andererseits wie ein Ort voller guter | |
| Freund:innen. Wie ist Ihr Gefühl dazu heute? | |
| Es ist wie mein Zuhause, wo ich hinfahre. Andere fahren dahin, wo sie | |
| aufgewachsen sind. Das wäre bei mir Dresden, da fahre ich nicht so gern | |
| hin. In Chemnitz habe ich schon Weihnachten verbracht und meistens machen | |
| wir Silvester da. Das hätte ich gar nicht gedacht. Es gab mal eine Zeit, da | |
| hat es sich angefühlt, als würden alle wegziehen und dann sind doch einige | |
| dageblieben. Das finde ich richtig schön. In Chemnitz ging es mir, wie | |
| Gisela, nicht so gut. Jetzt, wo es mir besser geht, nehme ich viel mehr | |
| wahr. Die Kultur, die in Chemnitz abgeht. Wahrscheinlich auch, weil ich | |
| wieder wegfahre. Ich gehe mit einem viel offeneren Blick da lang. | |
| Wann waren Sie zuletzt in Chemnitz? | |
| Vor zwei Wochen habe ich in Chemnitz gelesen. Zum ersten Mal. Das war | |
| überraschend entspannt, nicht überemotional. Ich wollte nicht diese eine | |
| Chemnitz-Lesung, zu der alle da sind. Das hätte ich emotional, glaube ich, | |
| nicht verkraftet. | |
| Gisela ist wie Sie in der Antifa. In Chemnitz prallen Rechts und Links | |
| stärker aufeinander als anderswo. | |
| Auf jeden Fall. Seit ich in Köln wohne, merke ich, wie andersrum alles ist. | |
| Wenn hier irgendwo ein AfD-Stand ist, ist das für linke Leute ein Skandal. | |
| Man erzählt sich von dem einen Rechten, der da und da wohnt. In Leipzig, | |
| Chemnitz, Dresden muss ich nur aus dem Zug steigen und sehe fünf. Sie sind | |
| definitiv sichtbarer und radikaler. Im Westen gibt’s Rechte, Faschos, | |
| Konservative, aber sie treten gemäßigter auf. In Sachsen gibt’s die volle | |
| Pulle. | |
| Wie erklären Sie sich das? | |
| In der DDR wurde das Problem weggewischt. Da konnten sich rechte Strukturen | |
| ausbauen und vernetzen. Im Westen sind die menschenverachtenden | |
| Einstellungen überall ein bisschen da. Im Osten musste man das verstecken | |
| und dadurch wurde es radikaler und Rechte konnten sich ganze Dörfer zu | |
| eigen machen. Es gibt mannigfaltige Erklärungen dafür. Der Opfergestus der | |
| Ossis ist auch tief verwurzelt. Das führt dazu, dass man nicht so gerne | |
| guckt, was bei einem selbst los ist, sondern nach drüben schielt. | |
| In Ihrem Roman spielen neben politischen Themen auch Schönheits- und | |
| Körperideale eine Rolle. | |
| Ja, ich finde zum Beispiel Instagram richtig scheiße. Ich weiß natürlich, | |
| dass Instagram nicht die einzige Schuld trägt. Seit ich die App nicht mehr | |
| auf dem Handy habe, merke ich, wie viel besser es mir geht, weil ich mir | |
| nicht mehr diese komischen übersexualisierten, vermeintlichen | |
| Body-Empowerment-Posts angucken muss. Die führen überhaupt nicht zu | |
| Empowerment. Die verkomplizieren alles und machen es viel schlimmer. In den | |
| social networks kann man es sich ganz gemütlich einrichten, wenn man die | |
| Algorithmen raus hat. Aber sonst ist das alles ziemlich ätzend und wir | |
| machen trotzdem alle mit. | |
| Die Protagonistin Gisela ist dick und hadert mit ihrem Körper. Sie will | |
| nicht auf die Bühne. Können Sie sich damit identifizieren? | |
| Ja, das habe ich selbst total. Ich wollte auch nie auf der Bühne lesen. Das | |
| ist etwas, das Gisela von mir hat. Ich finde es nach wie vor schwierig, | |
| aber es gehört dazu und manchmal macht es natürlich auch Spaß. Gisela ist | |
| deswegen nie in der Band. Ich wollte nicht die Geschichte erzählen, dass | |
| man sich irgendwann überwinden muss und dann ist alles gut. Manche Leute | |
| werden einfach nicht auf die Bühne wollen. So beschissen das ist. Ich | |
| glaube es ist vielen nicht klar, dass es für Leute, die nicht den Normen | |
| entsprechen, eine große Anstrengung ist, sich ins Rampenlicht zu stellen. | |
| Was wünschen Sie sich in dieser Hinsicht? | |
| Vor allem, dass darüber geredet wird. Wir haben in den letzten Jahren viel | |
| über Männlichkeit, Patriarchat und Men are Trash gesprochen, was wichtig | |
| war. Aber ich würde mir wünschen, dass weiblich sozialisierte Menschen auch | |
| bei sich gucken. Und schauen, was sie in sich drin haben und auf andere | |
| projizieren und was wir uns auch gegenseitig antun. Natürlich immer in dem | |
| Wissen, dass das mit dem Patriarchat zusammenhängt. Ich fände es cool, wenn | |
| wir selbstkritisch sind und zu einer ehrlich gemeinten Solidarität kommen. | |
| Und damit raus aus der Konkurrenz. | |
| Der Literaturbetrieb ist, wie viele andere Bereiche, von männlichen | |
| Perspektiven geprägt. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? | |
| Bei manchen Kritiken habe ich gemerkt, dass sie aus einem sehr männlichen | |
| Blick geschrieben sind. Dieses: Das geht mich nichts an, weil in | |
| „Superbusen“ alles Frauenthemen sind. Man könnte das auch umdrehen: Wir | |
| Frauen lesen seit Jahrtausenden Bücher, die uns „nichts angehen“. Ich finde | |
| negative Kritik vollkommen okay. Die meiste negative Kritik habe sowieso | |
| ich selbst. | |
| Die „Das geht mich nichts an“-Kritik bezieht sich auf Ihren Roman im | |
| Gesamten? | |
| Ja. Was für eine Lebensrealität soll das sein, die da beschrieben wird? Es | |
| ist nicht die eines Mannes, also ist sie nicht so interessant und nicht | |
| allgemeingültig. Oft kommt auch, dass der Roman zu banal sei. Ja, finde ich | |
| auch, aber ausgerechnet du, der das schreibt, hast schon viele banale | |
| Bücher von Männern durchgewunken. Missgunst war auch viel dabei. Im | |
| Vergleich zum positiven Feedback, das hauptsächlich von Frauen kommt, war | |
| das Negative aber sehr wenig. | |
| Welche Frage nach einer Lesung ist Ihnen in Erinnerung geblieben? | |
| Einer hat mal beim Signieren gefragt, ob er die Nummer meiner Moderatorin | |
| haben kann. Da habe ich dann die 110 reingeschrieben. | |
| Die 110! Auch in „Superbusen“ verhandeln Sie schwierige Gefühle mit einem | |
| lockeren, manchmal rotzigen Humor. | |
| Es ist die einzige Art wie ich schreiben kann. Ich habe gerade mit dem | |
| zweiten Buch angefangen. Und ich habe versucht ernster zu schreiben, aber | |
| es gelingt mir nicht so gut. Es kommt doch immer etwas Flapsiges, | |
| Ironisches. Ich glaube, weil das die Art ist wie ich denke und meinen Tag | |
| verbringe. Wie ich mich unterhalte und Sachen sehe. Ich finde | |
| Beschissenheit und Ironie gehören zusammen. Ich kann das nicht trennen. | |
| 19 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Carla Geiger | |
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