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# taz.de -- Autorin über Haarwuchs: „Haare sind ein Schmuck“
> Im Zuge der Ausstellung „Die Picasso-Connection“ rüttelt die Kunsthalle
> Bremen an der Enthaarungs-Ideologie. Das ist zu begrüßen, sagt Margitta
> Staib.
Bild: Achselhaare gelten als Männersache: Weiblicher Mann auf der Londoner Fas…
taz: Frau Staib, kaum ein anderes äußeres Zeichen der Menschen wird so sehr
und immer neu für die Bestimmung der Zugehörigkeit und Abgrenzung von
Weiblichkeit und Männlichkeit genutzt wie die Haare. Ob sie sich an gerade
angesagten Körperstellen im Tageslicht lustvoll kräuseln oder an gerade
nicht angesagten Stellen in ihrer Existenz genichtet werden, sie sind stets
aufgeladen mit Bedeutung, stehen für Stärke oder Schönheit. Nicht nur in
Zeiten der Hexenverfolgung war es eine bei Männern beliebte
Demütigungspraxis für Frauen, ihr mit dem Abschneiden der Haare die
Zauberkraft, Verführungsmacht zu entziehen. Sind Haare Fetischobjekte?
Margitta Staib: Haare sind einfach ein Schmuck, den wir alle haben, und der
ist so unterschiedlich, wie wir alle unterschiedlich sind. Aber man
versucht die Menschen immer in eine Schublade zu pressen, was das
Schönheitsideal betrifft. So hat jede Zeit ihre Haartrachten.
Wer manipuliert da?
Gerade die Kosmetikindustrie, Parfümerien, Drogerien, sogenannte
Schönheitsinstitute verdienen an der heute herrschenden
Haarentfernungsideologie, aber auch die Medizin. Für junge Leute ist es ja
ganz selbstverständlich, sich ständig von der Nasenspitze bis zum Fuß zu
enthaaren. Dieses gängige Schönheitsideal stark infrage gestellt habe ich
schon 1991 in meinem Buch „Die enthaarte Frau“ …
… ein Manifest für die behaarte Frau …
… wenn Sie so wollen, ja. Jedenfalls stellte ich im Rahmen der zehnjährigen
Recherche fest, anhand der Werbeslogans für Enthaarungsmittel kann man das
Thema eigentlich bis heute gut aufarbeiten. Schon in den 1950er-Jahren hat
Pilca, eine der größten Enthaarungsfirmen bis heute, das Bild einer Frau im
dunklen Kleid veröffentlicht, nur der Unterschenkel war frei und darauf
stand: „Glatt sei das Bein.“ Auch warb das Unternehmen für ihre Chemikalien
mit dem Satz: „Damit kein Haar ihre Schönheit trübt.“ Mit den 60er-Jahren
folgte die Propaganda für die „glatte Achsel“ und „hübsche nackte Arme�…
1973 behauptete Pilca, Haare seien bei einem Mann schön, bei Frauen störten
sie. Nur im Intimbereich ließen sie sie, abgesehen vom Haupthaar, vorerst
noch stehen.
Ihre letzte Bastion, wenn auch stylish zurechtgeschnippelt, zum Rechteck
gestutzt oder nur als dünne Linie präsent.
Aber wir wurden ja immer freizügiger, durften immer mehr vom Körper zeigen
und so wurde es zunehmend modisch, ihn komplett haarlos zu präsentieren …
… geradezu eine verbindliche Ästhetik für individuelle Attraktivität?
Ja, wenn man die Leute fragt, warum rasierst du dich, dann bekommt man die
Aussagen der Werbung zur Antwort, also: „Das sieht doch sonst nicht schön
aus, das ist doch sonst unweiblich.“ Irgendwie hat die Enthaarungswerbung
dann auch Männer erreicht, obwohl Behaarung immer Männlichkeit
symbolisierte.
Brust-, Bein-, Schamhaarrasur bei Männern, auch die Kopfhaare werden bei
ihnen kürzer, der Undercut wird immer höher gezogen. Alles lästig bis
schmerzhaft.
Es ist Zeit, die gesellschaftlichen Normen dahinter mal wieder zu befragen.
Dabei könnte auch der aktuelle Aufruf der Kunsthalle helfen, den ich
unterstütze.
Als PR-Aktion für die Ausstellung „Die Picasso-Connection“, die am 21.
November öffnen sollte, deren Besuch lockdownbedingt aber bisher verboten
ist, bittet die Kunsthalle derzeit, „Fotos von Körperbehaarung in all ihren
Facetten und damit verbundene Erinnerungen oder Erfahrungen“ einzureichen.
Sind doch auch in Picassos Bildern vielfach Haare an Körperstellen zu
sehen, wo das aktuelle Schönheitsideal Haarfreiheit fordert. Der Rücklauf
zu dem Aufruf sei bisher überwältigend groß, heißt es. Hegen und pflegen
also doch noch viele Menschen ihr haariges Kraut oder ist genau das allein
schon aus hygienischen Gründen abzulehnen, da sich Parasiten oder anderes
Ungeziefer in den Haaren einnisten könnten?
Das stimmt ja nicht. Haare haben eine Schutzfunktion.
Aber die Evolution und diverse Kulturleistungen haben es ja möglich
gemacht, uns anderweitig vor Kälte und Verletzungen zu schützen.
Aber Achselhaare regeln mit die Körpertemperatur und helfen, den Schweiß
und damit auch Giftstoffe des Körpers wegzutransportieren von der Haut. Was
passiert, wenn ich meine Achselhaare nun chronisch entferne? Schamhaare,
kennen Sie so was noch?
Na klar, ich trage meinen genitalen Wildwuchs seit jeher undressiert, er
vermindert und schützt die Geschlechtsorgane.
Prima, dann wissen Sie ja, dass Schamhaare auch etwas sehr Erotisches haben
…
… dieses Stöbern durch urig gewachsene Naturkrause, die an den Fingerkuppen
kitzelt und die Empfindlichkeit der Haut verstärkt, weswegen
Streicheleinheiten auf behaarten erogenen Zonen besonders erregend wirken.
Um die Erfahrung bringen sich die untenrum Haarlosen. Aber oben tragen
Männer dafür gern stolz einen Bart.
Frauen eher selten. Ich aber bin eine Bartfrau.
Was haben sie diesbezüglich erlebt?
Es gibt Männer, die starken Bartwuchs haben, und Männer, die darunter
leiden, keinen Bartwuchs zu haben. Aber niemand spricht einen Mann dumm an,
wenn er ohne oder mit üppigem Rauschebart durch die Welt läuft. Bei einer
Frau ist das anders. Als ich erstmals einer Frau mit Bart begegnete, war
ich so verblüfft, weil es in meinem Geist gar nicht die Möglichkeit gab,
dass man das tragen darf. Vorsichtigen Schätzungen zufolge hat ein Viertel
aller Frauen Bartwuchs. Aber das ist ja ein Tabu. War es auch für mich. Ich
habe dann auch seit der Pubertät akribisch darauf geachtet, dass niemand,
aber auch wirklich niemand das bei mir mitkriegt.
Als es zu sprießen begann, haben Sie sofort mit dem Rasieren begonnen?
Nein, beim Rasieren sieht man anschließend noch die Stoppeln, Frauen mit
Bartwuchs wollen unerkannt bleiben und wählen dafür teilweise brutale
Methoden, reißen Haare mit Heißwachs raus, lasern, epilieren mit
Elektroschocks. Ich habe gezupft mit einer Pinzette.
Jedes einzelne Haar?
Ja, keine freudige Arbeit war das, aber damals einfach selbstverständlich.
Wenn ich reiste, war mir die Pinzette im Gepäck immer wichtiger als der
Pass oder das Geld. Ich habe zusätzlich noch versucht, mit Hormonen den
Bartwuchs zu stoppen, obwohl ich kerngesund war, bin dabei dann schwer
krank geworden. Anschließend habe ich gesagt: Lieber gesund sein und dann
eben Haare im Gesicht haben. Mit 28 Jahren fasste ich den Mut, sie wachsen
zu lassen. Unsicher war ich anfangs, wusste ja gar nicht, wie groß wird der
Bart eigentlich. Wächst der bis zum Bauchnabel oder Knie? Es wurde
schließlich ein Kinnbärtchen, das mir sehr gefiel. Aber die ersten
Reaktionen waren andere. Margitta, bist du krank, fragte man mich, oder:
„Nimmst du Hormone? Bist du zwittrig, ein Transsexueller? Eine Lesbe?“ Als
Mannweib wurde ich bezeichnet. Ich war ziemlich baff, was so ein paar Haare
im Gesicht einer Frau auslösen können. Mein Körpergefühl hat sich aber gar
nicht verändert.
Bart steht eben, so ein Klischee, besonders für maskuline Potenz, Stärke,
Macht …
… kein Wunder also, dass Frauen den nicht haben dürfen, oder?
Da haben Sie für unsere patriarchale Welt Recht.
Zehn Jahre trug ich den Bart öffentlich als Referentin im
Gesundheitsbereich. Meine Erfahrung: Beim ersten und zweiten Mal, wenn man
jemandem begegnet, kommen noch diese komischen Kommentare, aber dann ist
das mit dem Bart geklärt und zukünftig kein Thema mehr. Aber ich weiß
natürlich nicht, was hinter meinem Rücken noch passierte.
Vordergründig zumindest wurden Sie wieder als Frau gesehen, nicht mehr als
Freak.
Trotzdem, immer zuerst nur wegen des Bartes angeschaut zu werden, darauf
hatte ich auch irgendwann keine Lust mehr. Jetzt trage ich gern mal Drei-,
Vier- oder Fünftagebart und dann tagelang gar keinen. Mit dem Bart offen zu
leben, ist bei Weitem nicht so anstrengend wie mein einstiges Verstecken
des Bartwuchses.
Gab es auch positive Rückmeldungen? Nicht nur in der Frauenbewegung heißt
es doch immer mal wieder: „Let it grow!“ Man lässt also Haare wachsen, wo
sie wachsen wollen – als politisches Statement sexuell befreiter
Weiblichkeit. Oder wir Männer verstehen unsere Rasierfaulheit als
oppositionelle Geste, sich nicht von aalglatten Schönheitsidealen
manipulieren zu lassen und den Haaren die Freiheit ihres Wuchses zu
garantieren.
Klar, mich fanden auch welche toll oder mutig und freuten sich, dass ich zu
mir stehe. Darum geht es ja eigentlich. In meinem Umfeld ließen sich dann
auch andere Frauen ihre Bärtchen stehen. Das wollte ich ja auch mit meinem
Buch erreichen.
Geschlechtsgenossinnen etwas lockerer machen in Bezug auf ihr überall
blühendes Haartreiben?
Genau, nicht länger darunter zu leiden, wenn man nicht dem
Mehrheitsgeschmack entspricht, sondern dazu zu stehen. Sich nicht
verstecken.
Es gibt doch sicherlich auch Frauen und Männer, die Frauen mit üppiger
Behaarung sexy finden, oder?
Mit der Veröffentlichung unseres Gesprächs werden es hoffentlich noch mehr.
19 Jan 2021
## AUTOREN
Jens Fischer
## TAGS
Haare
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