# taz.de -- Austrocknung der Flüsse: Wo nichts fließt, kann nichts leben | |
> Der Fluss Dreisam in Baden-Württemberg fällt immer früher trocken, das | |
> Ökosystem kollabiert. Die Klimakrise droht das Erreichte hinfällig zu | |
> machen. | |
Es fällt schwer, das Rinnsal als Fluss zu bezeichnen. Go with the flow? | |
Nicht in diesem Sommer an der Dreisam. Dabei leitet sich der Name des knapp | |
30 Kilometer langen Flusses im Breisgau vom keltischen Wort „tragisamā“ ab, | |
was so viel wie „die Schnellfließende“ bedeutet. Hier draußen, nordwestli… | |
von Freiburg, fließt nichts. Mehr Steine als Wasser. Nur bei genauem | |
Hinschauen ist leichte Bewegung zu erkennen. Ganz langsam rinnt das, was | |
von der Dreisam übrig ist, in Richtung Rhein. | |
Cargohose, Trekkingsandalen, eine etwas zu locker sitzende Cap: Nikolaus | |
Geiler, den alle nur Nik nennen, weiß, seit er 14 Jahre alt ist, dass er im | |
Gewässerschutz arbeiten möchte. Das war Anfang der 70er Jahre. Heute ist er | |
der Experte, den Naturschutzverbände anrufen, wenn es um Binnengewässer | |
geht. Er zieht seine beigen Sandalen aus und geht barfuß in das Flussbett | |
hinein. | |
Einen runden, glatten Stein bringt er mit ans Ufer und zeigt auf ein | |
kleines Insekt. Es schlängelt sich über die feuchte Oberfläche. „Eine | |
Eintagsfliegenlarve“, erklärt Geiler. Die brauche vor allem kühles Wasser | |
mit hohem Sauerstoffgehalt. Ist es so heiß wie an diesem Dienstag, geht den | |
Tierchen „die Puste aus“, so formuliert es der Limnologe. Steigen die | |
Temperaturen im Wasser, sinkt die Löslichkeit von Sauerstoff. | |
Das Rinnsal, das sich mit Mühe seinen Weg durch das Flussbett bahnt, | |
erhitzt sich an Hitzetagen schnell. Für die Larven stehen die | |
Überlebenschancen schlecht. „Bei bestimmten Steinfliegenlarven dauert der | |
Entwicklungszyklus bis zum geflügelten Insekt drei Jahre“, weiß Geiler. | |
2018 war ein Dürrejahr, die zwei darauffolgenden Jahre waren mindestens | |
genauso trocken. „Letztes Jahr war es etwas besser, aber das reicht nicht“, | |
sagt er. Geht es so weiter – und daran bleibt wenig Zweifel – wird wohl | |
kaum eine Larve jemals in den Genuss des Fliegens kommen. | |
Keine Insekten heißt: weniger Nahrung für andere Flussbewohner wie | |
Bachstelze, Wasseramsel und Wasserfledermaus. Nur eine der vielen | |
Auswirkungen der Trockenheit auf das Ökosystem. | |
## Die mysteriöse Geschlechtswandlung | |
Rechts und links folgen kleine Wege dem geraden Verlauf des Flusses. Nik | |
Geiler erzählt – und eine Fahrradklingel läutet. Er macht den Weg frei, | |
redet weiter, die nächste Radfahrerin saust vorbei. Radeln zwischen Fluss, | |
Feldern und Weiden mit Kühen. Wie idyllisch! Schade nur, dass der Fluss | |
keiner mehr ist, das Gras vor Trockenheit pikst und die Kühe müde in der | |
Ecke liegen. Auch ihnen muss heiß sein. | |
Damals wollte Geiler noch Rundfunkingenieur werden, bis er in der Zeitung | |
las, Fische in der Themse hätten ihr Geschlecht geändert. „Im | |
Industriekurier stand das.“ Der Mann mit der eckigen Metallbrille erinnert | |
sich an Details, dabei liegt das Ereignis mehr als 50 Jahre zurück. Die | |
Erklärung der mysteriösen Geschlechtswandlung fand sich im Abwasser. Die | |
Antibabypille, die in den 60er Jahren auf den Markt kam, führte dazu, dass | |
männliche Fische zunehmend „feminisierten“. Durch Urin gelangten die | |
Hormone über das Abwasser in den Fluss. „Das fand ich so spannend, dass ich | |
Limnologie studieren wollte“, sagt Geiler. | |
Limnologie ist die Wissenschaft der Binnengewässer und ihrer Ökosysteme. | |
Seit Abschluss des Studiums arbeitet Geiler freiberuflich. Er ist eher | |
zurückhaltend, redet erst, wenn er mit Fragen dazu aufgefordert wird. „Ich | |
habe Gutachten ausgestellt und solche Dinge. Ich schrieb | |
wissenschaftsjournalistische Texte, leitete Fortbildungen und Ausbildungen | |
von Gewässerschutzbeauftragten. Und ich habe einen kleinen Lehrauftrag an | |
der Uni“, zählt er seine Tätigkeiten auf. | |
Tippt man seinen Namen in die Suchmaschine ein, wird klar: Spricht Nikolaus | |
Geiler von sich, untertreibt er. „Eine der wichtigsten und herausragendsten | |
Personen der Freiburger Umwelt- und Naturschutz-Aktiven ist Nik Geiler“, | |
ehrte ihn der BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein im Jahr 2017. Nicht | |
zuletzt, weil er klare Worte finde. Damit macht er sich nicht immer | |
beliebt. Ob er sich als Aktivist bezeichnen würde? Manchmal wartet Geiler, | |
bis er spricht, diesmal antwortet er direkt. „Auf jeden Fall.“ Pause. „We… | |
wir die letzten Jahrzehnte ganz viele Aktionen zum Gewässerschutz gemacht | |
haben.“ Wenn Geiler „wir“ sagt, meint er den Arbeitskreis Wasser vom | |
Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz. | |
„Herr Geiler ist unser größter Kritiker“, sagte ein Vertreter des | |
Umweltschutzamtes Freiburg über ihn. Als er das hört, schmunzelt er in | |
seinen grauen Bart hinein. Er kann sich schon denken wieso. „Die setzen zu | |
wenig Man Power in die Hochwasser- und Starkregenvorsorge“, antwortet er. | |
Er wird nicht müde, das Thema anzusprechen. Das Umweltschutzamt meint: Die | |
Hochwassersicherheit ist gegeben. Nik Geiler weiß: Regnet es in Freiburg | |
jemals so viel wie vor einem Jahr im Ahrtal, ist die Stadt nicht | |
vorbereitet. „Man kann es nicht verhindern, man muss einen Plan für | |
Evakuierungen in der Schublade haben“, sagt er. | |
Da ist kaum etwas, was Nik Geiler nicht über seinen Fachbereich weiß. Sein | |
Leben lang beobachtet er schon die Dreisam. Politiker:innen, Behörden und | |
Ämter wollen seine Meinung hören. Aber sie entscheiden ohne ihn. | |
## Pfützen unter der Brücke | |
„Der Herr Geiler, der kann ein unangenehmer Typ sein. Wenn’s scheiße ist, | |
sagt er, dass es scheiße ist“, sagt Biologe und Angler Ingo Kramer. Die | |
Männer kennen sich schon lange. Kramer ist Geschäftsführer des | |
Landesfischereiverbandes Baden-Württemberg und teilt Geilers Meinung: Der | |
Fluss muss als Lebensraum für zahlreiche Arten erhalten bleiben. Kramer | |
steht mit einem Plastikeimer im trockenen Flussbett. Hier, noch nördlicher | |
entlang der Dreisam, ist der Fluss komplett trockengefallen. Die | |
Vertiefung, durch die sonst literweise kühles Wasser strömt, gleicht jetzt | |
nur noch einem Schotterweg in der prallen Sonne. 37 Grad Celsius zeigt die | |
Wetter-App auf dem Smartphone, der bisher heißeste Tag des Jahres. | |
Pfützen unter einer Autobrücke sind der einzige Hinweis darauf, dass hier | |
einmal Wasser floss. Es riecht leicht modrig. Bewegt sich da etwas? In | |
einer der Wasserlachen tummeln sich Dutzende kleiner Fische. Hektisch | |
schwimmen sie hin und her. Dreißig Zentimeter in die eine Richtung, | |
umdrehen und wieder zurück. „Fische sind wechselwarme Tiere“, erklärt | |
Kramer. Je wärmer das Wasser, desto aktiver werden sie und desto höher ihr | |
Sauerstoffbedarf. „In zwei bis drei Tagen sind die hinüber“, schätzt der | |
Biologe. Er sagt hinüber, meint: tot. Kein Sauerstoff mehr. Erstickt | |
sozusagen. „Es ist fatal, was da alles verreckt und elendig vertrocknet.“ | |
Kramer holt ein Thermometer aus dem Eimer. Ein schwarzes Gerät mit zwei | |
Reglern, an einer Art Kabel hängt ein Messstab. Etwa 200 Meter von der | |
Brücke entfernt plätschert Wasser aus einem Bachzufluss in die | |
ausgetrocknete Dreisam und an der anderen Uferseite wieder raus. Es sieht | |
aus, als wolle der kleine Bach den großen Fluss wieder befüllen. Die | |
Erfolgschancen stehen ungefähr so gut wie beim Versuch, einen Großbrand mit | |
nur einem einzigen Feuerlöscher zu bändigen. | |
Ingo Kramer schmeißt den Messstab des Thermometers in eine Wasserlache. | |
Dort, wo das Bachwasser einströmt, steht 23,0 auf der digitalen Anzeige. | |
Das sei recht kühl, für viele Fische eine gute Temperatur. Ein letzter Pool | |
mit Kaltwasser, in den sich die überlebenden Tiere flüchten. Der Großteil | |
erlag schon der Dürre oder landete in den Mägen von Fischreihern und | |
Mardern. Kramer läuft durch das Becken zu einer anderen, flacheren Stelle | |
und wiederholt den Vorgang. 35,2 Grad Wassertemperatur misst er. Er zückt | |
sein Handy und fotografiert die Zahl. „Morgen ist das hier auch trocken“, | |
sagt er und deutet auf die Stelle mit dem warmen Wasser. „Es ist | |
erschütternd, diese Fische in irgendwelchen Pools, Kolken und Gumpen zu | |
sehen und genau zu wissen: Die kommen da nicht wieder raus.“ | |
Die Anglervereine versuchen, so viele Fische wie möglich zu retten, sie mit | |
Keschern abzufischen und an anderer Stelle wieder ins Wasser zu setzen. | |
„Stressmäßig geben wir denen damit den Rest“, sagt Kramer. Immer wieder | |
rufen Menschen verzweifelt an, die Fische in Not gesehen haben. Ob man die | |
nicht retten könne? Ingo Kramer zuckt ratlos mit den Schultern. „Wo sollen | |
wir die denn hinbringen? Da oben irgendwo in die Bäche setzen macht | |
überhaupt keinen Sinn, das ist nicht deren Lebensraum. Und außerdem gibt es | |
da schon Fischbestände“, sagt er. | |
So einfach lassen sich die Folgen der Dürre nicht mehr abfedern. Der | |
Biologe Kramer spricht immer wieder von Resilienz. Ein naturbelassenes | |
Ökosystem ist resilienter, kann also Dürrephasen besser überstehen. Über | |
die letzten drei Jahrhunderte wurde die Dreisam begradigt, verengt und | |
umgeleitet. Hauptsächlich, um Fläche für Landwirtschaft und Wohnraum zu | |
gewinnen. Der Fluss schlägt keine Schlingen mehr. Westlich von Freiburg | |
verläuft er fast geradlinig. Kramer sagt dazu nur noch „Canale Grande“ – | |
großer Kanal. | |
## Alles wird zurückgedreht | |
Vor einigen Jahren setzte die Stadt eine Renaturierungsmaßnahme für die | |
Dreisam um. Ein Teil des Flusses im Osten von Freiburg wurde verbreitert, | |
ein Seitenarm hinzugefügt. Einer der Erfolge von Geilers Aktivismus. Nur | |
leider hält sich der positive Effekt auf das Ökosystem nicht ewig. „Alles | |
wird durch den Klimawandel zurückgedreht“, sagt er. „Das ist die Tragik der | |
Klimakrise. Sie ist kontraproduktiv zum Gewässerschutz.“ Schlimmer seien | |
die Auswirkungen natürlich weltweit, das wisse er auch. „Im Vergleich zu | |
Dritte-Welt-Ländern sind das Luxusprobleme, die wir hier haben.“ | |
Der 69 Jahre alte Geiler bewegt sich mit der Straßenbahn und einem | |
Cityroller fort. Nicht mit einem der neumodischen E-Roller, wie sie | |
mittlerweile in fast jeder deutschen Großstadt am Straßenrand stehen. Nein, | |
Geiler fährt einen Metallroller mit neongelben Rädern, wie ihn sonst meist | |
Grundschüler:innen besitzen. Er stößt sich kräftig mit seinem linken | |
Bein ab, schwingt es angewinkelt nach hinten und setzt den Fuß erneut auf | |
den Asphalt. Einmal rollt er einen Hügel herunter, die Cap fliegt von | |
seinem Kopf. In diesen Momenten wirkt der Mann, der seit Jahren gegen die | |
Zerstörung der Natur ankämpft, unbeschwert. Als hätte das alles nichts mit | |
ihm zu tun. | |
Nik Geiler ist Limnologe, Aktivist und Kleingärtner. Im Westen Freiburgs | |
hat er einen Schrebergarten gepachtet. Normalerweise fließt ein | |
Gewerbekanal, gespeist von der Dreisam, durch die Stadt, von dem sich | |
Unternehmen Kühl- und Kleingärtner:innen Gießwasser abpumpen. Auch die | |
für Freiburg typischen „Bächle“ erhalten ihr Wasser aus dem Kanal. Der | |
liegt jetzt trocken. Mit dem Verein Regiowasser setzte Geiler sich für ein | |
Niedrigwasser-Reglement ein, das in Trockenphasen der Dreisam mehr Wasser | |
zubilligt. „Insofern bin ich selbst Leidtragender unserer | |
Gewässerschutzaktivitäten“, sagt Geiler und lacht. | |
Dieses Jahr sei die Wasserzufuhr zum Gewerbekanal schon viel früher | |
abgedreht worden, erzählt Andrea Utz. Unangekündigt. Auch sie hat einen | |
Kleingarten in der Anlage. Ersatz sollen zwei große Wasserkanister bieten, | |
aus denen jede:r sich Gießwasser abzapfen kann. In der Theorie. | |
An diesem Dienstag um 11:13 Uhr sind sie leer. „Man weiß auch nie, wann die | |
Kanister wieder gefüllt werden. Das macht eine externe Firma. Die kommen | |
mal am Donnerstag, mal am Freitag, mal um elf und mal um vier“, sagt Utz. | |
Planen könne man damit nicht. Das Wasser reiche auch nicht für alle | |
Gartenbesitzer:innen. Utz stellt ihren Garten mittlerweile auf mediterrane | |
Sorten um. „Ich mache jetzt halt einfach Rosmarin- und Salbeipestos, weil | |
die Pflanzen kaum Wasser brauchen“, sagt sie und lacht. | |
Die Wasserknappheit sorgt für Unmut, weiß Nik Geiler. Die Nutzungskonflikte | |
nehmen zu. In der Landwirtschaft, in der Trinkwasserversorgung und eben in | |
der Kleingartenanlage. „Wenn die Leute sehen, dass ihre Paprika | |
vertrocknet, die sie so liebevoll gepflegt und wochen-, monatelang | |
gewässert haben und dann gibt es auf einmal kein Wasser mehr. Da ist man | |
natürlich total enttäuscht“, sagt er. „Man idealisiert ja immer so | |
Schrebergartengemeinschaften, aber tatsächlich gibt es da gerade keine | |
große Harmonie.“ | |
## Die kleine Wasserkraft meutert | |
Einer, den die Wasser-Agenda der Umweltschützer:innen besonders nervt, | |
ist Michael Wagner. Er besitzt ein kleines Wasserkraftwerk an der Dreisam. | |
„Die meinen, wir müssten zu 120 Prozent alles wieder zurück in den | |
natürlichen Zustand bringen, das geht halt nicht. Wir sind eine | |
Konsumgesellschaft. Wir brauchen den Strom“, regt er sich auf. Immer, wenn | |
er „die“ sagt, deutet er auf Nik Geiler, der neben ihm im efeubewachsenen | |
Häuschen der Anlage steht. „Ich bin in vielen Dingen mit ihm sicherlich auf | |
einer Linie. Nur ich muss Kompromisse machen“, sagt Wagner. Er ist ein | |
großer Mann, überragt Geiler um fast zwei Köpfe. | |
Geiler und Wagner, sie stehen sinnbildlich für den Interessenkonflikt an | |
der Dreisam. Naturschutz gegen wirtschaftliche Nutzung. Als Michael Wagner | |
den Bau seiner Wasserkraftanlage plante, musste er sein Vorhaben vom | |
Gemeinderat absegnen lassen. Er wendet sich wieder an Geiler. „Sie haben | |
damals im Umweltausschuss eine Stellungnahme dazu abgegeben. Wissen Sie gar | |
nicht mehr, oder?“ Nik Geiler lacht, sagt nur „Nee“. Auf einmal holt Wagn… | |
seine lederne Geldbörse aus der Hosentasche. „Hier“, er klappt sie auf, | |
zieht einen zusammengefalteten Zettel heraus. Ein zerfledderter Brief, | |
datiert auf den 2. April 2013. „Den habe ich dabei. Da haben Sie dagegen | |
gehetzt – das können Sie sich nicht vorstellen!“, sagt Wagner. Nik Geiler | |
sagt nichts. In dem Brief positionierte er sich gegen die kleine | |
Wasserkraft. | |
Ein Teil von Wagners Frust rührt daher, dass seine Wasserkraftanlage zu den | |
moderneren und umweltfreundlicheren zählt. Anstatt einer Turbine dreht sich | |
eine große Schraube, die Wasserkraftschnecke. Anstatt eines Querbaus steht | |
die Anlage seitlich am Fluss, die Fische können durch einen Bypass | |
vorbeischwimmen. Warum sollte seine Anlage also nicht weiterlaufen dürfen? | |
„Natürlich, man kann sagen: Was soll dieses kleine Ding? Das trägt doch nur | |
einen minimalen Teil zur regenerativen Energie bei. Aber Kleinvieh macht | |
Mist!“, verteidigt Wagner die kleine Wasserkraft. | |
Nik Geiler sieht es differenziert. Ja, Wagners Anlage ist eine Ausnahme. | |
Die etwa 7.000 Kleinkraftwasseranlagen in Deutschland seien aber nicht alle | |
so. „Die sind teilweise uralt. Die gehören eigentlich ins Technikmuseum | |
wegen des schlechten Wirkungsgrads“, sagt er. „Da gibt es auf beiden Seiten | |
Dogmatiker – ich denke, ich bin keiner. Es ist eine CO2-arme Energie, aber | |
geht in den meisten Fällen auf Kosten der Gewässerökologie.“ | |
Die Umweltverbände versuchen seit Jahren, die staatliche Förderung der | |
kleinen Wasserkraft zu stoppen. Zu umweltbelastend seien die Turbinen, die | |
Schnecken, die Querbauten. Fische können den Fluss nicht mehr auf- und | |
abwandern. „Die Fische, die durch die erste Turbine noch lebendig | |
durchgekommen sind, werden spätestens in der zweiten, dritten oder vierten | |
gehäckselt“, erklärt Geiler das Problem. „Verteidiger der Wasserkraft | |
unterschätzen die kumulative Wirkung.“ Fast erreichten die Verbände ihr | |
Ziel, im letzten Moment wurde die Passage dann aber doch aus der Novelle | |
des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) gestrichen. Kleine Wasserkraft wird | |
vorerst weitergefördert. „Für uns wäre das existenzbedrohend gewesen“, s… | |
Wagner. | |
## Nachwuchsprobleme | |
Mindestens genauso lange wie den Brief trägt Michael Wagner den Groll mit | |
sich. „Ich habe das für eine Unverschämtheit gehalten“, sagt er. „Das w… | |
für mich menschlich so niederschmetternd.“ Bei dem Konflikt geht es schon | |
lange nicht mehr nur um die Frage: Brauchen wir Wasserkraft oder nicht? | |
Wagner ist anzumerken, dass der Zwist ihm nahegeht. „Man muss was zu tun | |
haben“, sagt er etwas leiser. „Wenn man aktiv ist, wird man nicht so | |
schnell alt. Ich bin 74. Wenn ich andere sehe, die lassen sich hängen und | |
sitzen nur so auf der Couch rum.“ | |
Wagner möchte unbedingt weitermachen, Geiler bald aufhören. Er sitzt im | |
Schatten und wartet auf die Straßenbahn. Sein Roller steht neben ihm. Ab | |
nächstem Jahr will er seine Tätigkeiten im Gewässerschutz beenden. Bald | |
wird er 70. „Dann kümmere ich mich nur noch um meinen Schrebergarten“, sagt | |
er. Er habe so viele Ideen für den Garten, aber auch für sein Haus in | |
Freiburg. Da ist sie wieder, die Unbeschwertheit. Wer könnte der nächste | |
Nik Geiler sein? „Gibt’s nicht“, sagt er. „Ich bin sozusagen ein lebend… | |
Fossil.“ Menschen, die ihr Leben der einen Sache verschreiben, die gebe es | |
nicht mehr. „Es gibt Praktikanten, die sich ein paar Monate reinhängen, | |
dann sind sie wieder weg.“ | |
In Nik Geiler vereint sich fachliches Wissen mit politischem Engagement. | |
Diese Mischung gebe es nicht mehr oft. Zumindest im Gewässerschutz sieht er | |
eher ältere Menschen in den Arbeitskreisen, Menschen wie ihn. Warum? Andere | |
Zeiten, vermutet er. „Und dann die Verschulung des Studiums. Zumindest | |
sagen viele Studis, dass sie gar keine Zeit dazu haben“, sagt Geiler. Er | |
schenkt sich kühles Wasser aus der Thermoskanne ein. „Das ist ein | |
Riesenproblem für die ehrenamtlich arbeitenden Umweltverbände. Die leiden | |
unter Vergreisung.“ Jüngere Menschen seien eher im hauptamtlichen Apparat | |
der Verbände tätig, sagt Geiler. | |
Die BUND Jugend zählte im vergangenen Jahr 84.357 Mitglieder – eine | |
Steigerung zu den vorherigen drei Jahren. Jedoch scheint die Nische | |
Gewässerschutz die junge Generation im Vergleich zu großen Themen wie Klima | |
oder Mobilität tatsächlich nicht sehr anzusprechen. Vielleicht, weil sie | |
ein Teil des großen Ganzen ist, die Brennpunkte zu viele sind, um sie alle | |
einzeln zu adressieren. | |
Geiler macht den jungen Leuten trotzdem keinen Vorwurf. „Man kann nichts | |
dagegen tun, es ist einfach so. Die Zeiten sind inzwischen völlig anders. | |
Ich habe keinen Groll auf die jüngere Generation, ich sehe eher mit großen | |
Sorgen in die Zukunft, die ihnen bevorsteht.“ | |
28 Jul 2022 | |
## AUTOREN | |
Gina La Mela | |
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