# taz.de -- Ausstellung „Muslim Fashion“: Mehr als nur ein Hijab | |
> Die Ausstellung „Contemporary Muslim Fashion“ will muslimische Mode als | |
> globales Phänomen untersuchen. Ein Rundgang mit vielen Fragen. | |
Bild: Wie kam es, dass Hijab und langärmliger Bekleidung ein subversives Poten… | |
FRANKFURT AM MAIN taz | Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass die | |
einen über Mode reden möchten und die anderen über Politik. Etwas ratlos | |
wirken die Kuratorinnen aus Deutschland und den USA sowie Museumsdirektor | |
Matthias Wagner K angesichts der Kritik, die ihnen schon im Vorfeld zur | |
Ausstellung „Muslim Contemporary Fashion“ im Frankfurter Museum für | |
Angewandte Kunst (MAK) entgegengeschlagen ist. So sah man sich sogar ob der | |
Drohnachrichten gezwungen, Sicherheitsschleusen am Eingang des Museums | |
aufzustellen. | |
Ab diesem Freitag bis Mitte September präsentiert das MAK zeitgenössische | |
muslimische Mode, nach einer ersten Station in San Francisco kommt die | |
Ausstellung jetzt nach Europa. Und das gefällt nicht allen. Fassungslos | |
sind [1][iranische Frauenrechtlerinnen, die in der Emma einen offenen Brief | |
an Wagner K schrieben,] oder die liberale Berliner Imamin Seyran Ateş, die | |
eine solch grundlegend positive Präsentation von Verhüllung auch für | |
grundlegend naiv, zynisch oder gar gefährlich halten. | |
Politisch aufgeladen hat man das Thema allerdings auch selbst: Das | |
Rahmenprogramm zur deutschen Version, will den Dialog, listet als | |
Rednerinnen dann aber vornehmlich Mode-Bloggerinnen oder Persönlichkeiten | |
wie die Londoner Professorin und Theoretikerin Reina Lewis auf, die sich | |
über die Bewertung der bescheidenen respektive sittsamen (je nachdem, wie | |
man „modest“ übersetzen mag), dabei durchaus stylischen Kleidung als | |
Ausdruck von Empowerment vermutlich eher einig sein dürften. | |
Außerhalb des Programm und beinahe zeitgleich findet ein Symposium an der | |
Goethe Universität in Frankfurt mit Islamwissenschaftlerin Susanne | |
Schröther statt, die unter anderem mit der Soziologin Necla Kelek zum Thema | |
Kopftuch und Emanzipation diskutieren und vermutlich zu diametral | |
entgegengesetzten Ansichten kommen wird. Man hätte vielleicht miteinander | |
sprechen können. Es geht doch bloß um eine Ausstellung. Oder? | |
## Der Elefant im Raum | |
Man hätte es sich, zweitens, natürlich bedeutend einfacher machen können, | |
wäre man tatsächlich beim Credo „Mode! Und nichts weiter“ geblieben, wie … | |
inhaltlich von Museumsseite aus propagiert wird. Der Rundgang entlang der | |
rund 80 Exponate beginnt in einem abgedunkelten Raum, in dem schwarz-weiße | |
Abayas (eine Art langes Überkleid) aus den Arabischen Emiraten als kostbare | |
Exponate im Lichtschein funkeln. Sehr schick, angemessen cool, definitiv | |
auch ohne Religionsbekenntnis tragbar. | |
Wäre dies eine Ausstellungsrezension, und wäre dies eine solche | |
Ausstellung, dann könnte man hier wohl längere Passagen über die | |
beeindruckend schönen, kunstvoll gefertigten, mal traditioneller | |
gestalteten, mal in Digitaldrucken und Plastikschleifen nicht von anderen | |
Kreationen der Haute Couture unterscheidbaren Roben, über Hijabs mit | |
Luxuslabel- oder „Feminist“-Prints lesen. Und über ihre DesignerInnen. | |
Aber auch dann würde man irgendwann beim Elefanten im Raum angelangen, um | |
den sich so vieles dreht: Die ganz realen Bedingungen, unter denen religiös | |
geprägte Bekleidung entsteht, sind nun einmal oftmals eine ambivalente | |
Angelegenheit. Einschränkungen können den kreativen Prozess enorm befeuern | |
– die Geschichte ist voll von Beispielen. Bedeutungszusammenhänge ändern | |
sich, gesamtgesellschaftlich, aber erst recht für die je Einzelne. Das ist | |
keine Randnotiz, sondern das ureigene Wesen von Bekleidung und Mode. Auch | |
die Verhüllung in all ihren Formen hat historisch höchst unterschiedliche | |
Traditionen. Solchen Ambivalenzen aber lässt die Ausstellung wenig Raum, | |
vielleicht spielen sie im Rahmenprogramm eine Rolle. | |
Möchte man nun, wie mehrfach betont, aber doch nicht nur eine | |
Mode-Ausstellung im engeren Sinne zeigen: Dann würden die interessanten | |
Fragen doch erst richtig losgehen. Wie kam es zum Beispiel, dass nun | |
ausgerechnet Hijab und langärmlige, weniger körperbetonte Bekleidung heute | |
dieses subversive modische Potenzial zugeschrieben wird? Sieht so gar die | |
Geste des Punk in heutigen Zeiten aus, das modische Fuck-you (und wenn ja, | |
wem gilt es)? Und wieso ist es dazu offenbar besser geeignet als andere | |
Kopfbedeckungen, wie der Turban gläubiger Sikh beispielsweise? | |
## Real existierende Machtverhältnisse | |
Letztere stellen immerhin ihrerseits eine 27 Millionen starke | |
Religionsgemeinschaft, mit ebenso berühmten Fashion-Influencern auf | |
Instagram und Co., wobei die männliche Kopfbedeckung hier auch von immer | |
mehr Sikh-Frauen getragen wird – in einer modischen Geste über religiöse | |
Vorschriften hinweg gekapert. | |
Kurzum: Was macht die Anziehungskraft der „Muslim Fashion“ denn gerade im | |
Spezifischen aus? Für ihre Trägerinnen – immerhin so stark, dass auch in | |
Ländern wie dem Libanon oder der Türkei, wo das Kopftuch keine staatliche | |
Pflicht ist, immer mehr Frauen hierzu greifen. Und für die Kuratorinnen in | |
den USA und in Deutschland – immerhin boomt die gesamte nichtdezidiert | |
westliche Modewelt, auch jenseits von religiösem Fokus hätte man also | |
problemlos riesige, spannende Schwerpunkte auf die Beine stellen können. | |
„Contemporary Muslim Fashion“ will aber nun ausdrücklich muslimische Mode | |
als globales Phänomen untersuchen. Gerade hier gerät das Konzept an die | |
Grenzen der eigenen Perspektive. So werden die real existierenden | |
Machtverhältnisse in Ländern von Saudi-Arabien bis Iran, in denen der Islam | |
Staatsreligion und die weibliche Verhüllung in unterschiedlichster Form | |
[2][in denen der Islam Staatsreligion und die weibliche Verhüllung in | |
unterschiedlichster Form] und unter Androhung diverser Strafen Pflicht ist, | |
zwar nicht verschwiegen, aber im Gesamtbild doch zur Fußnote, zu einer Art | |
Verhandlungsmasse des jeweiligen Individuums. | |
Wäre dieser Milliardenmarkt der muslimischen Mode, der insbesondere in | |
Modezeitschriften immer wieder schwärmerisch vorgebracht wird, ohne diese | |
Länder und ihre ganz handfeste Bestimmungsgewalt über Frauen, immer noch | |
ein solcher? Im Ausstellungsraum soll das wohl multiperspektivisch | |
verhandelt werden, so werden neben abermals wunderschönen bis | |
zeitgenössisch-coolen Kleidungsstücken Bilder von verhüllten und | |
nichtverhüllten Fotografinnen gezeigt, selbstbestimmt, und Zahlen aus | |
Deutschland genannt, wo nur 28 Prozent der Muslimas fürs Kopftuch optieren. | |
Dieser bemerkenswerte Umstand schwebt dann auch eher kontextlos im Raum. | |
## Anything-goes-Blick | |
Vielleicht sind einzelne Entscheidungen der keineswegs unberechtigten Angst | |
geschuldet, Vorurteile zu bestätigen, die Deutungshoheit über das Thema zu | |
verlieren. Dass es der Kopftuchkritik nicht unbedingt um die Frau an sich | |
geht, sondern sich oft genug schnöder Fremden- oder Frauenhass kaum | |
mühevoll dahinter verbirgt, steht außer Frage. | |
Daraus lässt sich aber umgekehrt nicht ableiten, dass eine ausnahmslos | |
positive Perspektive auf Modest Fashion automatisch die einzig gültige sein | |
kann. Wäre denn auch muslimische Mode denkbar, die nicht modest ist? Wieso | |
diese scheinbar gottgegebene Verschränkung, die einen großen Teil | |
muslimischer Frauen exkludiert? | |
Am Ende ist „Muslim Contemporary Fashion“ so vielleicht am ehesten eine | |
affirmative Mode-Ausstellung geworden, in der die Begriffe gern auch einmal | |
durcheinandergeraten, ganz im Geiste ihrer Zeit, die von der | |
sehnsuchtsvollen Wiederentdeckung der Kulturen und Religion, von ihrem | |
symbolischen Gehalt, als identifikationsstiftender Heilsbringer in einer | |
kapitalistischen Welt (bzw. bevorzugt auch gegen sie), kündet – auch durch | |
ihr Publikum, das die Schau bereits mit einigen heißen Erwartungsartikeln | |
gefeiert hatte, und ihre AusstellungsmacherInnen. | |
Die nun ihrerseits ihren westlich geprägten Anything-goes-Blick kaum | |
verbergen können, mit dem sie auf ein Phänomen schauen, das mit Begriffen | |
wie Selbstverwirklichung und der Bewunderung über kaufkräftige | |
Milliardenmärkte allein aber eben auch nur partiell zu begreifen ist. | |
4 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.emma.de/artikel/iranerinnen-protest-gegen-kopftuch-ausstellung-… | |
[2] /Kolumne-Lost-in-Translation/!5568763 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
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