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# taz.de -- Angriff auf Golanhöhen: Die Region hält die Luft an
> Nach dem Raketeneinschlag auf dem Golan droht Israel, seinen Krieg gegen
> die Hisbollah auszuweiten. Libanons Regierung ruft zur Zurückhaltung auf.
Bild: Ein Dorf unter Schock: Trauerzug für die Kinder und Jugendlichen, die be…
BEIRUT/JERUSALEM taz | Nach dem Raketeneinschlag auf das drusische Dorf
Madschdal Schams in den umstrittenen Golanhöhen ist die Angst im Libanon
groß, dass Israel als Reaktion seine Angriffe auf die Hauptstadt Beirut und
zivile Infrastruktur im Libanon ausweiten könnte. „Die
Madschdal-Schams-Rakete wird den gefährlichsten Wendepunkt im Verlauf der
libanesisch-israelischen Konfrontation darstellen“, kommentierte die
libanesische christlich-liberal ausgerichtete Tageszeitung An-Nahar am
Sonntag.
Bei dem Einschlag einer Rakete auf dem Fußballplatz der Kleinstadt
Madschdal Schams waren am Samstagnachmittag 12 Menschen ums Leben gekommen,
darunter mehrere Kinder, mindestens elf wurden zum Teil schwer verletzt.
Madschdal Schams liegt auf den Golan-Höhen, die im Jahr 1981 von Israel
annektiert wurden und von der Minderheit der Drusen bewohnt werden; die
meisten von ihnen besitzen die syrische Staatsbürgerschaft.
Nach internationalem Recht gehört die Gegend zu Syrien. Dort, wie entlang
des gesamten Grenzverlaufs zum Libanon, schlagen seit dem 7. Oktober immer
wieder Raketen der libanesischen Hisbollah-Miliz und ihrer Verbündeten ein.
Die israelische Armee überwacht mithilfe ihrer sieben Kilometer vom
Einschlagsort entfernten Militärbasis auf dem Berg Hermon die vom Iran
unterstützten Milizen in Syrien und Libanon. Ob Madschdal Schams durch eine
fehlgeleitete Hisbollah-Katjuscha oder eine Falak 1-Rakete iranischer
Produktion getroffen oder absichtlich beschossen wurde, ist noch unklar.
Viele fürchten jedoch, der Angriff könnte einen direkten Krieg zwischen
Israel und dem Libanon auslösen.
## Israel schlägt zurück
In der Nacht griff Israels Armee verschiedene Dörfer im Libanon an,
hauptsächlich im Süden, rund 25 Kilometer von der gemeinsamen Grenze
entfernt, in der Nähe der Küstenstadt Tyros. Israels Luftwaffe teilte mit,
sie habe unter anderem Waffenlager und Infrastruktur der Hisbollah
getroffen. Dabei sollen mehrere Bewohnende verletzt worden sein. Die
libanesische Zeitung L’Orient-Le Jour berichtet, bei Angriffen der
israelischen Luftwaffe auf das Dorf Kfar Kila seien vier Menschen getötet
worden.
Ein weiterer Angriff ging tiefer ins Landesinnere, auf ein Dorf nahe
Baalbek, etwa 90 Kilometer von der Grenze entfernt. Die Reaktion ist nicht
der lange erwartete Großangriff gegen den Libanon, sondern bleibt bisher im
Rahmen der tagtäglichen gegenseitigen Angriffe der vergangenen Monate. Das
israelische Militär hat bereits mehrfach in der östlichen Bekaa-Ebene und
damit weit von der Grenze entfernt angegriffen. Im Januar tötete das
israelische Militär mit einem gezielten Angriff den Hamas-Anführer Saleh
al-Aruri in Beirut.
Vor dem 7. Oktober galten die sogenannten „Rules of Engagement“, gemeinsame
Absprachen über rote Linien im Konflikt. Diese wurden seitdem militärisch
ausgehandelt, kalkuliert und ausgeweitet. Der Raketenangriff auf die
drusische Ortschaft Madschdal Schams bricht mit diesen Verhaltensregeln.
## Hisbollah bestreitet Verantwortung
Die Hisbollah bestreitet jedoch, für den tödlichen Angriff auf Madschdal
Schams verantwortlich zu sein und dadurch eine weitere Eskalation in Kauf
genommen zu haben. Hisbollah-Anhänger hatten auf sozialen Medien am
Nachmittag zunächst den „erfolgreichen Beschuss“ von Einrichtungen des
israelischen Raketenschutzschirms „Iron Dome“ gefeiert. Als bekannt wurde,
dass die meisten Opfer in Madschdal Schams fußballspielende Jugendliche
sind, machten sie israelische Luftabwehrraketen für den Einschlag
verantwortlich.
„Die Hisbollah bekräftigt, dass sie in keiner Weise mit dem Vorfall in
Verbindung steht und weist alle falschen Behauptungen in diesem
Zusammenhang nachdrücklich zurück“, heißt es in einer Pressemitteilung. Sie
verweist auf Ghaleb Seif, Leiter einer drusischen Organisation in den
annektierten Golanhöhen, der erklärt habe, dass es sich bei „den Raketen,
die auf dem syrischen Golan und in Galiläa einschlugen, um israelische
Abfangraketen handelte“. „Jeden Tag sehen wir, wie Iron-Dome-Raketen ihre
Ziele verfehlen und schließlich auf uns fallen.“
Videos zeigen tatsächlich den Einschlag von sogenannten Tamir-Flugkörpern
in den Hügeln rund um den 11.000 Einwohner-Ort. Diese hatten aus dem
Libanon kommende Geschosse verfehlt. Doch drusische Augenzeugen des
Massakers berichten von einem zischenden Geräusch des Geschosses, ähnlich
wie bei anderen Angriffen aus dem Libanon.
## Israel droht mit Ausweitung
Der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, machte am Samstagabend
die Hisbollah für das Massaker verantwortlich und nannte den
südlibanesischen Ort Chebaa als Abschussort der Rakete. Es sei der
blutigste Angriff auf Israel seit dem 7. Oktober, so Hagari. Israels
Außenministerium erklärte, die Hisbollah habe mit tödlichem Angriff „alle
roten Linien überschritten“.
Wie ernst die Hisbollah die Gefahr eines massiven israelischen
Gegenschlages nimmt, lässt sich aus den vielen Dementis ablesen, die seit
Samstag auf verschiedenen Kanälen verbreitet werden. Der Beschuss mit
Katjuscha-Raketen auf den Hermon-Berg sei eine Antwort auf die gezielte
Tötung von drei ihrer Kommandeure in den Stunden zuvor gewesen, heißt es in
einer Erklärung. Israelische Kampfflugzeuge hatten am Samstagmorgen ein
Waffenlager in dem libanesischen Weiler Kfar Kila bombardiert.
Israels Verteidigungsminister Gallant kündigte noch am Samstagabend eine
entschiedene Antwort der Armee an, die sich „im Ausmaß deutlich von den
bisherigen Maßnahmen unterscheiden“ werde. Am Sonntag evakuierte die
Hisbollah bereits einige ihrer Stellungen und Einrichtungen in Beirut.
## Rufe zur Mäßigung
Die libanesische Regierung verurteilte in einer Pressemitteilung „alle
Gewaltakte und Aggressionen gegen die Zivilbevölkerung“ und rief zur
sofortigen Einstellung der Feindseligkeiten an allen Fronten auf. Auch die
Bundesregierung und Frankreich riefen zur Mäßigung auf. Der Iran warnte
Israel vor den „Konsequenzen“ eines neuen militärischen „Abenteuers“ im
Libanon. Israel werde für „die unvorhergesehenen Konsequenzen und
Reaktionen auf solch dummes Verhalten“ verantwortlich sein, sagte
Außenministeriumssprecher Nasser Kanani am Sonntag.
Der einflussreiche drusische Politiker und ehemalige Vorsitzende der
drusischen Partei im Libanon, Walid Jumblatt, mahnte die drusischen
Gemeinschaften dazu, „gegenüber den israelischen Bemühungen, Konflikte zu
schüren, wachsam zu sein“. Er sprach von „Versuchen der israelischen
Besatzer, Zwietracht zu säen“ und rief die Menschen im Libanon und auf den
besetzten Golanhöhen auf, sich vor „jeder Provokation oder Aufwiegelung in
Acht zu nehmen“. Bei einem Treffen mit dem US-Gesandten Amos Hochstein am
Sonntag sagte Jumblatt, es sei notwendig, dass Israel seine Angriffe im
Libanon wie auch im Gazastreifen umgehend einstelle.
Israel könnte nun versuchen, die mit der UN-Resolution 1701 definierte
„Pufferzone“ durchzusetzen, in der sich die dort stationierten 10.000
Hisbollah-Kämpfer eigentlich nicht aufhalten dürfen. Die Resolution sieht
auch den Rückzug von Israel vor, und im Südlibanon stationierte UN-Truppen
konnten das Gebiet zwischen der israelisch-libanesischen Grenze und dem 30
Kilometer entfernten Litani-Fluss nie vollständig überwachen. Aroldo Lazaro
Saenz, der Kommandeur der sogenannten UNIFIL-Mission, forderte Israel und
die Hisbollah am Samstag zur Zurückhaltung auf.
## Hisbollah fürchtet Landkrieg
Militärisch sind die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) der
Hisbollah zwar weit überlegen. Doch in dem hügeligen und bewaldeten
Grenzgebiet konnte die wie eine Armee organisierte Miliz zahlreiche
Verstecke und Hinterhalte anlegen. Im Kriegsfall würde sie versuchen,
israelische Soldaten zu entführen, um in israelischen Gefängnissen
einsitzende Kampfgefährten freizupressen.
Doch auch für die Hisbollah ist ein Landkrieg gegen die IDF
existenzgefährdend. Ihre Machtbasis gründet sich auf schiitische Viertel in
Beirut, den Südlibanon und die Infiltrierung staatlicher Institutionen. Die
seit 2019 anhaltende massive Wirtschaftskrise, die Explosion von 2.750
Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut und ihre enge Kooperation mit dem
Regime in Damaskus haben sie bei der Mehrheit der Libanesen die letzten
Sympathien gekostet.
Israel könne den Libanon im Kriegsfall „in die Steinzeit zurückbomben“,
drohte Israels Verteidungsminister Joav Galant bereits im Juni. Im Libanon
zweifeln daher viele, ob es tatsächlich im Interesse der Hisbollah sein
könne, drusische Zivilisten auf den israelisch besetzten Golanhöhen
anzugreifen.
## Madschdal Shams unter Schock
In Madschdal Shams glaubt man ohnehin nicht, dass sich die Lage nun
dramatisch ändern wird. Faed Safad, ein geschockter Bewohner, sagte auf dem
von Blutlachen überzogenen Fußballplatz einem Reporter des israelischen
Fernsehsenders I24 zynisch: „Sie werden keine israelischen Kampflugzeuge
über Beirut sehen, denn wir sind hier doch nur die Peripherie und es ist
nur drusisches Blut. Anders wäre es, wenn es Tel Aviv getroffen hätte.
Netanjahu lässt uns im Stich.“
Während der Premierminister seinen USA-Besuch vorzeitig beendete und zurück
nach Tel Aviv flog, gab es am Samstag ein weiteres Massaker, das medial
kaum Aufmerksamkeit erhielt. Bei einem israelischen Luftangriff auf eine
Schule in Deir al-Balah im Gazastreifen wurden mehr als 30 Menschen
getötet. Sie hatten in dem Gebäude Zuflucht gesucht. In dem völlig
zerstörten Gebäude suchten Freiwillige auch am Sonntag nach weiteren
Opfern.
28 Jul 2024
## AUTOREN
Julia Neumann
Mirco Keilberth
## TAGS
Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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