| # taz.de -- Alzheimer-Forschung: Diagnose ohne Aussicht auf Heilung | |
| > Weltweit suchen Forschende nach Möglichkeiten, Alzheimer möglichst früh | |
| > zu diagnostizieren. Aufhalten lässt sich die Krankheit damit aber nicht. | |
| Bild: Das Ziel der Forschung für Patienten wie hier im Seniorenheim: selbstst�… | |
| Alzheimer ist längst auf dem Weg zur Volkskrankheit. Allein in Deutschland | |
| leben 1,8 Millionen Menschen mit dieser mit Abstand häufigsten Form der | |
| Demenz. Angesichts des demografischen Wandels wird [1][ihre Zahl in den | |
| nächsten Jahren weiter steigen]. Das Problem: Auch nach Jahrzehnten | |
| intensiver Forschung ist die Entstehung der Krankheit noch nicht | |
| vollständig verstanden. Auch Medikamente, die sie aufhalten könnten, gibt | |
| es noch nicht. Trotz des großen Bedarfs gaben viele Forschungseinrichtungen | |
| und Pharmaunternehmen die Alzheimer-Forschung sogar wieder auf – zu komplex | |
| erschien die Krankheit, zu gering die Erfolgsaussichten. | |
| Erst in den vergangenen vier bis fünf Jahren sei das Interesse wieder | |
| gestiegen, sagt Stefan Teipel, Leiter der Forschungsgruppe Klinische | |
| Demenzforschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in | |
| Rostock. „Man kann den Stand der Alzheimer-Forschung vielleicht mit dem der | |
| Krebsforschung vor 20 Jahren vergleichen. Wir verstehen die Krankheit immer | |
| besser und können sie früher diagnostizieren. Daraus entwickeln sich | |
| perspektivisch auch Therapieansätze.“ | |
| Vor allem ein Umstand erschwert die Forschung: Die Schädigung des Gehirns | |
| beginnt bei Alzheimer lange vor den ersten Symptomen. Zehn bis 15 Jahre | |
| können vergehen, bis sich die ersten kognitiven Ausfälle zeigen – | |
| Gedächtnislücken, Stimmungsschwankungen, Reaktionsschwächen oder | |
| Sprachschwierigkeiten. Zu diesem Zeitpunkt ist die Alzheimer-Demenz bereits | |
| weit fortgeschritten. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt dann bei | |
| zehn Jahren, sicherlich mit schönen Momenten, aber auch mit der Aussicht | |
| auf eine zunehmende Pflegebedürftigkeit. Ein wichtiges Ziel der Forschung | |
| ist es deshalb nicht nur neue Wirkstoffe gegen Alzheimer zu finden, sondern | |
| auch die Krankheit möglichst früh zu erkennen. | |
| Um eine Alzheimer-Erkrankung sicher [2][diagnostizieren zu können], gibt es | |
| zwei Standard-Biomarker-Verfahren. Bei der Positronen-Emissions-Tomographie | |
| (PET) suchen die Mediziner:innen nach typischen Eiweißablagerungen – | |
| so genannten Beta-Amyloid-Ablagerungen – im Gehirn. Bei fortgeschrittener | |
| Erkrankung ist auch eine Abnahme der Hirnmasse sichtbar. Die zweite | |
| Möglichkeit ist die Untersuchung des Nervenwassers auf Änderungen der | |
| Konzentration der beiden Proteine Abeta und Tau. Dafür entnehmen die | |
| Mediziner:innen das Nervenwasser mit einer Kanüle aus dem unteren | |
| Wirbelkanal. „Diese beiden Tests sind zwar in der Praxis sehr aufwendig und | |
| teilweise für die Patienten belastend, aber sehr zuverlässig in der | |
| Diagnose von Alzheimer und in der Abgrenzung zu anderen Demenzerkrankungen. | |
| Sie werden auch nicht anlasslos durchgeführt, sondern nur, wenn Symptome | |
| auftreten“, erklärt Teipel. | |
| ## Medikamente vor der Zulassung | |
| In der Entwicklung sind auch Bluttests, die die Abeta- und Tau-Proteine im | |
| Blut nachweisen sollen und mit einer geringeren Belastung für die Patienten | |
| verbunden wären. Auf einem Alzheimer-Kongress sei sogar ein Urintest | |
| angepriesen worden, berichtet der Psychiater. Doch weder Urin- noch | |
| Bluttests seien zuverlässig genug, um als alleinige Tests in der Praxis | |
| eingesetzt zu werden, auch wenn erste Bluttests in den USA bereits | |
| zugelassen sind. Über kurz oder lang werden Bluttests aber Eingang in die | |
| medizinische Praxis finden. Die Diagnose könnte dann schneller gestellt | |
| werden. Einziges Problem: Eine Behandlung, die den Verfall der Nervenzellen | |
| frühzeitig stoppen könnte, gibt es noch nicht. Eine schnellere, vielleicht | |
| noch symptomfreie Diagnose wäre vor allem eine Belastung für die | |
| Patient:innen. | |
| „Eine Diagnose ohne Aussicht auf Heilung ist in der Medizin grundsätzlich | |
| nichts Unbekanntes“, sagt Michael Wagner, Neuropsychologe an der | |
| Universitätsklinik für Neurodegenerative Erkrankungen und | |
| Gerontopsychiatrie in Bonn. Auch nach den herkömmlichen Biomarker-Tests | |
| gibt es für die Patient:innen keine Hoffnung auf Heilung, sondern | |
| lediglich eine gesicherte Diagnose zu ihren Symptomen. Damit verbunden sei | |
| eine Aufklärung über die Krankheit und die Perspektiven durch die | |
| Mediziner:innen, erklärt Wagner. Oft bekämen die Patient:innen und ihre | |
| Angehörigen auch noch psychologische Begleitung und die Adressen von | |
| Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen. | |
| Es gibt aber auch ein anderes Szenario: Bluttests könnten bald von | |
| kommerziellen Anbietern angeboten werden – zum Beispiel in den USA. Ein | |
| mögliches Angebot: Mit nur einem Tropfen Blut könnte man sein | |
| vermeintliches Alzheimer-Risiko testen lassen. Das Ergebnis käme per | |
| E-Mail, ohne ärztliche Beratung und psychologische Betreuung. Welche Folgen | |
| das für die Empfänger:innen hat, lässt sich nur schwer abschätzen – von | |
| einer großen psychischen Belastung durch eine unheilbare Diagnose bis hin | |
| zum Wunsch nach sofortiger Behandlung wäre vieles möglich. | |
| „Es wäre durchaus denkbar, dass nun mehr Patient:innen den Wunsch | |
| haben, eines der neuen Alzheimer-Medikamente einzunehmen. Aber die neuen | |
| Wirkstoffe sind bislang nur für Personen mit vorhandenen | |
| Gedächtnisbeschwerden getestet, nicht für Personen ohne Symptome“, sagt | |
| Teipel. Schließlich gibt es nicht nur bei den Biomarkern neue | |
| Entwicklungen. | |
| Erstmals stehen Medikamente kurz vor der Zulassung in Europa, die den | |
| Krankheitsverlauf möglicherweise bremsen können und in den USA bereits | |
| zugelassen sind. Dies kann Alzheimer-Patienten zumindest etwas Hoffnung | |
| machen. Anfang 2023 wurde in den USA der Antikörper Lecanemab zugelassen. | |
| Die europäische Arzneimittelbehörde dürfte bald folgen. Ein zweiter | |
| Antikörper, Donanemab, befindet sich noch im Zulassungsverfahren. Beide | |
| Medikamente sollen die Ablagerungen des Eiweißes Abeta im Gehirn | |
| beseitigen. Die Ergebnisse der klinischen Studien sind positiv. | |
| ## Alzheimer-Therapie: vergleichsweise hohe Kosten | |
| Ein Wundermittel sei das aber nicht, sagt Wagner. „Die Medikamente können | |
| die Krankheit etwas bremsen, haben aber auch Nebenwirkungen und die | |
| Therapie ist aufwendig. Man muss also von Fall zu Fall entscheiden, ob der | |
| Einsatz therapeutisch sinnvoll ist.“ Die Patienten bekommen den Wirkstoff | |
| intravenös verabreicht, je nach Wirkstoff einmal bis zweimal im Monat, das | |
| Ganze dauert jeweils zwei Stunden. Außerdem ist eine engmaschige | |
| Überwachung erforderlich. Bei 24 Prozent der Studienteilnehmer traten | |
| Schwellungen und kleinere Blutungen im Gehirn auf. | |
| Die Behandlung werde deshalb von Untersuchungen im | |
| Magnetresonanztomographen begleitet, berichtet er. Hinzu kommen die | |
| vergleichsweisen hohen Kosten von 20.000 bis 30.000 Euro pro Jahr und | |
| Patient. Trotzdem herrscht derzeit wieder Aufbruchstimmung in der | |
| Alzheimer-Forschung. Das liegt auch an einem weiteren vielversprechenden | |
| Ansatzpunkt der aktuellen Medikamentenforschung. | |
| Viele Forschungsgruppen suchen außerdem nach einem wirksamen Wirkstoff | |
| gegen das Tau-Protein. Es gilt als eine wichtige Ursache für das Absterben | |
| von Nervenzellen. Möglicherweise wäre eine Kombination von Wirkstoffen | |
| gegen das Abeta-Protein und gegen das Tau-Protein ein vielversprechender | |
| Weg, um die Ablagerungen im Gehirn zu bekämpfen – vielleicht sogar in einem | |
| noch früheren Stadium der Krankheit. | |
| So wird vermutet, dass sich zunächst Abeta-Ablagerungen im Gehirn bilden, | |
| denen dann vermehrt Tau-Ablagerungen folgen. Diese Kombination führt dann | |
| vermutlich zum endgültigen Absterben der Nervenzellen – wie und warum, | |
| haben die Forscherinnen und Forscher noch nicht vollständig verstanden. | |
| Allerdings lässt sich das tau-Protein deutlich schlechter mit Medikamenten | |
| bekämpfen als sein Partner Abeta. | |
| ## Patienten könnten mit Alzheimer leben | |
| Dennoch setzen die Forscherinnen und Forscher große Hoffnungen in ihn: | |
| Gelänge auch hier ein Durchbruch, könnte die Erkrankung im Gehirn gehemmt | |
| und vielleicht sogar gestoppt werden. Die Alzheimer-Demenz würde dann zu | |
| einer chronischen Krankheit, mit der die Patienten bis ins hohe Alter leben | |
| könnten, [3][ohne ihre Selbstständigkeit völlig zu verlieren]. | |
| Doch genau hier kommen die neuen Biomarker wieder ins Spiel – mit ihrer | |
| Hilfe könnten Mediziner:innen die Krankheit lange vor ihrem Ausbruch | |
| erkennen und eine entsprechende Therapie einleiten – vielleicht auch in | |
| Verbindung mit einem gesunden Lebensstil mit viel Bewegung und gesunder | |
| Ernährung. Bis es so weit ist, werden allerdings noch einige Jahre, | |
| vielleicht sogar Jahrzehnte vergehen. | |
| 24 Sep 2023 | |
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| Birk Grüling | |
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