| # taz.de -- „Music Can Hear Us“ von DJ Koze: Mit der Gondel ins Klanggebirge | |
| > Die Welt ist schlecht. DJ Koze und Gäste wie Markus Acher und Anja | |
| > Plaschg machen sein Album „Music Can Hear Us“ dennoch zum | |
| > Gesamtkunstwerk. | |
| Bild: Pamparecords-Headhoncho in Poncho: DJ Koze | |
| Berlin taz | Das Monster namens schlimme Entwicklungen drängt all das, was | |
| lebenswert ist, an vielen Orten in die Defensive. Immerhin, in Hamburg hat | |
| jemand ein Einsehen: DJ Koze. „Music Can Hear Us“ ist sein heute | |
| erscheinendes neues Werk betitelt. | |
| Im Walten des elektronischen Zeremonienmeisters wird das Unheil | |
| zurückgewiesen. Musik wirkt dabei als eine Art Tonikum. Es kann das | |
| Krisenherde-Monster zwar nicht fortzaubern, aber lindert durch forschende | |
| Weltaneignung wenigstens den Schmerz, den es verursacht. | |
| Was hört die titelgebende Musik von uns? „Sie kann spüren, was wir in den | |
| Tiefen empfinden. Sie hört unser Leid, unsere Hoffnung, unsere Emotionen. | |
| Mit jedem Atemzug. Eventuell kann Musik uns auch heilen,“ erklärt Koze der | |
| taz und spielt an auf ein geistesverwandtes Werk, das die positiven | |
| Fliehkräfte auch im Titel trägt. „Music Is The Healing Force Of The | |
| Universe“ vom US-Jazzsaxofonisten Albert Ayler, entstanden am Ende der | |
| 1960er Jahre, zu einer anderen Zeit, deren gesellschaftlicher Fortschritt | |
| ebenfalls ernsthaft bedroht war. | |
| ## Immer für uns da | |
| „Musik ist immer für uns da, gerade jetzt ist das wichtig,“ sagt Koze und | |
| verweist auf den Ecce- Homo-Effekt in seinem Sound. Wo man tagtäglich die | |
| Hände über dem Kopf zusammenstürzen möchte, wegen der Gesamtscheiße, klingt | |
| Kozes Musik so gar nicht nach Hinschmeißen. Dabei kommt sie ohne blinden | |
| Aktivismus daher, ist null selbstzufrieden und klingt auch nie zu | |
| beschaulich. In 14 Tracks fächert der Produzent auf unnachahmlich | |
| filmrissige Koze-Art einen Reigen auf. | |
| Nennen wir es Songwriter-House, perfekt, um barfuß auf der glühenden Lava | |
| eines Vulkans zu tänzeln, es könnte ja zum letzten Mal sein. „Ich kann mich | |
| kaum noch halten/Unter meinen Füßen fängt der Boden an zu schwanken“, singt | |
| Sophia Kennedy in dem angeschickerten Track „Der Fall“. Klimawandel, | |
| Faschismus, Krieg, alles sorgt hier für Eruptionen. | |
| Wie immer bei Koze, entstehen Reibungen im Zusammenspiel mit illustren | |
| Gästen (darunter der britische Popstar Damon Albarn, Sofia Kourtesis, | |
| Soap&Skin, Markus Acher und das japanische Vokal-Quartett Marewrew). Wo auf | |
| Feature-Alben gerne die Gaststimmen prätentiös nach vorne gemischt sind, | |
| lässt Koze neue Stimmen und alte Bekannte wie Sophia Kennedy und Ada in | |
| kontemplativen solistischen Momenten, wenn er Beats, Hooklines und Glitches | |
| weitab vom Schlachtengetümmel im Alleingang sondiert, im Grotesken und | |
| Ungewohnten glänzen. | |
| ## Schlaflied mit David-Lynch-Touch | |
| Ada inszeniert Koze mit einem Lullaby, der verblüffend nach David Lynch und | |
| Lana del Rey klingt. Er hat immer eine Wertschätzung für die Gäste, aber | |
| biedert sich nicht unnötig bei ihnen an. „Ich versuche ihnen ein Plätzchen | |
| zu schaffen, an dem ich sie immer schon gesehen habe, vielleicht sie selbst | |
| aber noch nicht. Und trotzdem hat es einen Bezug zu meinem | |
| Koordinatensystem.“ | |
| Koze fährt seit langem mehrgleisig. Früher als Teil von Fishmob, als | |
| Drittel des Trios International Pony, dann als schwer zu kategorisierender | |
| DJ-Don, Labelboss von Pampa Records, [1][richtig ernsthafter Popproduzent | |
| für Roísín Murphy], wobei er einräumt, dass ihn speziell dieser Job | |
| geschlaucht habe. | |
| All die kuratorischen Stränge führt der Hamburger auf „Music Can Hear Us“ | |
| zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. Ein Geleitwort bildet den Auftakt: „Out | |
| beyond ideas of rightdoing, or wrongdoing, there’s a field. And I meet you | |
| there,“ erklärt eine sonore Stimme. Jenseits von Schwarz-weiß-Denke und | |
| Nonstop-Positionierungszwang zitiert Koze den persischen Dichter Rumi, um | |
| sich zu verabreden. | |
| ## Meteorit verglüht | |
| Die Musik von „The Universe in a Nutshell“ nimmt die Hookline einer Sitar | |
| auf, spielt mit ihrem Klang. Der Beat erscheint als Klopfzeichen, die | |
| Hookline vervielfacht und verliert sich im Echo, das am Ende wie ein | |
| verglühender Meteorit am Himmel ausfadet. Damit ist der Ton gesetzt. Die | |
| Atmosphäre der Musik weckt Erinnerungen an die 1960er Jahre, als sich | |
| Popstars wie die Beatles in Indien seelische Heilung erhofften. Wir wissen, | |
| wie es ausgegangen ist. | |
| „Music Can Hear Us“ findet an keinem Ort innere Ruhe. Die Musik bleibt | |
| konstant in Bewegung, eignet sich beim Unterwegssein so viel Kultur an, | |
| dass dann mehrere Konferenzen bei der Körber-Stiftung über kulturelle | |
| Aneignung stattfinden könnten. Dabei zitiert Koze korrekt und behandelt das | |
| Ausgangsmaterial mit Würde. „Das Intro eröffnet meine Spielwiese und es | |
| gibt mir die Vogelfreiheit, damit ist alles erlaubt. Im Aufnahmeprozess war | |
| es dagegen das letzte Fitzelchen, da waren alle Tracks längst fertig, dann | |
| erst kam diese Stimme: Schön, dass Du da bist, es wird alles gut – auch | |
| wenn das jetzt noch keinen Sinn macht.“ | |
| [2][Das Unbeschwerte, drall-Lustige früherer Koze-Alben ist auch noch da,] | |
| in manch verzerrten Stimmen und Synthsounds blitzt es auf. Stärker im | |
| Vordergrund sind inzwischen Ängste, Alltagssorgen, all das, was die | |
| Leichtigkeit des Koze-Seins erschwert. Ende der Neunziger nannte sich | |
| Stefan Kozalla gelegentlich Adolf Noise, wenn er Lust hatte, HipHop | |
| dadaistisch aufzubohren. „Über das Pseudonym habe ich noch nie nachgedacht. | |
| Damals konnte man jedenfalls solche Wortspiele machen, weil es in sich noch | |
| so grotesk war. Die Nazizeit lag scheinbar weit zurück. Inzwischen hat | |
| alles in Rekordzeit eine brisante Wendung genommen.“ | |
| ## Draußen im Chaos | |
| Koze sagt, dass ihm der Aufstieg der AfD Angst macht, und spricht aus, was | |
| sehr viele Menschen denken. „Falls die gewinnen, gibt es keine taz mehr, | |
| kein FluxFM.“ Wo die Rechten auf die Scholle pochen, auf eine miefige | |
| Schildbürgerwelt, in der alles am „angestammten“ Platz steht, sucht Koze | |
| sein Heil draußen im Chaos der Welt und findet überall interessante | |
| Zugänge, neue Perspektiven. | |
| Die Hörer:innen nimmt er für seine Klangreise an die Hand. Anders als es | |
| die „Bliss Points“ beim Streaming vorschreiben, so schnell wie möglich | |
| Gesang einzusetzen, gibt es auf „Music Can Hear Us“ keine Instant-Grütze, | |
| der Mitsinghölle wird ein doppelter Boden eingezogen. „Normalerweise | |
| springt einen jedes Lied mit einem Refrain, mit einem Prelude an. Ich kann | |
| mich deswegen aber nicht nach den Hörgewohnheiten von anderen richten. | |
| Darin wäre ich nicht so gut. Meine Musik hat Tiefe, sie verlangt den Leuten | |
| ganz schön viel ab.“ | |
| Bei „What about us“ mit dem bedächtigen Brummen von Markus Acher, | |
| schlingert ein Trap-HiHat umher und zum Finale verschliert eine sprödere | |
| Fassung von Achers Stimme die Hookline. „Vamos a la Playa“, der balearische | |
| Sommerhit 1983 von Righeira wird in einer radikal- verlangsamten Version | |
| von Anja Plaschg (Soap&Skin) und Koze unter dem Titel „A Dónde Vas“ neu | |
| interpretiert, dass einem auf dem Dancefloor Gespenster begegnen und gleich | |
| nochmal als Reprise hinterher Gespenster in Zeitlupe. | |
| ## Fischkadaver am Strand | |
| Bereits das Original war subversiver, als es der Ballermann erlaubt. Da | |
| wimmelte es von stinkenden Fischkadavern am Strand. „Der Songtext ist eine | |
| ironische Anspielung auf radioaktive Strahlung und eine nukleare | |
| Katastrophe. Das war der absolute Megatrojaner. Als Zehnjähriger habe ich | |
| das null geschnallt.“ | |
| Spätestens mit der Gothic-Düsternis, die der Gesang von Soap&Skin nun | |
| verströmt, wird klar, dass das neue DJ Koze-Werk wie ein Komposthaufen | |
| funktioniert, der aus dem Abfall Nährstoffe filtert. Es klingt nicht immer | |
| schön, rumpelt gewaltig und tut manchmal weh. „An Hässlichkeit verschwende | |
| ich keine Zeit. Die existiert gar nicht in meiner Wahrnehmung von Musik. | |
| Eher ist das so eine entfremdete Düsternis. Ich zaubere unbehagliche Ebenen | |
| drunter, damit die Stimme transformiert wird. Wie bei einem Horrorfilm. | |
| Alles läuft gut, aber irgendwann siehst Du einen Umschnitt und hinterm Baum | |
| atmet einer tief. Ach Du Scheiße! Der Urlaub wird nicht gut enden, oder | |
| doch, aber man weiß es halt nicht.“ | |
| Die entscheidenden Wirkungstreffer auf „Music Can Hear Us“ setzt Sophia | |
| Kennedy, ob beim Scatten in „Buschtaxi“ oder beim Fluchtkrimi „Die Gondel… | |
| „Mit der Gondel ins Gebirge/Von wo aus ich verschwinde“. DJ Koze bleibt in | |
| seiner Musik immer hörbar. Auch wenn er anderen den Vortritt lässt. | |
| Bis es zur Zusammenarbeit mit der japanischen Vokalgruppe Marewrew kam, | |
| vergingen zwei Jahre. Das Quartett, das von der Nordinsel Hokkaidō kommt, | |
| interpretiert traditionelle Ainu-Gesänge. Koze begeisterte die | |
| Künstlerinnen mit seiner Idee: Er bettete den Gesang in ein indonesisches | |
| Gamelan-Ambiente mit Jazzgroove ein. „Die Melange muss irgendwie stimmen. | |
| Das ist Psychedelik für mich.“ | |
| 3 Apr 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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