# taz.de -- Aktivist über Revolution in Rojava: „Das Erreichte ist in Gefahr… | |
> Seit zehn Jahren besteht in Nordsyrien das demokratische Projekt Rojava. | |
> Felix Anton hat drei Jahre dort gelebt. | |
Bild: Eine pro-kurdische Demo im Hamburger Schanzenviertel 2019 | |
taz: Herr Anton, Sie haben drei Jahre lang in Rojava in Nordsyrien gelebt. | |
In Deutschland verbinden viele Menschen mit dieser Region vor allem Krieg. | |
Welche Bilder haben Sie im Kopf? | |
Felix Anton: Auch mir kommen erst einmal Bilder von Krieg in den Sinn. Aber | |
da ist auch noch viel mehr. Die meiste Zeit, die ich dort gelebt habe, war | |
friedlich. Ich habe vor allem die Menschen im Kopf, die dort leben und mit | |
denen ich viel Zeit verbracht habe. Viele kurdische, arabische und | |
christliche Familien, die dort friedlich zusammenlebten. | |
Was macht das politische Projekt in Rojava aus? | |
Alle Menschen haben dort unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit die | |
Berechtigung zur Teilhabe. Ein prägnantes Beispiel ist die | |
basisdemokratische Organisation in den Kommunen. Auch Ökologie spielt in | |
den Grundsäulen der Revolution eine wichtige Rolle. Insbesondere sollte man | |
herausstellen, dass Frauen auf allen Ebenen in die politischen | |
Entscheidungsprozesse einbezogen und in allen Strukturen der | |
Selbstverwaltung repräsentiert sind. Aus [1][feministischer Perspektive] | |
ist Rojava vielleicht das fortschrittlichste politische System. | |
Einer Ihrer inhaltlichen Schwerpunkte ist die Bildungspolitik. Wie wirken | |
sich die politischen Ideen Rojavas hier aus? | |
Zunächst stellt das Bildungssystem in Rojava ein Gegenmodell zum syrischen | |
Bildungssystem dar. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass vor allem junge | |
Frauen als Lehrerinnen arbeiten. Auch inhaltlich zeigen sich Veränderungen. | |
So ist die Frauenbefreiung Teil des Curriculums, ebenso wie die politische | |
Philosophie allgemein. Besonders ist auch, dass alle Kinder in der Schule | |
ihre Muttersprache lernen können und nicht mehr nur Arabisch gelehrt wird. | |
Das Projekt in Rojava ist stark umkämpft und bedroht. Was sind aktuelle | |
Herausforderungen? | |
Rojava ist sehr stark durch [2][Angriffe durch die Türkei] und | |
Dschihadisten gefährdet. Sie verkörpern das Gegenteil dessen, was in | |
Rojava erkämpft wurde. Diese Bedrohung ist auch aktuell wieder sehr akut. | |
Aber auch innerhalb Rojavas gibt es Schwierigkeiten, vor allem | |
wirtschaftlich. Das wird verstärkt durch den Klimawandel, unter dem Rojava | |
leidet. Das zeigt sich beispielsweise in schlechten Ernten und Problemen | |
mit der Wasserversorgung. Aktuell wirkt sich auch der russische | |
Angriffskrieg auf die Ukraine aus, beispielsweise durch die damit | |
verbundene Inflation. | |
Wie nehmen Sie den Diskurs um Rojava aktuell in Deutschland wahr? | |
Ich bin erschrocken, wie wenig in Deutschland in der Presse thematisiert | |
wurde, was aktuell mit dem [3][Nato-Beitritt von Finnland und Schweden] für | |
Kurd*innen verbunden ist. Man kann sagen, dass die Nato die Kurd*innen | |
für ihre politischen Ziele opfert. Das wurde hier eigentlich gar nicht | |
thematisiert, geschweige denn skandalisiert. | |
Warum ist es Ihnen darüber hinaus wichtig, die Revolution in Rojava | |
hierzulande zu thematisieren? | |
Zunächst stellt Rojava eine Hoffnung dar. Es zeigt, dass auch im 21. | |
Jahrhundert noch Revolutionen möglich sind. Dennoch ist das Erreichte immer | |
in Gefahr. Umso wichtiger ist es, darüber zu sprechen, was dort im | |
Konkreten passiert und was für die Menschen erreicht wurde. Dabei geht es | |
auch darum, was wir in Deutschland davon lernen können und welche | |
Schwierigkeiten sich einem stellen. | |
12 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Josephine von der Haar | |
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