| # taz.de -- Ärzt*innen, die Abtreibungen vornehmen: Nur 87 von 1.200 Ärzten g… | |
| > Die Bundesärztekammer hat eine sehr lückenhafte Übersicht darüber | |
| > erstellt, wer Abtreibungen durchführt. Die Ärztin Kristina Hänel steht | |
| > nicht darauf. | |
| Bild: Sie sei nicht gefragt worden, ob sie auf die Liste wolle, sagt Ärztin Kr… | |
| An welche Ärztin können sich Frauen wenden, die ungewollt schwanger sind? | |
| Diese Frage versucht die Bundesärztekammer (BÄK) auf ihrer Webseite zu | |
| beantworten. Seit Montag hat die Kammer eine entsprechende [1][Liste] | |
| online gestellt. Doch diese ist mehr als dürftig. Bisher stehen dort gerade | |
| mal 87 der rund 1.200 Ärzt*innen, die bundesweit Abtreibungen vornehmen. | |
| Und: 95 Prozent davon kommen aus Berlin und Hamburg. | |
| Die Liste ist Teil des Kompromisses, den SPD und Union nach langem Ringen | |
| um den Abtreibungsparagrafen 219a Strafgesetzbuch gefunden haben. Damals | |
| ging es um die Frage, ob Ärzt*innen selbst öffentlich darüber informieren | |
| dürfen, ob und wie sie Abtreibungen vornehmen. Der Paragraf hatte das zuvor | |
| als „Werbung“ verboten. Im Februar beschloss der Bundestag mit den Stimmen | |
| der Großen Koalition eine Reform: Nun dürfen Ärzt*innen informieren, dass | |
| sie Abbrüche durchführen. Für alles Weitere müssen sie aber auf andere | |
| Stellen verweisen. | |
| Diese Stelle soll die Bundesärztekammer sein. Im Frühjahr hatte die | |
| Bundesregierung diese daher beauftragt, eine Liste von Kolleg*innen zu | |
| erstellen, die Abtreibungen vornehmen – eine bundesweite Übersicht gab es | |
| bisher nicht. „Diese Liste hilft Frauen in Notlagen bei der Suche nach | |
| ärztlicher Hilfe in ihrer Nähe“, so BÄK-Präsident Klaus Reinhardt per | |
| Pressemitteilung. | |
| Doch das Problem ist nicht nur, dass die Übersicht nicht einmal zehn | |
| Prozent aller in Frage kommenden Ärzt*innen umfasst. Bis auf fünf | |
| praktizieren sie auch alle in Berlin und Hamburg. | |
| ## Drei Ärzt*innen aus NRW, zwei aus Hessen | |
| Das ist kein Zufall. Auf der [2][Webseite der Hamburger Gesundheitsbehörde] | |
| gibt es schon lange eine Liste mit den Adressen von Ärzt*innen in der | |
| Stadt, [3][Berlin hat 2018 nachgezogen]. Diese Ärzt*innen habe man | |
| schriftlich angefragt, ob sie auch auf der Liste der Bundesärztekammer | |
| auftauchen wollen, erklärt ein Sprecher der BÄK. Offenbar wollten nicht | |
| alle: Während die [4][Berliner Liste 80 Einträge zählt], sind auf der | |
| bundesweiten Liste nur 56 Mediziner*innen und Einrichtungen aus Berlin | |
| aufgeführt. | |
| Damit sind ungewollt Schwangere in Berlin und Hamburg allerdings noch immer | |
| deutlich im Vorteil gegenüber jenen, die in anderen Bundesländern leben. | |
| Aus Nordrhein-Westfalen stehen gerade mal drei Ärzt*innen auf der Liste. | |
| Aus Hessen sind zwei Ärzt*innen verzeichnet, welche auch noch in derselben | |
| Praxis arbeiten. Diese seien bereits im Vorfeld auf die BÄK zugegangen, | |
| erklärt der Sprecher. | |
| Alle anderen Bundesländer tauchen bislang gar nicht auf der Liste auf. Wer | |
| aber ungewollt schwanger ist, hat es eilig: Abtreibungen sind in | |
| Deutschland eine Straftat, unter bestimmten Umständen aber bis zur 12. | |
| Woche nach der Empfängnis straffrei. | |
| Sie sei nicht gefragt worden, ob sie auf die Liste wolle, sagt die Ärztin | |
| Kristina Hänel der taz. Aber selbst wenn: „Ich will nicht auf die Liste“, | |
| sagt Hänel. Sie hatte den Regierungskompromiss seinerzeit heftig | |
| kritisiert. | |
| ## „Wichtige Information fehlt“ | |
| Die Gießener Ärztin, die Abtreibungen in ihrer Praxis durchführt und | |
| darüber auch auf ihrer Webseite informiert, hatte 2017 die Debatte um den | |
| Paragrafen 219a angestoßen. Dieser verbietet „Werbung“ für den Abbruch der | |
| Schwangerschaft. Er war in seiner damaligen Fassung aber so weit gefasst, | |
| dass Hänel auch für den sachlichen Hinweis auf ihrer Webseite zu einer | |
| Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde. | |
| Sie will [5][notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen] und kämpft | |
| für die Abschaffung des Paragrafen. Aus ihrer Sicht gibt es vor allem | |
| deswegen ein Informationsdefizit, weil viele Ärzt*innen aus Angst vor | |
| Strafverfolgung nicht über ihr Tun informieren. | |
| „Auf der Liste der Bundesärztekammer fehlen viele Informationen, die die | |
| Frauen benötigen“, sagt Hänel. Die Liste enthält Namen und Kontaktdaten der | |
| Ärzt*innen sowie Informationen über in der Praxis gesprochene Fremdsprachen | |
| und die Angabe, ob medikamentöse oder operative Abbrüche angeboten werden. | |
| „Dort steht aber nicht, bis zu welcher Woche Abbrüche gemacht werden“, | |
| kritisiert Hänel. „Viele machen das ja nur bis zur 8. Woche nach der | |
| Empfängnis.“ Kaum einer mache Abbrüche bis zur 12. Woche. Bei den | |
| operativen Abbrüchen werde nicht aufgeschlüsselt, ob die Ausschabungs- oder | |
| die viel schonendere Absaugemethode angewandt werde, kritisiert Hänel. | |
| Auch die Kasseler Gynäkologin Nora Szász sagt der taz, sie sei weder | |
| gefragt worden noch wolle sie auf die Liste. Auch Szász stand mit ihrer | |
| Kollegin vor Gericht, weil Abtreibungsgegner die beiden wegen ihrer | |
| Webseite angezeigt hatten. Das Urteil gegen sie wurde jedoch wegen der | |
| neuen Rechtslage inzwischen aufgehoben. Auch sie hält die Liste für eine | |
| unzureichende Lösung. | |
| ## Schwer zu finden | |
| „Wer Abtreibungen macht, steht ohnehin im Fokus von Lebensschützern und | |
| Rechtsradikalen“, sagte Szász. „Gerade jetzt, wo Neonazis Namen sammeln, | |
| kann ich jeden verstehen, der sich nicht auf eine solche Liste setzen | |
| lassen will.“ Viel wichtiger sei, dezentrale Information zu ermöglichen. | |
| „Ungewollt Schwangere gehen erst mal auf die Webseiten der Ärztinnen und | |
| Ärzte in ihrer Umgebung“, sagt Szász. „Da müssen sie die Informationen | |
| finden, die sie brauchen, und zwar umfänglich und niedrigschwellig, nicht | |
| so kompliziert wie auf der Seite der Bundesärztekammer.“ | |
| Tatsächlich ist die Liste dort nicht so einfach zu finden. Auf der | |
| Startseite muss man zunächst den Reiter „Ärzte“ anklicken, nicht etwa | |
| „Patienten“. Im Unterpunkt „Versorgung“ findet man dann die Schaltfläc… | |
| „219a“, über diese kommt man dann auf die Seite mit den Informationen zur | |
| Liste und einem weiteren Link, der letztlich auf die Liste führt. Diese ist | |
| ein PDF ohne weitere Filtermöglichkeiten. | |
| Auch auf der Seite familienplanung.de der Bundeszentrale für | |
| Gesundheitliche Aufklärung ist die Liste nach mehreren Klicks zu finden, | |
| dort immerhin nach Postleitzahlen gebündelt. Dazu gibt es allgemeine | |
| Informationen zum Schwangerschaftsabbruch. „Eine Frau braucht da ja fast | |
| schon einen eigenen Leitfaden, nur um alle für sie wichtige Information | |
| zusammenzusammeln“, kritisiert Szász. | |
| „Stümperhaft“ nennt auch Gabriele Halder die Liste. Die Gynäkologin ist | |
| eine der 56 Berliner Ärzt*innen, die der Veröffentlichung ihres Namens | |
| zugestimmt haben. „Bei manchen fehlt sogar die Angabe der Methode. Da muss | |
| man doch nachfragen“, sagt sie. „Da wurde ein Minimalkonsens lieblos | |
| umgesetzt. Für einen Schritt nach vorne reicht das nicht.“ | |
| ## „Das liest kein Mensch“ | |
| Die Liste soll monatlich aktualisiert werden, sie dürfte sich noch füllen. | |
| Wie sehr, ist fraglich; die Bundesärztekammer plant offenbar nicht, | |
| Ärzt*innen gezielt anzufragen. Ärzt*innen, Krankenhäuser und Einrichtungen | |
| würden „unter anderem durch das Deutsche Ärzteblatt“ über die Existenz d… | |
| Liste informiert werden und könnten die Aufnahme beantragen, so ein | |
| Sprecher der BÄK auf Nachfrage. | |
| „Das liest doch kein Mensch“, sagt Friedrich Stapf. Der Münchener Arzt ist | |
| einer von wenigen, die in Bayern überhaupt Schwangerschaftsabbrüche | |
| durchführen. Sein Name steht noch nicht auf der Liste, er hat das | |
| Online-Formular auf der BÄK-Seite gerade erst ausgefüllt. Dieses sei | |
| „fürchterlich umständlich“, nun warte er auf Post, mit der er seine Angab… | |
| verifizieren solle. Dass es für die Liste großen Rücklauf geben wird, | |
| glaubt er nicht. „Das wird zahlreiche gar nicht erreichen.“ | |
| Auch für Stapf ist der Kompromiss im Streit um den 219a, den die Regierung | |
| nach monatelangem Ringen zustandegebracht hat, unbefriedigend. Das | |
| SPD-geführte Justizministerium habe das als Fortschritt verkaufen wollen, | |
| sagt er. „Aber das ist kein Fortschritt, und das wissen wir alle.“ | |
| 30 Jul 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordne… | |
| [2] https://www.hamburg.de/contentblob/4242250/234f9ed3697ef8d319b2e54e641bf619… | |
| [3] /Information-zu-Abtreibungen/!5487496 | |
| [4] https://www.berlin.de/sen/gesundheit/themen/schwangerschaft-und-kindergesun… | |
| [5] /Paragraf-219a-vor-dem-Oberlandesgericht/!5605274 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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