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# taz.de -- Abschied vom Okjökull: Wie wir unsterblich werden
> Island hat sich von einem Gletscher verabschiedet – und die Zeitgenossen
> mit einer Gedenktafel an ihre Verantwortung für den Klimawandel erinnert.
Bild: Auf den Menschen kommt es an: Wanderer auf dem ehemaligen Okjökull-Glets…
Island ist schon lange das Bali des Nordens, eine Projektionsfläche für
hitzefeindliche Zivilisationsmüde, die dort von der scheinbar unberührten
Natur bis zur [1][Elfen]-Mystik alles suchen, was sie daheim nicht zu
finden glauben.
Da ist es eine so hübsche wie traurige Ironie, dass die am Sonntag zum
Gedenken an den [2][Okjökull-Gletscher] auf Island angebrachte Plakette
sich mit ihrer Inschrift jeder Romantik verweigert. Hart wie ein gutes
[3][Brecht-Gedicht] nagelt sie die Konsequenzen menschlichen Handelns
beziehungsweise eben Nichthandelns fest. In den kommenden 200 Jahren würden
alle isländischen Gletscher das Schicksal des Okjökull teilen, heißt es
dort und weiter: „Dieses Denkmal bezeugt, dass wir wissen, was geschieht
und was getan werden muss. Nur ihr wisst, ob wir es getan haben.“
Nun wird man einwenden können, dass der Okjökull bereits 2014 die
wissenschaftliche Einstufung als Gletscher aberkannt bekam: Weil er, wie
wir inzwischen gelernt haben, schon damals nicht mehr schwer genug am
eigenen Eis trug, um sich fortzubewegen. Der Okjökull ist kein dynamisches
Gebilde mehr, er ist im Fachjargon „Toteis“ und ein Symbol. „Ein Gesicht
der Klimakrise“ nannte ihn denn auch die isländische Ministerpräsidentin
Katrin Jakobsdóttir, die an der Zeremonie im Westen der Insel teilnahm.
Wie es aber mit Symbolen und Gesichtern wie dem des Klimanotstands so
geschieht: Lange kann es nicht dauern, bis Schlaumeier hinausposaunen
werden, dass die Zeremonie für den armen Okjökull mehr CO2 in die Luft
geblasen hat, als wenn man auf sie verzichtet hätte: Auf der Gedenktafel
ist ja nicht umsonst die im Mai gemessene CO2-Konzentration vermerkt, der
höchste jemals von Menschen ermittelte Kohlendioxid-Gehalt in der
Erdatmosphäre.
## Die Natur des Menschen
Wer sich so im Klein-Klein verliert, verkennt die Größe des Problems. Was
wir heute tun – eher: was wir heute gegen die großen privatwirtschaftlichen
Interessen und ihre [4][Irren in der Politik] durchsetzen –, kommt nicht
mehr uns zugute, sondern den Nachgeborenen. Der Okjökull ist schon weg, so
wie ja auch die verbliebenen Gletscher in Deutschland sich
[5][verabschieden]. Der Klimawandel ist deswegen ein so faszinierendes
Phänomen, weil er die globale Gesellschaft auf die Probe stellt
beziehungsweise sie vielleicht überhaupt erst schafft: Heißt es „nach uns
die Sintflut“? Gibt es in der menschlichen Natur überhaupt so etwas wie
Verantwortungsgefühl für die zukünftige Menschheit?
Es sind diese gesellschaftlichen Fragen, an denen sich die Zukunft
entscheidet, nicht bare naturwissenschaftliche Fakten wie Gradzahlen oder
CO2-Konzentrationen. Die Gedenktafel auf dem nackten Felsen fragt, ob wir
in der Lage sind, für eine Zukunft Sorge zu tragen, die wir selbst nicht
mehr erleben werden. Man könnte auch sagen: Ob wir unsterblich werden
wollen, weil Zukünftige sich unserer erinnern – mit Zuneigung, hoffentlich.
19 Aug 2019
## LINKS
[1] https://www.verbrecherverlag.de/book/detail/2
[2] https://www.theguardian.com/environment/2019/jul/22/memorial-to-mark-icelan…
[3] https://www.youtube.com/watch?v=85Hx9ienmTs
[4] https://www.tagesschau.de/ausland/trump-groenland-103.html
[5] https://www.br.de/klimawandel/gletscher-bayern-alpen-schmelzen-klimawandel-…
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
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