# taz.de -- Kritik an Greta Thunberg: Keine Heilige, aber eine Visionärin | |
> Die Debatte über Thunberg ist infantil. Weder kann noch muss sie allein | |
> die Welt retten. Von der Überhöhung ihrer Person profitieren ihre Gegner. | |
Bild: Warum sollte Greta die Welt alleine retten sollen? | |
BERLIN taz | Greta Thunberg hat das Lebensgefühl vieler Menschen in einem | |
Satz zusammengefasst: „Ich will, dass ihr in Panik geratet!“ [1][Weil der | |
Klimawandel uns zerstört], und die meisten Menschen fressen weiter, als | |
hätten sie damit nichts zu tun. Wer die apokalyptische Dringlichkeit, das | |
Vorwurfsvolle, die Aufforderung zum revolutionären Handeln teilt und sieht, | |
wie eine junge Frau mit klaren Worten die verderbte Welt vor sich | |
hertreibt, die uralten Erzählungen von Schuld und Sünde triggert und für | |
eine gute Sache nutzt, der liebt sie. Wem diese Ökos schon immer auf Nerven | |
gingen, der hasst sie. | |
So werden Ikonen geboren: Die öffentliche Thunberg ist eine | |
Projektionsfläche, ein Medienphänomen, sie radikalisiert, sie entlarvt | |
viele vermeintliche Klimaschützer als Maulhelden. Einfach weil sie es kann: | |
Sie muss nichts umsetzen, keine Kompromisse schließen, keine Wahlen | |
gewinnen. Genau darin liegt ihre größte Stärke und ihre größte | |
Verletzlichkeit. | |
Klimaschutz ist ein moralischer Imperativ geworden, ein Dauerappell und die | |
Beilage zu jedem verdammten Schnitzel. Niemandem ist der Döner aus dem Mund | |
gerissen worden, keine Mallorcareise ist einen Cent teurer, aber ein Teil | |
der Öffentlichkeit fühlt sich eben in seiner inneren Ruhe behelligt. | |
Die vorgetragenen Argumente werden denn teilweise grotesk. „Das Gefühl, | |
moralisch auf der richtigen Seite zu stehen, fördert die Intoleranz und – | |
im schlimmsten Fall – die Aggressivität“, schreibt der | |
Rechtswissenschaftler [2][Volker Boehme-Neßler mit Hinweis auf | |
Fleischsteuerdebatten auf Zeit Online]. Zwar sind durch vernünftige | |
Argumente begründete, moralische Standpunkte die Grundlage jedweden | |
Diskurses – doch das kann man schon mal vergessen, [3][wenn es um die Wurst | |
geht]. | |
Ein Meisterstück der Demagogie lieferte der [4][Journalist Christopher | |
Caldwell in der New York Times ab], der behauptet, Greta Thunberg sei im | |
Konflikt mit der Demokratie selbst, weil ihre Argumente keine Alternativen | |
zuließen. Klimawandel sei zwar eine Gefahr, „aber zu sagen, ‚Wir können | |
nicht warten‘, heißt, sich ein ebenso gravierendes Problem einzuhandeln“, | |
schreibt er. Weil eben viele Menschen andere Prioritäten als das Klima | |
hätten. | |
Caldwell nennt also ein Argument Thunbergs, das der Dringlichkeit, als | |
schlicht nicht zulässig. Ein Muster, das sich in Deutschland wiederfindet: | |
Da ist die Freiheit selbst in Gefahr, allein wenn diskutiert wird, Konsum | |
zu verteuern. Natürlich kann sich eine Gesellschaft nach Austausch der | |
Standpunkte auf weniger Billigwurst und weniger Billigflüge einigen. | |
Das Problem ist, dass den meisten Gegnern dieser Maßnahmen nicht in den | |
Kopf will, dass politische Positionen, die sie immer vertreten haben, die | |
Klimakrise nicht lösen: Technologie und freie Märkte allein reichen nicht. | |
Aber wenn der intellektuelle Stolz verletzt ist, muss wohl die Freiheit | |
bedroht sein. Das nennt sich dann weltanschauliche Pfadabhängigkeit. | |
Thunberg wirkt wie ein Katalysator, sie beschleunigt die gesellschaftliche | |
Reaktion auf solche Denkfehler. Das Problem ist, dass nun Thunberg selbst | |
als moralische Instanz wahrgenommen wird. Die Überhöhung ihrer Person | |
treiben auch ihre Gegner lustvoll voran. Sie sei gehypt und | |
instrumentalisiert: „Von weltweiten Massenmedien, linken Aktivisten, | |
Umweltaktivisten, Geschäftemachern, Medienmachern, selbst von der radikalen | |
Antifa und (…) von jedem grünen Parteienpflänzchen“, schreibt Birgit Kelle | |
auf Focus Online. | |
Scheitert die Ikone Thunberg an ihrem eigenen Anspruch, so der Gedanke, | |
werden die moralischen Appelle hinter dem Klimaschutz an sich als | |
heuchlerisch entlarvt. Dass, wie die [5][taz enthüllte, für Thunbergs | |
Atlantiküberquerung im Segelboot] mehrere Flüge von Begleitpersonen nötig | |
sind, ist tatsächlich ein Problem: Thunberg hat sich in ihren Bemühungen, | |
es allen recht zu machen, verrannt. Ihr Team hat einen Fehler gemacht. Doch | |
das kann ihr nur guttun – nur Heilige machen keine Fehler. | |
15 Aug 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Greta-Thunberg-im-Hambacher-Forst/!5617198 | |
[2] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-08/politik-moral-trennung-klim… | |
[3] /Hoehere-Steuern-auf-Fleisch/!5614046 | |
[4] https://www.nytimes.com/2019/08/02/opinion/climate-change-greta-thunberg.ht… | |
[5] /Thunbergs-Segelreise-in-die-USA/!5615733 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
## TAGS | |
Greta Thunberg | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Umweltschutz | |
CO2 | |
Gletscher | |
Greta Thunberg | |
Ökologischer Fußabdruck | |
Greta Thunberg | |
Greta Thunberg | |
Schwerpunkt Hambacher Forst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abschied vom Okjökull: Wie wir unsterblich werden | |
Island hat sich von einem Gletscher verabschiedet – und die Zeitgenossen | |
mit einer Gedenktafel an ihre Verantwortung für den Klimawandel erinnert. | |
Gretas Segeltörn: Der Weg ist nicht immer das Ziel | |
Greta Thunbergs Atlantiküberquerung mit einer Rennjacht zum Klimagipfel von | |
New York mag dem Nervenkitzel dienen. Ansonsten ist sie unsinnig. | |
Debatte um Thunbergs Segelreise: Niemand schafft's allein | |
Selbst Greta Thunberg kommt nicht klimaneutral über den Atlantik. Ihre | |
Reise zeigt, dass manche Probleme nur kollektiv gelöst werden können. | |
Reisen fast wie Greta Thunberg: Emissionsfrei nach Amerika | |
Für ihre USA-Reise nutzt Greta Thunberg ein Segelboot. Gibt es einfachere | |
Methoden, den Atlantik umweltfreundlich zu überqueren? | |
Das Phänomen Greta Thunberg: Die bessere Realpolitik | |
Was weder Regierungen, Wissenschaftlern noch Öko-Verbänden gelang, hat | |
Greta Thunberg geschafft: das Thema Klima oben auf die Tagesordnung zu | |
setzen. | |
Greta Thunberg im Hambacher Forst: „Dieser Wald ist so wichtig“ | |
Die Aktivistin besucht die Waldbewohner*innen. Sie besichtigt den Tagebau, | |
steigt in ein Baumhaus und fordert den deutschen Kohleausstieg vor 2038. |