# taz.de -- Abkommen für Nordirland: Endlich wieder Bangers braten | |
> Großbritannien und die EU haben eine neue Regelung für den Handel mit | |
> Nordirland gefunden. Wie funktioniert die? Und warum geht's auch um die | |
> Wurst? | |
Bild: Reibungsloser Grenzverkehr? Ein Lkw in der Nähe des nordirischen Londond… | |
Was war noch mal das Problem mit dem bisherigen Nordirland-Protokoll? | |
Das Protokoll war Bestandteil des Brexit-Abkommens zwischen der EU und | |
Großbritannien. Es sollte eine harte Grenze mit Warenkontrollen zwischen | |
Nordirland und der Republik Irland vermeiden. Andernfalls, so befürchtete | |
man, könnte der gewaltsame Konflikt in Nordirland wieder aufflammen. Das | |
Protokoll regelte, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts blieb. | |
Unternehmen, die etwa Pflanzen- und Tierprodukte aus England, Wales oder | |
Schottland nach Nordirland lieferten, mussten deshalb zahlreiche Formulare | |
ausfüllen, um die Gesundheitsbestimmungen der EU zu erfüllen. | |
Einigen war das zu mühsam. Sie lieferten gar nicht mehr nach Nordirland, wo | |
viele Supermarktregale leer blieben. Dabei hatte der heutige britische | |
Premierminister Rishi Sunak das Protokoll im Wahlkampf 2019 noch als | |
Wunderheilmittel für den Brexit bezeichnet. Der damalige Premier Boris | |
Johnson, der es im Oktober 2019 unterzeichnet hatte, machte ihn aus | |
Dankbarkeit zum Schatzkanzler. Am Montag hat Sunak seine Meinung öffentlich | |
geändert: Gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen | |
verkündete er, [1][dass das Protokoll durch ein neues Abkommen – den | |
Windsor-Rahmenplan – ersetzt wird]. | |
Worauf hat man sich da nun geeinigt? | |
Das wichtigste Zugeständnis der EU: Das nordirische Regionalparlament kann | |
mit Hilfe Londons ein Veto gegen künftige EU-Lebensmittelrichtlinien | |
einlegen – sofern sie Nordirland betreffen und 30 Abgeordnete von | |
mindestens zwei Parteien das wünschen. Offenbar war von der Leyen so froh, | |
nicht mehr mit Sunaks chaotischem Vor-Vorgänger Boris Johnson verhandeln zu | |
müssen, [2][dass sie eingeknickt ist]. Die EU-Kommission schränkte aber | |
später ein, dass es sich um einen Not-Mechanismus handle, der nur in „sehr | |
außergewöhnlichen Umständen als letztes Mittel“ zur Anwendung kommen dürf… | |
Zudem könnte die EU in diesem Fall mit Gegenmaßnahmen antworten. | |
Die britische Regierung darf auch die Mehrwertsteuer für Nordirland | |
festlegen. Aber mit Einschränkungen: Lediglich unbewegliche Objekte wie | |
Windturbinen, Solaranlagen und Wärmepumpen dürfen mit reduzierten | |
Steuersätzen belegt werden. Und beim Warenverkehr aus Großbritannien nach | |
Nordirland gibt [3][es künftig eine rote und eine grüne Spur.] | |
Häh, grüne und rote Spur? Was soll das? | |
Grün ist für Waren, die ausschließlich für Nordirland bestimmt sind und | |
nicht durch den Zoll müssen. Rot ist für Waren, die in die Republik Irland, | |
also in die EU exportiert werden sollen und deshalb den Zollbestimmungen | |
unterliegen. Auch hier hat die EU-Kommission eine Anmerkung: Waren aus | |
Großbritannien, die in Nordirland bleiben, genießen zwar eine „erhebliche | |
Reduzierung“ von Zollkontrollen, aber „keine vollständige Beseitigung“. | |
Und: Noch hat die Democratic Unionist Party (DUP), die größte nordirische | |
Partei auf protestantisch-unionistischer, also pro-britischer Seite, nicht | |
zugestimmt. | |
Gibt es durch den Deal keine Grenze zwischen Großbritannien und Nordirland | |
in der Irischen See mehr? | |
Doch, die gibt es noch, aber man hat den Unionisten weisgemacht, dass die | |
Grenze nun zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU besteht, denn nur | |
Waren, die für den Weitertransport in die Republik Irland, also in die EU, | |
bestimmt sind, müssen die rote Spur benutzen. Allerdings gilt die grüne | |
Spur auch nur für Mitglieder des „Programms für vertrauenswürdige | |
Gewerbetreibende“. Nicht jeder kann aber diesem Programm beitreten. Und | |
wenn Großbritannien der EU nicht die relevanten Daten übermittelt, kann | |
Brüssel die grüne Spur auch stilllegen. In diesem Fall wäre „jeder | |
Warentransport denselben Bestimmungen unterworfen wie die Waren, bei denen | |
das Risiko besteht, dass sie in die EU gelangen“ könnten, erklärte Brüssel. | |
5 In Nordirland soll jetzt auch der „Würstchenkrieg“ befriedet sein. Wieso | |
das denn? | |
Rishi Sunak frohlockte nach der Unterzeichnung, dass Nordirland künftig | |
wieder in den Genuss britischer Würstchen komme. Er spielte damit auf den | |
sogenannten Würstchenkrieg an, wonach gekühlte Fleischprodukte laut | |
Nordirland-Protokoll nicht innerhalb Großbritanniens nach Nordirland | |
geliefert werden durften. Bei den Einschränkungen ging es aber nicht nur um | |
Würstchen, sondern auch um andere Lebensmittel und Medikamente. | |
Sind britische Würstchen für Nordirland denn so wichtig? Schmecken die | |
überhaupt? | |
Nun ja, je nachdem, wen man fragt: Die Briten schwören auf die elastische | |
Ware. Samstag ist bei ihnen Würstchentag. An keinem anderen Tag essen sie | |
mehr gestopfte Därme. Seit dem Zweiten Weltkrieg heißen die „banger“, also | |
„Knaller“, weil sie damals mit so viel Wasser gefüllt waren, dass sie in | |
der Pfanne explodierten. Eine besondere Spezialität ist die „Kröte im | |
Loch“: vier Würstchen in einem Yorkshire-Pudding-Mantel. | |
Sind mit dem Windsor-Rahmenplan neben dem Würstchenkrieg nun auch alle | |
anderen Probleme erledigt? | |
Nein. Ziel des Rahmenplans ist ja nicht nur die Einigung zwischen London | |
und Brüssel, sondern man hofft auch, dass die nordirische Regierung und das | |
Regionalparlament wiedereingesetzt werden. Die DUP war vor einem Jahr aus | |
Protest gegen das Nordirland-Protokoll aus der Regierung ausgetreten, weil | |
Nordirland als Teil des EU-Binnenmarkts anders behandelt wurde als der Rest | |
des Vereinigten Königreichs. | |
Ohne die DUP gibt es keine nordirische Regierung, denn die besteht laut | |
Belfaster Friedensabkommen von 1998 zwingend aus einer Koalition. Die | |
beiden stärksten Parteien auf protestantisch-unionistischer und | |
katholisch-republikanischer Seite stellen jeweils den Ersten Minister und | |
dessen Stellvertreter. In den vergangenen hundert Jahren waren die | |
Unionisten die größte Partei. Seit den Wahlen im vergangenen Mai ist aber | |
Sinn Féin, der ehemalige politische Flügel der Irisch-Republikanischen | |
Armee (IRA), die stärkste Partei und hat das Anrecht auf den Ersten | |
Minister. Zwar ist der Stellvertreter vollkommen gleichberechtigt, aber für | |
die Unionisten ist es eine Demütigung. Boykottiert die DUP weiterhin die | |
Regierungsbildung, kann Sinn Féins Michelle O’Neill nicht Erste Ministerin | |
werden. | |
DUP-Parteichef Jeffrey Donaldson sagte, dass man sich mit der Entscheidung | |
Zeit lassen werde. [4][Seine Partei ist zerstritten], die Hardliner | |
wittern, dass sie hereingelegt worden sein könnten. Sie glauben nicht ganz | |
zu Unrecht, dass es sich beim Windsor-Rahmenplan um das | |
Nordirland-Protokoll mit anderem Namen handle, denn die Provinz bleibt ja | |
weiterhin im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. | |
5 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Einigung-im-Brexit-Streit/!5918362 | |
[2] /Nordirland-Protokoll/!5919186 | |
[3] /Einigung-um-Nordirland-Protokoll/!5919151 | |
[4] https://www.sueddeutsche.de/politik/nordirland-dup-sunak-brexit-deal-1.5760… | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
Irland | |
Nordirland | |
Europäische Union | |
Großbritannien | |
Schwerpunkt Brexit | |
Kolumne Blast from the Past | |
Großbritannien | |
Nordirland | |
Irland | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt Brexit | |
Schwerpunkt Brexit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Großbritannien und Nordirland: Der deprimierende Ort im Königreich | |
Seit 102 Jahren hat Großbritannien Probleme mit Nordirland. Doch darüber | |
schweigt man öffentlich lieber – wie nach einer Explosion in London 2004. | |
Wissenschaft in Großbritannien: Ein Schritt zurück nach Europa | |
Das EU-Programm „Horizon“ bietet wichtige Kooperationen. Durch den Brexit | |
war Großbritannien raus – bis jetzt. | |
Nordirland nach dem Brexit: Eingebaute Zwangslage | |
Die nordirischen Unionisten blockieren das Nordirland-Abkommen. Aus | |
historischen Gründen sind sie regierungsentscheidend. Das ist ein Problem. | |
Irische Partei lehnt EU-Plan ab: Laborversuch in Irland | |
Der nordirischen Wirtschaft geht es schlechter als der Republik Irland. | |
Helfen kann, dass Nordirland im EU-Markt bleibt – doch eine Partei | |
blockiert. | |
Nordirland-Protokoll: Sieg der Vernunft | |
Brüssel und London müssen in der Welt zusammenstehen. Das funktioniert nur, | |
wenn sie sich vertragen. | |
Einigung um Nordirland-Protokoll: Rote Spur und grüne Spur | |
Im Streit um das sogenannte Nordirland-Protokoll zum Brexit gibt es eine | |
Einigung. Jetzt sind Nordirlands Unionisten am Zug. | |
Einigung im Brexit-Streit: Der Deal steht | |
Seit Jahren streiten die EU und Großbritannien über das | |
Nordirland-Protokoll. Nun haben sich beide Seiten auf eine Neufassung | |
geeinigt. |