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# taz.de -- Abituraufgabe zu rassistischem Text: Schlechte Wortwahl
> In einer Prüfungsaufgabe des Deutsch-Fachabiturs wurde rassistische
> Sprache verwendet. Eine Schwarze Schülerin kritisiert das, die Schule
> blockt ab.
Bild: Rassistische Texte im Abi: In Detmold haben die Kontrollinstanzen versagt
Berlin taz | Die Analyse von Kurzgeschichten liegt Emma K. Die Schülerin
aus einem kleinen Ort bei Bielefeld zögerte deshalb nicht lange, als sie
vorvergangenen Mittwoch im Deutsch-Fachabitur ihre Aufgabe aussuchen
sollte. „Aber als ich das Aufgabenblatt umdrehte, sind mir sofort diese
Worte ins Auge gesprungen“, erzählt sie am Telefon.
Mehrmals wird in der ihr vorgelegten Kurzgeschichte [1][„Eine schöne
Beziehung“] aus den 1980ern das N-Wort verwendet, rassistische
Einstellungen gegenüber Schwarzen Menschen reproduziert. „Grete Hehmke hat
doch Grund, an den Umgangsformen der Schwarzen zu zweifeln“, heißt es etwa.
Und: „Es gibt auch anständige N***.“
„Man kann eine gute Intention haben und das Ergebnis ist trotzdem
rassistisch“, kommentiert Tahir Della, Sprecher der Initiative Schwarze
Menschen in Deutschland (ISD), die Aufgabe. [2][Rassismus] ließe sich nicht
brechen, indem rassistische Redewendungen und Sprache verwendet würden. Die
Begriffe würden damit festgeschrieben, Rassismus bleibe Teil unseres
Sprachschatzes.
„Wir haben jetzt 2021. Warum kann in Schultexten nicht einfach die
politisch korrekte Bezeichnung für Schwarze Menschen verwendet werden?“,
fragt Emma. Die Schwarze Schülerin konfrontiert ihre Lehrerin. „Ich habe
sofort gefragt, warum wir einen solchen Text lesen müssen“, erzählt die
18-Jährige.
## Das Problembewusstsein fehlt
Sie könne daran nichts ändern und das sei auch nicht ihre Verantwortung,
habe die Lehrerin entgegnet, die sich auf wiederholte Nachfrage der taz
nicht zu dem Fall äußern will. Auch die Schulleitung des
Anna-Siemsen-Berufskollegs in Herford schweigt.
„Es gibt genug Schultexte, die antirassistisch sind, die anderen muss man
aus dem Verkehr ziehen“, fordert Della. Im Bezirk Detmold haben dahingehend
gleich mehrere Kontrollinstanzen versagt, wie aus der Antwort des
nordrhein-westfälischen Schulministeriums auf taz-Anfrage hervorgeht.
Die Aufgaben für die dezentrale Fachhochschulreifeprüfung Deutsch seien von
Fachlehrkräften mehrerer Berufskollegs gemeinsam erarbeitet und als
Prüfungsvorschlag zunächst den Schulleitungen und im Anschluss der
Bezirksregierung zur Genehmigung vorgelegt worden, heißt es aus dem
Ministerium. Nach der Genehmigung durch die Bezirksregierung sei die
Kurzgeschichte an den Schulen zum Einsatz gekommen. Laut Bezirksregierung
wurde der Text an 26 der 57 Berufskollegs im Bezirk Detmold verwendet.
Warum niemandem aufgefallen ist, dass eine Geschichte, die das N-Wort
nutzt, nicht ins Deutsch-Abi gehört? „Das Problembewusstsein fehlt“,
konstatiert Della. „Deswegen müssen wir davon ausgehen, dass es sich hier
nicht um einen Einzelfall handelt.“
## Noch ein rassistischer Vorfall
Immerhin: das nordrhein-westfälische Schulministerium scheint mit der
Aufgabenauswahl nicht glücklich gewesen zu sein. Insbesondere die Wortwahl
sei „aus heutiger Sicht problematisch“, könne große Betroffenheit vor dem
Hintergrund individueller Erfahrungen auslösen „und verfehlt dann
vollkommen die von dem progressiven Autor ursprünglich angestrebte
Wirkung“.
Die Wortwahl in der Aufgabenstellung ist aber nicht das Einzige, was Emma
problematisch findet. „Ich hätte mir gewünscht, dass meine Lehrerin mich
ernst nimmt und anerkennt, dass der Text verletzend für mich ist“, sagt
sie. „Und dann dafür sorgt, dass ich so eine Aufgabe nicht bearbeiten
muss.“ Stattdessen verweist die Lehrkraft ihre Schülerin an den Bezirk
Detmold.
Und so sind es Emma und ihre Mutter, die Kontakt zu Schulministerium und
Bezirksregierung aufnehmen. „Es ist wirklich sehr schwierig, sich
gleichzeitig auf die Prüfungsvorbereitung zu konzentrieren“, sagt die
Abiturientin. Außerdem hat sie Sorge, mit welchen Situationen sie in der
Schule noch konfrontiert werden wird.
## Schülerin kann Prüfung wiederholen
Zu Recht: Eine Woche nach dem Vorfall, am Tag der Englischprüfung, sprach
eine andere Lehrerin sie auf dem Schulhof an. Sie habe zwei Mal das N-Wort
verwendet, von Musikalität der Schwarzen geredet und Emma gefragt, ob sie
sich denn nicht integriert fühle, wie die Schülerin berichtet.
Emma ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, nichts in ihrer Biografie
deutet darauf hin, dass das anders sein könnte. Die Bezirksregierung
erklärt auf taz-Anfrage, die zuständigen Mitarbeiter*innen seien
[3][dafür sensibilisiert worden], die möglichen Auswirkungen von Texten auf
einzelne Schüler*innen in Prüfungssituationen noch stärker zu beachten.
Die pädagogische Dezernentin habe um Entschuldigung für die persönliche
Betroffenheit gebeten, Emma kann die Prüfung wiederholen. „Es geht hier
aber nicht nur um die Betroffenheit einzelner Schwarzer Schüler*innen“,
sagt Della, „wir sind als Gesellschaft insgesamt von Rassismus betroffen –
egal ob Schwarz oder weiß.“
Sich gegen Rassismus in der Schule zu wehren, dürfe nicht an einzelnen
Schüler*innen hängenbleiben. Schließlich gebe es eine extreme
Abhängigkeit im Schüler-Lehrer-Verhältnis. „In den wenigsten Fällen haben
die Schüler*innen den Mut, selbst dagegen vorzugehen“, so Della.
Vielmehr müssten angehende Lehrkräfte im Studium
Diskriminierungssensibilität lernen.
An Mut fehlt es Emma nicht. Sie engagiert sich bei der antirassistischen
Gruppe Rise Up in Bielefeld, am Samstag hat die 18-Jährige bei einer Demo
gegen Polizeigewalt zum Todestag von George Floyd eine Rede gehalten. „Das
hat mich empowert.“
2 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.verlag-bauer.de/UserFiles/Media/shop/deutsch_aufsatz_gym_8.pdf
[2] /Schwerpunkt-Rassismus/!t5357160
[3] /Gesetz-gegen-Diskriminierung-in-Berlin/!5770613
## AUTOREN
Franziska Schindler
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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