# taz.de -- 100 Tage Klimacamp in Bremen: Weit weg vom Ziel | |
> Seit mehr als 100 Tagen steht das Klimacamp vor dem Bremer Rathaus. | |
> Manche hier haben den Glauben an die Politik jedoch längst verloren. | |
Bild: Konsum und Protest in der City vereint: Tobias und Simon bevorzugen letzt… | |
BREMEN taz | Es ist [1][Tag 102]. Am Samstag wurde „gebührend gefeiert“, | |
schrieb das [2][Klimacamp Bremen bei Twitter]. Gibt es denn etwas zu | |
feiern? „Dass wir noch hier sind“, sagt Simon. „Das war eine große | |
Herausforderung“; die ganze Organisation, die Besetzung des Camps, das im | |
April errichtet wurde, um an das Pariser Klimaabkommen zu erinnern. | |
„Auf politischer Ebene gibt es noch keine Erfolge“, sagt Tobias. „Aber auf | |
Bürger*innenebene: Wir schaffen ein ständiges Bewusstsein.“ Die beiden | |
Aktivisten gehören zum Kernteam von sechs, sieben Leuten, die fast | |
dauerhaft im Camp wohnen. Eigentlich hatten sie sich gewünscht, dass mehr | |
Menschen mitmachen, sagt Simon. Bleiben will man hier mindestens bis zur | |
Wahl, am liebsten länger. | |
Direkt vor dem Rathaus, in dem Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) | |
arbeitet, gegenüber des Doms, steht das Klimacamp. Dort, wo der Wind in der | |
Regel für ordentlich Zug sorgt. Von hier aus lassen sich Wochenmarkt, | |
Touris, Stadtführungen und Polizeipatroullien beobachten. | |
Die Gespräche mit Passant*innen können herausfordernd sein, erzählt | |
Simon. Viele seien nicht gut informiert, dazu würden Menschen aus | |
klimaskeptischen oder -leugnerischen Strömungen kommen. „Und die | |
Vorstellung von einer Utopie, zu der wir uns hinentwickeln müssten, haben | |
die wenigsten. Sie wird im öffentlichen Diskurs auch nicht behandelt.“ | |
Einzelmaßnahmen, ja – „aber wie das alles zusammen geht und inwiefern auch | |
ein Verzicht auf Verbrauch oder Mobilität in dieser Utopie enthalten sein | |
muss, sind Fragen, die vom Politikbetrieb gescheut werden“. | |
Simon und Tobias sitzen auf bunt angemalten Palettenmöbeln unter dem Dach | |
eines einfachen Pavillons; neben ihnen stehen ein großes und sieben kleine | |
Zelte. An der Seite der vorbei flanierenden Passant*innen stehen ein | |
Plakat, ein Hochbeet, Töpfe mit Pflanzen. „Bei euch sieht es ordentlicher | |
aus als in Augsburg“, vergleicht eine Frau das Camp mit einem süddeutschen | |
Pendant und fotografiert die Aufbauten gut gelaunt. | |
Auch andere Urlauber*innen halten drauf: „Greta ist ihr Vorbild“, | |
kommentiert eine Frau die Fotos ihrer Tochter. Ebenso interessiert sind | |
Einheimische. Ein älterer Mann mit Rad schaut sich das Plakat an: „1,5 | |
Grad-Ziel einhalten, festes CO2-Budget und klimaneutral bis 2032“ steht da | |
drauf. Er ist schon öfter vorbei gefahren, jetzt bleibt er stehen. „Tja, | |
vielleicht bringen viele Maßnahmen zusammen mal was.“ Auch ein anderer | |
Passant glaubt, dass das Camp „gut ist, um Aufmerksamkeit zu generieren“. | |
Aufmerksamkeit, die Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) gar nicht lieb war: Er | |
legte im Frühjahr Beschwerde ein gegen den Beschluss des | |
Verwaltungsgerichts, das ein Verbot des Camps durch das Ordnungsamt gekippt | |
hatte. Doch das Oberverwaltungsgericht entschied, dass das Camp durch die | |
Versammlungsfreiheit gedeckt sei. | |
## Frustriert, aber nicht ängstlich | |
Das sehen wohl nicht alle so: Man sei schon beschimpft, bespuckt und mit | |
Eiern und Blumentöpfen beworfen worden, heißt es in der Mitteilung zum | |
100-tägigen Bestehen. | |
Manchmal ist es frustrierend, sagt Simon. Wenn Menschen immer wieder darauf | |
hinweisen: „Wir brauchen die Wirtschaft, die Arbeitsplätze, den Flughafen.“ | |
Diese „vereinfachten Sichtweisen“ und die fehlende Bereitschaft, „größe… | |
denken“ [3][machten keine Hoffnung]. Doch Tobias erlebt, dass selbst diese | |
Menschen den Aktivist*innen mit Respekt begegnen. „Die wollen schon, | |
dass sich was verändert.“ | |
„Ja, aber was? Wenn die an Veränderung denken, denken die an ein bisschen | |
mehr E-Mobilität und ÖPNV und weniger Plastik“, sagt Simon. Das führe zu | |
einem „unrealistischen Optimismus“. Auch der von ihm beobachtete Wunsch | |
vieler, in das „harmonische, routinierte Alltagsleben vor Corona“ | |
zurückzukehren, stehe „konträr zu dem, was wir brauchen“. Entsprechend | |
sieht die Zukunft für Tobias „düster“ aus. Angst haben die beiden nicht. | |
„Aber um mich geht es nicht“, sagt Simon. „Ich habe schon ein Leben | |
gehabt.“ | |
Einige aus dem Camp haben bereits mit verschiedenen | |
Bürgerschafts-Abgeordneten gesprochen. Am Mittwoch kommt sogar der | |
Bürgermeister. Tobias glaubt nicht, dass diese Gespräche viel bringen. „Die | |
Politiker*innen wissen ja, was sie da tun.“ Für Simon braucht es viel | |
eher die Gesellschaft, [4][die eine Veränderung wollen und tragen muss]. | |
Währenddessen läuten die Domglocken. Das passiere die ganze Nacht, sagt | |
Tobias, alle Viertelstunde. Müde sei er aber nur manchmal. Jetzt dröhnen | |
sie gleich für mehrere Minuten über den Platz: Es ist kurz vor zwölf. | |
3 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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