# taz.de -- +++ Krieg in der Ukraine +++: Schlangen an den Grenzübergängen | |
> Grenzschützer in Finnland und Kasachstan melden erhöhtes Aufkommen aus | |
> Russland. Der Kreml beklagt „Hysterie“ als Reaktion auf die Mobilmachung. | |
Bild: Autos an der russisch-finnischen Grenze in Vaalimaa, 23. September | |
## Kreml beklagt Hysterie nach Mobilmachung | |
Nach dem Befehl von Kremlchef Wladimir Putin zur Teilmobilmachung für den | |
Krieg in der Ukraine hat die Führung in Moskau „Hysterie“ im Land beklagt. | |
Zugleich schloss sie Reservisten mit bestimmten Berufen von der | |
Zwangsrekrutierung aus. So würden etwa IT-Spezialisten, Experten zur | |
Sicherung des Finanzsystems oder auch Mitarbeiter der Massenmedien, die zu | |
den „systemerhaltenden“ Berufen gehörten, nicht eingezogen, teilte das | |
Verteidigungsministerium in Moskau am Freitag mit. | |
Angesichts der Einberufung von Reservisten für den Krieg in der Ukraine | |
verließen Tausende Männer fluchtartig das Land. Der Exodus gilt als Gefahr | |
auch für die russische Wirtschaft. Schon nach dem von Putin angeordneten | |
Einmarsch in die Ukraine im Februar hatten Zehntausende Menschen das Land | |
verlassen. Für den Krieg in dem Nachbarland will Putin mindestens 300.000 | |
Reservisten einziehen lassen. (dpa) | |
## Verteidigungsministerium: IT-Spezialisten und Banker von Mobilmachung | |
ausgenommen | |
Beschäftige in einigen Sektoren werden nach Angaben des russischen | |
Verteidigungsministeriums keine Einberufungsbescheide erhalten. Dazu | |
gehörten unter anderem IT-Spezialisten, Banker sowie Journalisten, die für | |
staatliche Medien arbeiten, teilt das Verteidigungsministerium mit. Dies | |
sei notwendig um „sicherzustellen, dass die Arbeit bestimmter | |
Hightech-Industrien sowie das russische Finanzsystem“ angesichts der | |
Teilmobilmachung nicht beeinträchtigt werde. Unternehmen seien | |
aufgefordert, Listen mit Mitarbeitern zu erstellen, die die Kriterien des | |
Verteidigungsministeriums erfüllten. (rtr) | |
## UN-Kommission beklagt Kriegsverbrechen | |
Eine von den Vereinten Nationen (UN) beauftragte unabhängige Kommission ist | |
zu dem Schluss gekommen, dass in der Ukraine Kriegsverbrechen verübt | |
wurden. Diese Erkenntnis hätten die Gutachter nach Durchsicht von | |
Beweismitteln aus vier Regionen des Landes gewonnen, erklärt die Kommission | |
vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Die Ermittlungen konzentrierten sich | |
auf Kiew, Tschernihiw, Charkiw und Sumy. Dort untersuchte die Kommission | |
insgesamt 27 Tatorte und sprach mit mehr als 150 Opfern und Zeugen. (rtr) | |
## Lange Staus an der Grenze zu Kasachstan | |
Auch an der Grenze zu Kasachstan steigt nach Behördenangaben die Zahl der | |
Menschen aus Russland, die ihr Land verlassen wollen. Vier der insgesamt 30 | |
Grenzübergänge seien besonders belastet, heißt es in einer Mitteilung des | |
kasachischen Grenzschutzes, der dabei keine Zahlen nennt. Ein Augenzeuge, | |
der seinen Namen nicht nennen wollte, sagt der Nachrichtenagentur Reuters, | |
sie stünden bereits seit Donnerstagmorgen an der Grenze im Stau. Viele der | |
Menschen hier seien Männer in wehrpflichtigem Alter. Russische | |
Grenzschützer führten gründliche und langwierige Kontrollen durch. (rtr) | |
## Scheinreferenden in besetzten Gebieten der Ukraine gestartet | |
Die prorussische Verwaltung in besetzten Gebieten in der Ukraine hat mit | |
[1][Scheinreferenden über einen Beitritt zu Russland] begonnen. Die von | |
Russland unterstützte Verwaltung teilte mit, in den ukrainischen Regionen | |
Saporischschja, Luhansk und Donezk sei mit der Abstimmung am Freitag | |
angefangen worden. Die Volksabstimmungen werden von der Ukraine und dem | |
Westen abgelehnt und als völkerrechtswidrig betrachtet. Damit bereitet | |
Russland offenbar die Annektierung der ukrainischen Gebiete vor. | |
In der Region Cherson, die sich unter fast vollständiger Kontrolle | |
Russlands befindet, sollte ebenfalls am Freitag ein Referendum abgehalten | |
werden. | |
Bei den Scheinreferenden werden Bewohner gefragt, ob sie wollten, dass ihre | |
Region Teil von Russland werde. Es wird davon ausgegangen, dass das | |
Referendum so ausfällt, wie vom Kreml erwünscht. Russland könnte die | |
Scheinreferenden als Vorwand nutzen, um Angriffe der ukrainischen Soldaten | |
auf die besetzten Gebiete als Angriffe auf Russland selbst zu werten. | |
Dadurch gäbe es eine deutliche Eskalation des im Februar begonnenen Kriegs. | |
(ap) | |
## UN: Ungarns Außenminister trifft Lawrow | |
Ungarns Außenminister Peter Szijjarto hat sich am Rande der | |
UN-Vollversammlung in New York mit seinem russischen Amtskollegen Sergej | |
Lawrow getroffen. Sie hätten über Gaslieferungen und den Bau des | |
Atomkraftwerks von dem russischen Staatskonzern Rosatom in Ungarn | |
gesprochen, sagt Szijjarto in einem auf Facebook veröffentlichen Video. | |
(rtr) | |
## SPD-Politiker Roth will unbürokratische Visa-Lösung | |
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, spricht sich für | |
[2][Visa an russische Kriegsgegner] aus. „Ich bin sehr dafür, dass | |
Menschen, die nein sagen zu diesem faschistischen Krieg, dass Menschen die | |
sagen, wir wollen nicht in die Ukraine in diesen Krieg ziehen, und wir | |
wollen auch nicht diese putinsche Politik unterstützen, dass wir denen auch | |
im freien Europa eine Heimat bieten“, sagt der SPD-Politiker im ZDF. „Dafür | |
brauchen wir jetzt schnelle und unbürokratische Lösungen über Visavergabe, | |
auch über humanitäre Visa.“ Er hoffe, dass dafür von der Europäischen Uni… | |
und von Deutschland klare Signale kommen. Die von den EU-Staaten | |
vereinbarte Aussetzung einer vereinfachten Visavergabe für russische | |
Staatsbürger war Mitte September in Kraft getreten. Seit der | |
[3][Teilmobilmachung am Mittwoch] ruft die Opposition in Russland zu | |
Protesten auf. (rtr) | |
## Finnischer Grenzschutz meldet erhöhte Zahl der Einreisen | |
Finnland registriert an seiner Grenze zu Russland weiterhin ein erhöhtes | |
Aufkommen. Die Zahl der Einreisen von Russen habe sich am Donnerstag im | |
Vergleich zur Vorwoche verdoppelt, teilt der finnische Grenzschutz mit. | |
(rtr) | |
## Grüne und SPD plädieren für Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer | |
Grüne und SPD plädieren für eine zügige Aufnahme von russischen | |
Kriegsdienstverweigerern. „Wer sich als Soldat an dem völkerrechtswidrigen | |
und mörderischen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine nicht beteiligen | |
möchte und deshalb aus Russland flieht, dem muss in Deutschland Asyl | |
gewährt werden“, sagt Parlamentsgeschäftsführerin Irene Mihalic (Grüne) d… | |
Rheinischen Post einem Vorabbericht zufolge. SPD-Faktionsvize Dirk Wiese | |
sagt der Zeitung, allein die verschärften Strafen, die Menschen bei Entzug | |
der Einberufung drohen würden, „halte ich bereits nach jetziger Rechtslage | |
für ausreichend als Asylgrund.“ (rtr) | |
## Selenski ruft die russische Bevölkerung zum Widerstand auf | |
Der ukrainische Präsident Selenski hat die russische Bevölkerung zum | |
Widerstand gegen die Teilmobilmachung im Land aufgerufen. 55.000 russische | |
Soldaten seien seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar | |
bereits gestorben, sagte Selenski in seiner allabendlichen Videoansprache. | |
„Wollt ihr mehr davon? Nein? Dann protestiert dagegen. Kämpft dagegen. Lauf | |
weg. Oder ergebt Euch“, sagte Selenski weiter. | |
„Ihr seid bereits Mittäter all der Verbrechen, der Ermordung und Folterung | |
von Ukrainern“, sagte Selenski in seiner Videobotschaft in Richtung der | |
russischen Bevölkerung. „Weil ihr geschwiegen habt. Weil ihr weiter | |
schweigt.“ | |
Nun sei es „an der Zeit, zu entscheiden“, sagte Selenski. Für Männer in | |
Russland gehe es darum „zu sterben oder zu leben, zum Invaliden zu werden | |
oder gesund zu bleiben“. Für Frauen gehe es darum, „ihre Männer, Söhne, | |
Enkel für immer zu verlieren – oder sie vor dem Tod zu beschützen, vor dem | |
Krieg, vor einer Person“, sagte Selenski unter Bezugnahme auf Putin. (afp) | |
## Diplomatischer Schlagabtausch bei den Vereinten Nationen | |
In New York haben sich die verbalen Auseinandersetzungen zwischen Russland | |
und der vom Westen unterstützten Ukraine fortgesetzt. Moskau habe keinerlei | |
Interesse an Friedensgesprächen und „sucht nur nach einer militärischen | |
Lösung“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba vor dem | |
UN-Sicherheitsrat. Russischen Diplomaten warf er ein „außergewöhnliches Maß | |
an Lügen“ vor. Mit Blick auf den russischen Außenminister Sergej Lawrow, | |
der den Saal bei dem Treffen zur Ukraine rund 90 Minuten zu spät betreten | |
und dann direkt nach seiner Rede wieder verlassen hatte, sagte Kuleba: „Ich | |
habe heute auch bemerkt, dass russische Diplomaten genauso fliehen wie | |
russische Soldaten.“ | |
Lawrow wiederum warf dem Westen wegen dessen Waffenlieferungen und der | |
Unterstützung für Kiew eine direkte Einmischung in den Krieg vor. „Diese | |
Politik, Russland zu zermürben und zu schwächen, bedeutet die direkte | |
Einmischung des Westens in den Konflikt und macht ihn zu einer | |
Konfliktpartei“, sagte Lawrow bei seinem Kurzauftritt in der Sitzung des | |
UN-Sicherheitsrats. Die Position jener Staaten, „die die Ukraine mit Waffen | |
vollpumpen und ihre Soldaten ausbilden“, sei besonders zynisch. Ziel dieser | |
Unterstützung sei offensichtlich, die Kämpfe „trotz der Opfer und der | |
Zerstörung so lange wie möglich hinauszuzögern“, sagte Lawrow. (dpa) | |
## Kreml dementiert höhere Zahlen zu Mobilisierung | |
Zwar haben in Russland viele Menschen bereits ihren Einberufungsbescheid | |
erhalten. Berichte, wonach gar die Einberufung von bis zu einer Million | |
Reservisten möglich sei, stellte Kremlsprecher Dmitri Peskow jedoch als | |
Lüge dar. Das Internetportal der in Russland inzwischen eingestellten | |
Zeitung Nowaja Gaseta schrieb dagegen, Präsident Wladimir Putin habe dem | |
Verteidigungsministerium freie Hand zur Mobilisierung von bis zu einer | |
Million Mann gegeben. Dies stehe in Punkt 7 von Putins Erlass vom Mittwoch. | |
Dieser Punkt fehlte in der Veröffentlichung und war als „Nur für den | |
Dienstgebrauch“ eingestuft. | |
Die aus dem Exil agierende Zeitung berief sich in ihrem Bericht auf | |
angebliche Quellen im russischen Präsidialamt. Peskow selbst hatte am | |
Mittwoch gesagt, dass es im besagten Absatz des Erlasses um die Zahl der | |
Reservisten gehe. Es gelte jedoch, dass 300 000 Mann einberufen werden | |
sollten, wie es Verteidigungsminister Sergej Schoigu angekündigt habe. | |
Angesichts der vom Kreml verkündeten Mobilisierung versuchen viele junge | |
Männer, sich aus Russland abzusetzen. Zudem gab es in Moskau, Sankt | |
Petersburg und anderen Städten des Landes Proteste gegen den erzwungenen | |
Dienst an der Waffe – und Hunderte Festnahmen. | |
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sieht Putin spätestens mit der | |
Teilmobilmachung auch im eigenen Land massiv unter Druck. „Ich würde sagen, | |
es ist das Stadium erreicht, dass seine Autorität bröckelt“, sagte er am | |
Donnerstag in der ZDF-Sendung „maybrit illner“. „Er hat jetzt dem eigenen | |
Volk, den jungen Leuten Angst gemacht.“ Putins System lasse militärische | |
und politische Schwäche erkennen, was letztlich dazu führen könne, „dass | |
wieder Diplomatie Konflikte regelt und nicht Waffen“. (dpa) | |
## 120.000 Wehrpflichtige eingezogen | |
Neben der Mobilisierung von Reservisten hat Russland auch mit der | |
Einberufung von Rekruten für den gewöhnlichen Wehrdienst begonnen, die | |
einmal pro Halbjahr üblich ist. Diesmal wurden 120.000 Wehrpflichtige | |
eingezogen. „Die zum Wehrdienst einberufenen Bürger werden nicht zur | |
Teilnahme an der militärischen Spezialoperation in der Ukraine | |
herangezogen“, versicherte Generalstabs-Vertreter Wladimir Zimljanski. Der | |
Kreml folgt weiter beharrlich seiner Linie, den Krieg offiziell als | |
„militärische Spezialoperation“ zu bezeichnen. Zimljanski zufolge werden | |
auch die Wehrpflichtigen, deren Dienstzeit nun endet, entlassen und an | |
ihren Heimatort geschickt. In Russland dauert der reguläre Wehrdienst ein | |
Jahr. (dpa) | |
23 Sep 2022 | |
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