| # taz.de -- Feministisches Ausstellungsprojekt: Die Hydra unserer Zeit | |
| > Im kollaborativen Projekt „The desire for being many“ erkunden Berliner | |
| > Künstler*innen Widerstandsstrategien gegen autoritäre Backlashes. | |
| Bild: Blick in die Ausstellung „The desire for being many“ bei Neun Kelche | |
| Lillian Morrisseys Arbeit „Hydra“, eine Kombination aus Malerei und | |
| Stickerei, zeigt das antike Monster als zeitgenössische Karikatur. Die | |
| vielen Köpfe tragen die Züge einer rechtsextremen Medienlandschaft: Steve | |
| Bannon, Tucker Carlson, [1][Maximilian Krah]. In den Klauen hält sie | |
| Smartphone und Pistole. Es sind die Symbole einer Gegenwart, in der sich | |
| reaktionäre Kräfte vervielfältigen und feministische Errungenschaften unter | |
| Beschuss geraten. „Hydra“ ist eine von zahlreichen künstlerischen Arbeiten | |
| des feministisch-intersektionalen Ausstellungsprojekts „The desire for | |
| being many“. | |
| Es geht zurück auf die Initiative der Künstlerin, „die sich seit Längerem | |
| mit neofaschistischen Rollbacks und Entwicklungen auseinandersetzt“, | |
| erzählt die Kuratorin Katharina Koch. Morrissey suchte gezielt die | |
| Zusammenarbeit mit den Berliner Ausstellungsorten [2][„Neun Kelche“] sowie | |
| „alpha nova & galerie futura“. Später kam der Projektraum „Solaris“ hi… | |
| So nahm die Idee eines kollaborativen Projekts Form an: 18 Künstler*innen, | |
| drei Ausstellungsorte mit jeweils einmonatiger Laufzeit. | |
| Vor dem Hintergrund des konstatierten patriarchalen Backlashes formulierte | |
| das fünfköpfige Kuratorinnenteam seine Leitfrage: Welche Gegenstrategien | |
| lassen sich mit und durch künstlerische Produktion entwickeln? Der Titel | |
| der Ausstellung liefert eine Antwort in nuce. „The desire for being many“ | |
| ist ein Zitat von Sibylle Peters, aufgegriffen in [3][Ewa Majewskas] Werk | |
| „Feminist Anti-Fascism: Counterpublics of the Common“. Feministischer | |
| Antifaschismus erscheint hier nicht als heroischer Einzelkämpfer wie | |
| Herakles, der das antike Geschöpf am Ende bezwingt, sondern als plurales | |
| Begehren. | |
| „Das war für uns ein Aufhänger dafür, was Gegenstrategien sein könnten“, | |
| erinnert sich Koch. Widerstand müsse nicht immer als große Geste auftreten, | |
| „sondern auch in kleinen Akten Communitys und Öffentlichkeiten für diese | |
| Themen schaffen“. Zentral ist dabei die Idee der „counterpublics“, der si… | |
| formierenden Gegenöffentlichkeiten. Räume, in denen marginalisierte | |
| Gruppen, insbesondere FLINTAS* und queere Personen, die Möglichkeit zum | |
| Austausch erhalten und Handlungsmacht erfahren. | |
| Genau hier setzt das Projekt an. Die beteiligten Künstler*innen, viele mit | |
| transnationalen Erfahrungshintergründen und überwiegend in Berlin tätig, | |
| bringen ein vielstimmiges Geflecht an Perspektiven zusammen. Videoarbeiten, | |
| Malerei, Performance und Installation machen so auch die Überschneidungen | |
| von Ausgrenzungserfahrungen sichtbar. | |
| Vielstimmig gegen reaktionäre Kräfte | |
| Wichtig sei dem kuratorischen Team gewesen, nicht bei der Analyse des | |
| Ist-Zustands stehenzubleiben, betont Katharina Koch. Die Arbeiten reagieren | |
| auf „neofaschistische, antifeministische Backlashes, öffnen aber zugleich | |
| Räume für andere Zukunftsentwürfe“. | |
| So steht eine monumentale Vulva aus Stacheldraht im Projektraum „Neun | |
| Kelche“ in Berlin-Weissensee. Das Material evoziert Grenzregime und | |
| restriktive Politiken, wird jedoch von der Künstlerin angeeignet und in ein | |
| Statement gegen patriarchale Gewalt transformiert. Keramische Lautsprecher | |
| in Mundform betrachten die Abwertung des Wortes „gossip“ und rehabilitieren | |
| den Klatsch als subversive Praxis. Daneben hängt ein expressives Gemälde | |
| eines männlichen Redners, dem eine Menge erstaunter Katzen mit weit | |
| geöffneten Mäulern lauscht: Eine ironische Allegorie auf | |
| rechtspopulistische Rhetorik und ihre willige Zuhörerschaft. | |
| Videoinstallationen zeigen eine queere Freund*innengruppe, die vom | |
| ländlichen Russland nach Brandenburg geflohen ist, weitere Werke | |
| palästinensische Mütter in Berlin. In Rollenspielen werden feministische | |
| Zukunftsvisionen erprobt, andere Arbeiten erinnern an die Sit-ins von 1977 | |
| als Beispiel erfolgreichen kollektiven Handelns. In zusätzlichen | |
| Veranstaltungen trifft [4][Stand-up-Comedy] auf Tanzperformance. | |
| Von der Kritik zur Aktion | |
| Besonders deutlich verschränken sich Kunst und Aktivismus in der Arbeit | |
| „Exercising Collective Disobedience“ von Alexandra Ivanciu und Jolanta | |
| Nowaczyk. An allen Ausstellungsorten stehen mit Pillenpackungen gefüllte, | |
| transparente Boxen. Besucher*innen können die in Deutschland rezeptfrei | |
| erhältliche „Pille danach“ spenden. Sie werden an jene Personen | |
| weitergegeben, deren sexuelle Selbstbestimmung [5][in Ländern wie Polen] | |
| derzeit stark eingeschränkt ist. | |
| „The desire for being many“ versteht sich bewusst als offenes Projekt. „Es | |
| ist gut besucht. Alle bestätigen uns darin, wie wichtig es ist, ein Zeichen | |
| zu setzen“, berichtet Koch. Zugleich stellt sich die Frage nach dem Danach. | |
| Wie lassen sich solche Allianzen verstetigen, wie weitertragen? Die Antwort | |
| bleibt auch aus strukturellen Gründen vorläufig. | |
| „Projektgelder zu bekommen und die Situation der nicht-kommerziellen | |
| Galerien und Kunsträume in Berlin ist generell schwierig“, sagt Koch. | |
| Dennoch überwiege der Wille, dranzubleiben, ob als Ausstellung oder | |
| Veranstaltungsreihe – und der vielköpfigen reaktionären Hydra künstlerische | |
| Vielstimmigkeit entgegenzusetzen. | |
| 18 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Luca Klander | |
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