| # taz.de -- Kanzler-Besuch bei Netanjahu: Ein Merz für mutmaßlichen Kriegsver… | |
| > Bei seinem Antrittsbesuch versucht Merz, das angeschlagene Verhältnis zu | |
| > Israel zu kitten. Dafür lässt er sich vom israelischen Premier vorführen. | |
| Bild: Bundeskanzler Merz geht mit dem „lieben Bibi“ nach Gesprächen in Jer… | |
| „Ich verneige mich vor den sechs Millionen Männern, Frauen und Kindern aus | |
| ganz Europa, die von den Deutschen ermordet wurden“, liest Friedrich Merz | |
| mit kratziger Stimme vor. Der Bundeskanzler hat sich gerade eine Stunde | |
| durch die Ausstellung der Shoah-Gedenkstätte Yad Vashem führen lassen, Kopf | |
| gesenkt, Stirn gefurcht. Man sieht ihm an, dass ihn die Bilder und | |
| Geschichten von abgemagerten, erschossenen, vergasten Menschen nicht | |
| unberührt lassen. Nun trägt er sich ins Gästebuch ein. Es ist nicht sein | |
| erster Besuch in Yad Vashem, aber sein erster als Kanzler. Er schließt | |
| seinen Eintrag mit den Worten: „Deutschland muss für die Existenz und die | |
| Sicherheit Israels einstehen. Das gehörte zum unveränderlichen Wesenskern | |
| unserer Beziehungen.“ | |
| Merz spricht von „Wesenskern“, wo seine Vorgänger:innen Angela Merkel | |
| und Olaf Scholz einst [1][Staatsräson] sagten. Das ist ein neuer | |
| Zungenschlag. So sehr der Besuch des Bundeskanzlers in Israel den üblichen | |
| Bahnen folgte – ein Abstecher nach Yad Vashem gehört für jede deutsche | |
| Politiker:in zum Pflichtprogramm –, ist nicht nur der Tonfall anders. | |
| Der Kanzler hat sich auch viel Zeit gelassen. Erst sieben Monate nach | |
| Amtsantritt reiste er zu seinem israelischen Amtskollegen Benjamin | |
| Netanjahu. Merkel und Scholz waren schneller. Merz’ Zögern spiegelt die | |
| komplizierten deutsch-israelischen Beziehungen wider, die eng mit der Lage | |
| im Gazastreifen verknüpft sind. | |
| Nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 reagierte Israel mit einer immer | |
| brutaleren Offensive in Gaza, die Zehntausende palästinensische Zivilisten | |
| das Leben kostete. Als Israel die Angriffe ausweitete, Hilfslieferungen | |
| blockierte und die internationale Kritik wuchs, ordnete Merz im August | |
| einen Teilstopp von Rüstungsgütern an. | |
| ## Kein Widerspruch für den „lieben Bibi“ | |
| Die Beziehungen zum israelischen Regierungslager sanken erstmal unter den | |
| Gefrierpunkt. Auch aus den eigenen Reihen musste sich Merz viel Kritik | |
| anhören. Mit dem Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas | |
| vom Oktober sieht Merz nun keinen Grund mehr, Israel Waffen vorzuenthalten. | |
| [2][Mitte November beendete die Bundesregierung das Teilembargo] – obwohl | |
| Israel weiterhin Luftangriffe fliegt und weiterhin Menschen sterben. | |
| Bei der Pressekonferenz mit Netanjahu nach einem fast einstündigen Gespräch | |
| erwähnt Merz weder die Angriffe noch die Opfer. Er spricht zwar das | |
| „Dilemma“ der deutsch-israelischen Beziehungen an und betont die | |
| Zweistaatenlösung, widerspricht dem „lieben Bibi“ aber kaum, als dieser | |
| lächelnd sagt: Der Zweck eines palästinensischen Staates sei es, Israel zu | |
| vernichten. Deshalb werde man keinen unterstützen. „Israel wird immer ein | |
| souveräner Staat sein – vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer.“ | |
| Das klingt nicht nur wie die [3][antipalästinensische Variante des Slogans | |
| From the river to the sea], es ist eine klare Absage an die Forderung | |
| nach einer Zweistaatenlösung, die ja auch Teil des Waffenstillstandsplans | |
| ist. Merz steht daneben, mahlt mit den Kiefern und sieht aus, als hätte ihm | |
| Netanjahu Salz in den Kaffee geschüttet. | |
| Dass der Besuch schwierig werden würde, war absehbar. Merz näherte sich | |
| Jerusalem auf Umwegen. Am Samstag machte er einen Zwischenstopp in | |
| Jordanien, wo ihn Gardesoldaten mit Ehrenspalier empfingen und König | |
| Abdullah ihn zu einem frühen Abendessen lud. Merz lobte den König und pries | |
| die jordanische Flüchtlingspolitik als „besondere, großartige humanitäre | |
| Leistung“. In Jordanien leben 2 Millionen palästinensische Flüchtlinge, zum | |
| Teil seit Jahrzehnten. So warmherzig spricht Merz daheim nie über | |
| Asylpolitik. | |
| ## Vorabbotschaften aus Jordanien | |
| Der Kanzler nutzte den Zwischenstopp auch, um Netanjahu eine Botschaft zu | |
| senden. Man sei sich einig gewesen, dass nun der Einstieg in Phase zwei des | |
| Waffenstillstands gelingen müsse, appellierte der Kanzler. Dem Terror der | |
| Hamas müsse die Grundlage entzogen werden. Vor dem Winter brauche es aber | |
| auch mehr humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza. | |
| Auch hinsichtlich der Lage im Westjordanland sei er sich sehr einig mit dem | |
| jordanischen König: „Es darf keine Annexionsschritte im Westjordanland | |
| geben.“ Keine formellen, aber auch keine politischen, baulichen, faktischen | |
| oder sonstigen. „Wir müssen den Weg zur palästinensischen Staatlichkeit | |
| offenhalten“, so Merz noch forsch in Jordanien. | |
| Die zweite Phase des Waffenstillstands, die nach dem Plan von Präsident | |
| Donald Trump auf die Rückkehr der israelischen Geiseln folgen sollte und in | |
| der die Entwaffnung der Hamas und der Rückzug Israels aus dem Gazastreifen | |
| ansteht, ist allerdings die heikelste. Wer den Plan umsetzen und den | |
| Frieden sichern soll, bleibt unklar. Deutschland will sich heraushalten. | |
| In Jerusalem bleibt Merz bei mahnenden Worten. Netanjahus Absage an die | |
| Zweistaatenlösung kommentiert er beschwichtigend: Es ginge ja erst einmal | |
| darum, schrittweise den Friedensplan zu implementieren. Was den | |
| palästinensischen Staat anbelangt, so sieht Merz den erst am Ende eines | |
| Prozesses. „Es ist eine Hoffnung, die sich vielleicht erfüllt. Vielleicht | |
| auch nicht.“ Also sehr weit weg. Netanjahu lauscht der Simultanübersetzung | |
| und lächelt zufrieden. | |
| ## Bei Waffen geht die Freundschaft wieder los | |
| Auch um die heikle Frage des Gegenbesuchs laviert sich Merz herum. Gegen | |
| Netanjahu liegt ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vor, | |
| unter anderem wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen. Deutschland müsste ihn | |
| bei einem Besuch festnehmen. Dennoch hatte Merz zu Beginn seiner Amtszeit | |
| erklärt, es spreche nichts gegen eine Einladung. Heute sagt er, man habe | |
| darüber nicht gesprochen, und es gebe keinen Anlass. | |
| Der Kanzler bemüht sich sichtlich, die Beziehungen zu Israel zu kitten. | |
| Doch das Waffenembargo hat mehr Schaden angerichtet, als er wahrhaben will. | |
| Ob er ausschließen könne, dass sich eine solch „schreckliche Geschichte“ | |
| wiederholte, fragt ihn ein israelischer Journalist und Merz murmelt nur | |
| etwas von „besonderen Umständen“. | |
| Sein sanfter Ton stößt auf Kritik. „Der Bundeskanzler darf nicht als | |
| Zuschauer auftreten und Plattitüden verbreiten“, sagt Tsafrir Cohen von der | |
| Menschenrechtsorganisation medico international gegenüber der taz. „Es | |
| braucht realen Druck, insbesondere was die Sicherstellung humanitärer Hilfe | |
| für Gaza und die Bekämpfung der staatlich geduldeten Siedlergewalt im | |
| Westjordanland betrifft.“ Andernfalls mache sich Deutschland zum Komplizen | |
| der rechtsextremen Regierung. | |
| Trotz aller Spannungen gibt es auch Gemeinsamkeiten. Das Rüstungsgeschäft | |
| floriert wieder. Erst vergangene Woche nahm die Bundeswehr das israelische | |
| Luftabwehrsystem Arrow 3 in Betrieb. Das Verteidigungsministerium sprach | |
| von einem „deutlichen Signal der Verbundenheit“. Bei Waffen beginnt die | |
| Freundschaft offenbar von Neuem. | |
| 7 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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