| # taz.de -- Münchner Fotografieschau über Haiti: Den Exotismus überblenden | |
| > Die Fotografin Leonore Mau bereiste in den 1970ern Haiti. Das | |
| > Kunstkollektiv U5 nimmt in ihrer kritischen Ausstellung im Münchner | |
| > Lenbachhaus auf ihre Arbeit bezug. | |
| Bild: U5: „Foto-Studio“, Überlagerung von Leonore Maus Fotografien aus Hai… | |
| Bläulich-milchig pulsiert das Licht einer Projektion im Erdgeschoss [1][des | |
| Münchner Lenbachhauses]. Von der Mitte des Ausstellungsraums strahlen | |
| rechteckige Fotos gen Fußboden. Ein großes rundes Wasserbecken darunter | |
| fängt sie ein, reflektiert die erstaunlich kühlen Farbtöne der Bilder auf | |
| die Gesichter der Betrachtenden, die sich auf kleinen Hockern um die | |
| ungewöhnliche Diaschau versammelt haben. | |
| Das Wasser verwischt die Bildgrenzen, es weicht sie auf, lässt sie | |
| verschwimmen, macht sie unscharf, out of focus, wie es auch im Titel der | |
| Ausstellung heißt: „Out of Focus. Leonore Mau und Haiti“, kuratiert und | |
| konzipiert vom Züricher Künstler:innenkollektiv U5. | |
| Das Wasser in der runden, flachen Aluminiumschale ist so still und klar, | |
| dass nur ein paar auf ihm schwimmende Staubkörner seine Existenz beweisen. | |
| Man muss den Impuls unterdrücken, mit dem Finger nachzufühlen. Die | |
| aufflackernden Bilder so durch konzentrische Wellen zu stören. | |
| ## Wellenklänge zum Bild | |
| Eine Soundinstallation unterstreicht das Wasser, es rauschen und | |
| plätschern, rieseln und gluckern Wellenklänge durch die Lautsprecher. Der | |
| Klang des Meeres, der Wassermasse, des Windes. Er steht in starkem Kontrast | |
| zum hier vorhandenen, domestischen Tümpel, zur Auslegeware und zur | |
| zeltartigen Ausstellungsarchitektur aus mattweißer Bauplane, die in | |
| Zusammenarbeit mit ALIAS architects errichtet wurde und so den eigentlichen | |
| Raum verdeckt. | |
| In Leonore Maus [2][projizierten Bildern spielen Kinder], entfalten sich | |
| Straßenszenen voller Passanten, Lebensmittel, Leuchtreklamen, Tiere und | |
| Pflanzen. In Intervallen von sieben, vierzehn und einundzwanzig Sekunden | |
| wischen Mauern, Häuser, Rituelles und Feste über den Wasserspiegel. | |
| Dokumentarische Reisefotografie in Kleinbild und Mittelformat, meist in | |
| mattkörnigen Farben, teils in Schwarz-Weiß. Manchmal überlagern sich die | |
| Fotografien in der technischen Überblendung, erschaffen so ein neues Bild, | |
| die Illusion von Bewegung, und gleichen so in ihrer Unschärfe mehr vagen | |
| Erinnerungen denn entschiedener Dokumentationen. | |
| ## Mit dem Schriftsteller Hubert Fichte | |
| Die ausgebildete Pressefotografin Leonore Mau wurde 1916 in Leipzig | |
| geboren. Ab den 1960er Jahren lebte und arbeitete sie zusammen [3][mit dem | |
| Schriftsteller und Ethnografen Hubert Fichte]. Mit ihm reiste Mau unter | |
| anderem nach Ägypten und Marokko, Venezuela, Mexiko, Benin, Senegal, den | |
| USA und Brasilien. Zwischen 1972 und 1974 besuchten Mau und Fichte | |
| Martinique, Grenada, Trinidad, die Dominikanische Republik und Haiti. Wie | |
| auch auf ihren anderen Reisen dokumentierte Mau die Aufenthalte | |
| fotografisch. Im Zentrum der Recherchen der Karibikreisen Maus und Fichtes | |
| standen afrodiasporische Riten und Zeremonien. | |
| Viele der Aufnahmen, die im diktatorisch regierten Haiti [4][unter | |
| Präsident Jean-Claude Baby Doc Duvalier] entstanden, veröffentlichte Mau | |
| in deutschen Zeitschriften und Reisereportagen. Es sind häufig | |
| klischeehafte, exotisierende Bilder. Einige Aufnahmen zeigen rituelle | |
| Handlungen, etwa aus dem Voudou-Kult, und waren eigentlich nicht für die | |
| Öffentlichkeit bestimmt. Die betreffenden Bilder werden in der Münchner | |
| Schau nicht gezeigt, vielmehr wurden sie vor der Ausstellungseröffnung auf | |
| Wasser projiziert, das – auf diese Art „aufgeladen“ – in Keramikgefäße | |
| gefüllt wurde. | |
| Die vermeintliche Aura der Bilder residiert nun still und verborgen im | |
| Ausstellungsraum. Ihre Behältnisse haben die Form von Tieren: fantastische | |
| Wesen, freundliche Monster und Exzentrisch-Kreatürliches aller Art stapeln | |
| sich in einem säulenförmigen, gläsernen Regal im hinteren Teil der | |
| Ausstellung in die Höhe, recken sich durch die Zeltdecke in die | |
| vermeintliche Unendlichkeit darüber empor. | |
| ## Klassische Fragen der Bildtheorie | |
| Wem gehört das Bild? Wer sind die Menschen? Wie materialisiert sich | |
| gesellschaftliche Hierarchien? Subjektivität? Vermeintliche Wahrheit? Was | |
| reproduziert die Reproduktion? In „Out of Focus“ setzt sich das | |
| Genius-kritische Künstler:innenkollektiv U5 mit den klassischen | |
| Fragen der Bildtheorie auseinander und verfolgt dabei durchaus interessante | |
| und experimentelle Ansätze. | |
| Die wortwörtlich verflüssigten Fotografien verschwimmen für die | |
| Betrachtenden zu einer lebhaft-berauschenden Meditation. Sie hinterlassen | |
| Eindruck, ohne sich tatsächlich als konkrete Bildschablonen in der | |
| Erinnerung zu materialisieren, während die begleitende, umfangreich | |
| recherchierte Publikation von Dora Imhof, Gina Athena Ulysse und U5 (auf | |
| Deutsch und Haiti-Kreolisch) die vielen Ebenen vorsichtig und klug | |
| auseinanderpult. | |
| Nur die Ausstellungsarchitektur wirkt überfrachtet. Ein Zelt als stereotype | |
| Metapher des Kollektiven, Spärlichen, flüchtigen oder den | |
| Wasser-Himmel-blauen Teppichboden hätte die Schau im Lenbachhaus nicht | |
| gebraucht. | |
| 5 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hilka Dirks | |
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