| # taz.de -- Deutsches Beamtentum: Ohne ginge es besser | |
| > Unfaire Privilegien verschärfen die soziale Spaltung. Höhergestellte | |
| > Staatsdiener müssten abgeben. Profitieren würden die unteren | |
| > Einkommensgruppen. | |
| Deutlich mehr Netto vom Brutto als Angestellte, eine sehr gute | |
| Altersversorgung, zahlreiche Zulagen, Unkündbarkeit, automatische | |
| Gehaltssprünge alle paar Jahre, unbegrenzte Lohnfortzahlung im | |
| Krankheitsfall, privat krankenversichert – die Liste der Beamtenprivilegien | |
| ist lang. Genauso lang ist die Chronik der Kritik am Beamtenstatus. Um es | |
| vorab zu sagen: Diese Kritik ist berechtigt. Das Beamtentum sollte | |
| schrittweise abgeschafft werden, indem am besten ab morgen keine neuen | |
| Beamten mehr ins Amt gehoben werden – und das Staatswesen würde trotzdem | |
| nicht zerbrechen. | |
| Der Beamtenstatus – dieser ziemlich deutsche Sonderweg – hat sich aus zwei | |
| Gründen überlebt. Zum einen berührt er zunehmend eine Gerechtigkeitsfrage. | |
| Zwar wurde schon immer über die Privilegien der Beamten geklagt, doch | |
| dieser gesellschaftliche Konflikt, der am Ende eine Verteilungsfrage ist, | |
| spitzt sich seit einiger Zeit deutlich zu. So schürten die ständigen | |
| politischen Diskussionen über die Finanzierbarkeit der Renten, | |
| Altersgrenzen und das Rentenniveau Angst und Unsicherheit. Die – deutlich | |
| höhere – Pension hingegen ist ein völlig anderes System und wird direkt aus | |
| den Staatshaushalten bezahlt, ohne Diskussionen über Haltelinien und | |
| Rentenbeiträge. | |
| Das Allensbach-Institut – die genauesten deutschen Demoskopen – [1][hat | |
| kürzlich festgestellt, dass 79 Prozent der Bevölkerung Beamte für | |
| privilegiert halten]. 52 Prozent der Beamten sind demnach selbst davon | |
| überzeugt. Den Deutschen Beamtenbund packte im vergangenen September sogar | |
| das schlechte Gewissen, weil das Land Baden-Württemberg seinen Beamten | |
| neuerdings einen Zuschlag von fast 1.000 Euro ab dem dritten Kind gewährt. | |
| Man habe „Verständnis für den Unmut in der Bevölkerung“, teilte der | |
| Landesverband Baden-Württemberg etwas zerknirscht mit. Berechtigte Fragen | |
| danach, ob das alles noch gerecht zugeht, sind allerdings gefährlicher | |
| Zündstoff für den viel beschworenen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und | |
| der steht ohnehin unter Druck. | |
| Der Beamtenstand gehört außerdem abgeschafft, weil die Begründung für | |
| dieses Parallelsystem zunehmend fraglich ist. Die Grenze zwischen | |
| angestellten und verbeamteten Staatsdienern erscheint willkürlich und | |
| inkonsistent. So gingen in den vergangenen Jahren die meisten Bundesländer | |
| dazu über, neue LehrerInnen wieder zu verbeamten. Größeres Nettoeinkommen, | |
| mehr Sicherheit, mehr BewerberInnen – so lautete die einfache Losung. Als | |
| es mit der Verbeamtung in den ersten Ländern wieder losging, musste der | |
| Rest nachziehen. Das ist aber kein Sach-, sondern ein Konkurrenzargument. | |
| ## Im Genuss von Tarifverhandlungen | |
| Bleibt das Argument der „hoheitlichen Aufgaben“, die Beamten gerade in | |
| sensiblen Bereichen wie Justiz, Polizei und Verfassungsschutz erfüllen. | |
| Daraus leitet sich eine besondere „Treuepflicht“ der Beamten ab. Nur: Diese | |
| Treuepflicht lässt sich auch arbeitsrechtlich außerhalb des Beamtenstatus | |
| verankern. Schon jetzt müssen sich die Angestellten im öffentlichen Dienst | |
| laut Tarifverträgen „durch ihr gesamtes Verhalten zur [2][freiheitlich | |
| demokratischen Grundordnung] im Sinne des Grundgesetzes bekennen.“ Diese | |
| Formel lässt sich problemlos, je nach Einsatzfeld, verschärfen, um eine | |
| besondere Loyalität und Verfassungstreue zu garantieren. | |
| Widersprüchlich ist auch, dass die Beamtenlobby zwar den Sonderstatus ihrer | |
| Klientel betont, aber zugleich die Vorteile von Tarifverhandlungen ihrer | |
| schlechter gestellten Angestelltenkollegen mitnimmt: Wenn diese durch | |
| Arbeitskämpfe einen besseren Tarifvertrag aushandeln, wird die | |
| Tariferhöhung 1:1 für die Beamten übernommen. Mit anderen Worten: Die | |
| Angestellten auf dem Amt streiken, nehmen Lohnausfall und öffentlichen | |
| Unmut in Kauf, erkämpfen mehr Geld und die nicht streikenden Beamten | |
| kriegen dieselbe Steigerung ihrer Gehälter. | |
| Beamter oder Beamte zu sein, beruhte früher auf einem fairen Deal. Der Deal | |
| lautete aus der Perspektive des Staats: Du dienst mir und der Gesellschaft, | |
| du wirst bei mir nicht reich, aber ich sorge für dich und deine Familie bis | |
| an dein Lebensende. Dieser Deal hat gerade in den unteren Laufbahngruppen | |
| Sinn ergeben: Ein Lokführer zum Beispiel war früher Beamter im sogenannten | |
| mittleren Dienst und bekam ein eher karges Gehalt. Aber der Staat, in | |
| seinem Fall die früher staatliche Bundesbahn, sorgte für ihn, wenn er | |
| dauerhaft krank wurde, er stellte häufig eine günstige Dienstwohnung und | |
| sorgte für eine ausreichende Pension. | |
| Durch die Privatisierung von Post und Bahn haben sich die Proportionen | |
| zugunsten des höheren Dienstes – Studienrat und Regierungsrätin aufwärts �… | |
| deutlich verschoben. [3][Zuletzt haben Bundesbehörden vermehrt Beamte in | |
| den höheren Etagen eingestellt.] Inzwischen tauchen Beamte ganz oben in den | |
| Vermögensstatistiken auf. PensionärInnen sind nach der Einkommens- und | |
| Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamts die soziale Gruppe, | |
| [4][die im Durchschnitt am meisten besitzt; noch vor Selbstständigen.] | |
| Würde man pensionierte Justizsekretäre und Schutzpolizistinnen | |
| herausrechnen, würden pensionierte Oberstudienrätinnen und Staatsanwälte | |
| noch weiter oben stehen. | |
| ## Lieber beamtet als selbständig | |
| Wenn sich heute ein junger Mensch entscheidet, im Alter wohlhabend werden | |
| zu wollen, wäre es also nur logisch, die Laufbahn als höherer Beamter | |
| anzustreben, anstatt sich selbständig zu machen. Als Selbstständiger oder | |
| Unternehmer kann man sehr reich werden, aber eben auch scheitern. | |
| Allerdings ist zweifelhaft, ob es die Aufgabe des Staats sein muss, | |
| wohlhabende Staatsdiener zu produzieren. Er setzt damit die falschen | |
| Anreize und bestraft indirekt Selbstständigkeit und Risikobereitschaft. In | |
| diesem Punkt muss man der FDP ausnahmsweise Recht geben. Natürlich sollen | |
| Staatsdiener auskömmlich finanziert werden, aber die Vermögensstatistiken | |
| zeigen, dass die Proportionen mit Blick auf die höheren Laufbahnen und | |
| besonders [5][die anschließende Pension] völlig aus dem Ruder gelaufen | |
| sind. | |
| In den deutlichen finanziellen Unterschieden zwischen oben und unten | |
| innerhalb der Beamtenschaft zeigt sich im Grunde bis heute die alte | |
| preußische Klassengesellschaft. Ein Schuldirektor sollte an seinem Status | |
| als gehobener Bürger erkennbar sein, während der Schutzpolizist niederen | |
| Standes und praktisch ein Arbeiter in Uniform war. Daran hat sich bis heute | |
| nichts geändert. Eine junge Polizeimeisterin geht mit [6][3.000 Euro | |
| brutto] nach Hause, während die Studienrätin mit gleichen Eckdaten mit | |
| 4.800 Euro startet. Die Unterschiede werden am Ende des Berufslebens noch | |
| größer: [7][3.800 Euro stehen 6.100 Euro gegenüber]. Ein gewisser | |
| Unterschied ist wegen der höheren Verantwortung, der längeren Ausbildung | |
| und der komplexeren Tätigkeit von GymnasiallehrerInnen sicherlich | |
| gerechtfertigt, keinesfalls aber in dieser Höhe. | |
| Das Beamtentum überdehnt die Unterscheidung zwischen Hand- und | |
| Kopfarbeiter. Da ist die Privatwirtschaft offener: Eine Facharbeiterin, die | |
| ihren Meister macht, kann in der Metallindustrie schnell 5.000 Euro | |
| erreichen. Das Beamtenrecht, das auf den berühmt-berüchtigten | |
| „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“ fußt, zementiert auf | |
| ziemlich althergebrachte Weise die Klassengesellschaft. Das jüngste | |
| [8][Urteil des Bundesverfassungsgerichts], das die Bezüge von Berliner | |
| Beamten als zu niedrig einstufte, hat dies im Grunde indirekt bestätigt. Es | |
| bemängelte zu niedrige Bezüge in den mittleren Stufen A7 bis A9 – nicht | |
| aber in den höheren Stufen. | |
| Als Angestellte könnten Polizisten und Sachbearbeiterinnen durch | |
| Tarifverhandlungen, Streiks und mit Gewerkschaften im Rücken für ein | |
| deutlich besseres, faires Einkommen kämpfen, ohne im starren | |
| Besoldungssystem gefangen zu sein. Angestellte, die an die Stelle der | |
| heutigen höheren Beamten treten würden, müssten bei der Pension, die dann | |
| eine Rente wäre, deutliche Abstriche machen. Aber es wäre mit Blick auf | |
| vergleichbare Berufe in der Privatwirtschaft nur gerecht – und sie wären de | |
| facto immer noch unkündbar, weil es im öffentlichen Dienst praktisch keine | |
| Kündigungen gibt. | |
| ## Als Angestellte lebt es sich freier | |
| Künftige Angestellte, die nicht mehr verbeamtet werden, profitierten auch | |
| selbst: Sie wären freier. Höherer Beamter zu sein, bedeutet allzu oft, in | |
| einem goldenen Käfig gefangen zu sein. Nicht wenige mittelalte Beamte | |
| dürften heimlich die Jahre bis zur Pensionierung abzählen: Sie haben | |
| innerlich mit ihrem Beruf abgeschlossen, halten aber noch durch, weil sie | |
| ihre gute Pension nicht gefährden wollen, die in den höheren | |
| Laufbahngruppen bei einem langen Leben insgesamt die | |
| Eine-Million-Euro-Schwelle erreichen kann. | |
| Der Gedanke, im letzten Drittel oder Viertel des Lebens mit genug Geld im | |
| Rücken endlich das tun zu können, worauf man Lust hat, kann oft in Richtung | |
| Selbstbetrug gehen, denn wird man es dann noch tun können? Ein Angestellter | |
| ist da flexibler, denn er kann in seinem Berufsleben alles Mögliche tun und | |
| ausprobieren, während er in ein und dieselbe Rentenkasse einzahlt. Bleibt | |
| die Frage, warum keine der Parteien die Abschaffung des Beamtentums | |
| fordert. Die Antwort ist einfach: Beamte spielen in den Parteien eine | |
| überproportional große Rolle. | |
| Historisch gesehen waren CDU und CSU die klassischen Beamtenparteien. Die | |
| Bildungsrevolution der 1970er und die Ausweitung pädagogischer, | |
| wissenschaftlicher und sozialer Berufe im öffentlichen Dienst sorgte für | |
| deutlich mehr Beamte und für mehr links denkende Beamte. Die SPD wurde, was | |
| ihre Mitgliederstruktur angeht, zunehmend zur „Lehrerpartei“, die Grünen | |
| zogen nach. Heute sind Grüne und SPD die Parteien [9][mit dem höchsten | |
| Anteil an Beamten in ihrer Mitgliederschaft]. Und im Bundestag sind solche | |
| Abgeordneten, die aus dem öffentlichen Dienst kommen, [10][deutlich | |
| überrepräsentiert]. | |
| Die Interessenverflechtungen sind einfach zu stark, als dass aus Parteien | |
| und Parlamenten das Beamtentum aus Prinzip zur Disposition gestellt wird. | |
| Wahrscheinlicher ist, dass die hohen Pensionskosten Bewegung in die Sache | |
| bringen werden. Diese haben sich insgesamt [11][in den vergangenen 17 | |
| Jahren sage und schreibe auf 90 Milliarden Euro verdoppelt]. In einer Zeit, | |
| in der das viel niedrigere Rentenniveau politisch angegriffen wird, sollte | |
| es eigentlich selbstverständlich sein, dass sich die Regierungen in Bund | |
| und Ländern die Pensionen einmal genauer angucken – und damit den | |
| Beamtenstatus gleich mit. | |
| 12 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.faz.net/aktuell/politik/allensbach-umfrage-die-privilegierten-b… | |
| [2] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/glossareintraege/DE/F/fdgo.html | |
| [3] https://publicgovernance.de/html/de/meldung-stellenzuwachs-bei-beamten-in-b… | |
| [4] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Themen/Klassen_und_Sozial… | |
| [5] /Rente-in-der-Zukunft/!6132208 | |
| [6] https://www.ausbildung.de/berufe/polizist/gehalt/ | |
| [7] https://www.nlbv.niedersachsen.de/bezuege_versorgung/besoldung/besoldungsta… | |
| [8] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/20… | |
| [9] https://www.bpb.de/themen/parteien/parteien-in-deutschland/zahlen-und-fakte… | |
| [10] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/454090/umfrage/mitglieder-d… | |
| [11] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/160022/umfrage/ausgaben-des… | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Hinck | |
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