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# taz.de -- Palliativmedizinerin übers Sterben: „Stille ist was Feines“
> Friederike Boissevain hat ein Hospiz auch für Kinder gegründet. Ein
> Gespräch über den Umgang mit Sterbenden und ihre langjährige
> buddhistische Praxis.
Bild: „Ich muss die Offenheit und den Mut mitbringen“, sagt Friederike Bois…
taz: Frau Boissevain, war es leicht, ein Hospiz mitten in eine beschauliche
Wohnsiedlung zu setzen?
Friederike Boissevain: Es war nicht leicht – zumal nicht Staat oder Kirche,
sondern ein privater gemeinnütziger Verein der Träger ist. Ich musste bei
der Landes- und Kommunalpolitik einige Überzeugungsarbeit leisten, vor
allem für die Finanzierung. Und was die Anwohnerschaft betrifft: Die
Bedenken sind selten laut geäußert worden, sondern waren eher
unterschwellig. Denn zum einen blockiert unser Hospiz die Sicht auf eine
freie Wiese. Auch haben wir von Anfang an gesagt, dass nun häufiger der
Leichenwagen vorfahren wird, auch tagsüber. Und da es ein junges Wohngebiet
ist, werden auch kleine Kinder das sehen und Fragen stellen. Überhaupt wird
es mehr Betrieb geben, wenn hier ein Haus entsteht, in dem gestorben wird.
taz: Welche Bedenken?
Boissevain: Sie haben sich gesorgt: Was macht das mit meiner Ruhe, mit
meiner Psyche? Sie haben gefragt, ob der Notarzt oft kommt, ob der
Hubschrauber landet – dabei ist das hier ja kein Krankenhaus. Sie wollten
wissen, ob das ansteckend ist. Ob sie hinschauen dürfen, wenn die kranken
Kinder und Erwachsenen durch die Siedlung laufen oder gefahren werden. Ob
man sie ansprechen darf. Andere haben gefragt, ob man mal eine Suppe
vorbeibringen und sich ehrenamtlich engagieren kann.
taz: Konnten Sie die Sorgen zerstreuen?
Boissevain: Wir haben Informationsveranstaltungen gemacht und es versucht.
Aber diese Sorgen – das sind Gefühle. Die kann ich nicht durch Aussagen wie
„Nein, das ist nicht ansteckend“ oder durch Sachinformation abmildern. Ich
kann nur zum Dialog einladen. Kürzlich hatten wir zum Beispiel einen Tag
der offenen Tür für kranke und gesunde Kinder und ihre Eltern. Da konnten
die Kinder basteln, aber auch mal Lifter und Rollstuhl ausprobieren. Und
ein Bestattungsunternehmen hatte einen Kindersarg zum Bemalen zur Verfügung
gestellt.
taz: Wie kam das an?
Boissevain: Wir waren anfangs unsicher, aber es wurde sehr gut angenommen.
In dem Sarg war ein Herzchenbettzeug, die Maus und der Elefant aus der
TV-Sendung lagen drin. Irgendein Kind hat dann angefangen, probezuliegen.
Danach wollten das alle – und auch, dass der Deckel zugemacht wird. Da
mussten die Eltern etwas schlucken … Insgesamt war es ein wunderbarer Tag
des Austauschs, der gezeigt hat: Wir können zusammen leben, wenn wir das
möchten.
taz: Sie sind als Onkologin im Krankenhaus gut ausgelastet. Warum haben Sie
2020 noch ein Hospiz gegründet?
Boissevain: Weil es damals in Schleswig-Holstein zu wenige Hospizbetten
gab. Im Krankenhaus haben wir Menschen teilweise gar nicht mehr im Hospiz
angemeldet, weil die Wartelisten so lang waren. Und am Sterben im
Krankenhaus hat sich zwar viel geändert, aber trotz allem Guten und einer
wachsenden Anzahl an Palliativstationen bleibt das Krankenhaus ein Ort des
Handelns. Nicht ein Ort des medizinischen Rückzugs. Ich bin der Meinung,
dass Sterben kein medizinischer Vorgang ist, sondern ein
menschlich-philosophischer, den ich bestmöglich, aber auch so wenig wie
möglich medizinisch begleite.
taz: In welcher Form?
Boissevain: Wir sind im Hospiz sehr achtsam beim Einsatz distanzierender
Medikamente am Lebensende. Die meisten Menschen möchten natürlich keine
körperlichen Schmerzen haben. Die können wir meistens nehmen. Der größere
Anteil ist aber oft sozialer Schmerz, Bedauernsschmerz, Abschiedsschmerz –
also ein Schmerz, den ich nicht mit Opiaten behandeln kann. Dass man am
Lebensende aber eine Bucket List abarbeitet, sich bei allen entschuldigt,
sein Haus bestellt – das ist nach fünf Jahren Hospiz nicht meine Erfahrung.
taz: Sondern? Was wollen Sterbende?
Boissevain: Sie wollen wach sein, wahrnehmen und leben. Teilnehmen, bis ihr
Boot immer weiter hinausfährt. Die wenigsten, die hierher kommen, möchten
eine Auf-Knopfdruck-Beendigung ihres Lebens. Die klassische
Palliativsedierung haben wir in den fünf Jahren unseres Bestehens auf
Wunsch der Kranken ein-, zweimal gemacht.
taz: Ihr Hospiz bietet Erwachsenen- und Kinderbetten. Ist diese Kombination
üblich?
Boissevain: Nein. Die größte Schwierigkeit war, ein Kinderhospiz
anzugliedern. Es ist gesetzlich nicht vorgesehen, beides in einem Haus zu
haben. Es muss räumlich und fiskalisch getrennt sein, um das Wohl der
Kinder zu schützen. Weil ein Kinderhospiz so anders ist als ein
Erwachsenenhospiz – und damit der Betreiber nicht einfach sagt: „Ich stelle
ein Kinderbett dazu und werbe damit.“ Und dann kann er das inhaltlich und
personell gar nicht erfüllen.
taz: Was ist bei Kindern anders?
Boissevain: Während Erwachsene meist nur die letzten Lebensmonate bei uns
verbringen, wird ein Hospizaufenthalt für Kinder ab der Diagnose genehmigt.
Mit Ausnahme der glücklicherweise seltenen Aufnahme eines sterbenden
Kindes. Die Diagnose ist definiert als lebensverkürzende Erkrankung mit
erhöhtem Versorgungs- und Pflegebedarf zu Hause und einer Belastung für die
Familie. Außerdem werden bei Kindern Eltern und Geschwister mit
aufgenommen.
taz: In welcher Verfassung sind diese Eltern?
Boissevain: Sie sind meistens schwerst traumatisiert. Hier bekommen sie
einen Ort angeboten, um sich dem zu öffnen: ihren Enttäuschungen,
Belastungen, den finanziellen, den familiären Sorgen – wie sich die
Situation auf die Beziehung auswirkt. Oft sind es alleinerziehende Frauen,
weil die Trennung stattgefunden hat. Ich glaube, statistisch sind es sogar
90 Prozent.
taz: Hängt das mit der Diagnose zusammen?
Boissevain: Ja, das hält die Beziehung nicht aus.
taz: Die Kinder kommen anfangs nur für ein paar Wochen?
Boissevain: Ja. Wenn man die Hospizkriterien im Kinderbereich erfüllt – was
bei uns der Fall ist –, genehmigt die Krankenkasse sechs Wochen jährlich in
Ausnahmesituationen. Das sind dann sogenannte Entlastungskinder. Denn viele
der Eltern sind einfach nur müde, können – wenn sie noch zusammen sind –
nichts gemeinsam unternehmen. Weil ja immer jemand beim Kind bleiben muss.
Wir hatten Eltern hier, die es nicht fassen konnten, dass sie jetzt
zusammen einkaufen gehen können. Und hier haben wir – toi toi toi –
genügend wunderbare Pflegekräfte, die es ermöglichen, dass die Eltern nach
einer Eingewöhnung nach Hause gehen können, um etwas für sich und die
Geschwisterkinder zu tun. Nach ein paar Wochen holen sie ihr Kind dann
wieder ab.
taz: Kommen auch Menschen aus der Nachbarschaft zu Besuch?
Boissevain: Einfach so – nein. Der Hospizverein und auch das Hospiz selbst
haben geschulte Ehrenamtliche, die unter anderem für Mahlzeiten zuständig
sind. Aber wir möchten nicht, dass jemand nicht Geschultes hier
reinspaziert und die Zimmer betritt, auch wenn es noch so gut gemeint ist.
Denn die Menschen, die hier sind, haben kontinuierlich Abschied nehmen
müssen von dem, was wir alle als unsere Identität bezeichnen: dass ich mich
gut äußern kann, Dinge besitze, an einem bestimmten Ort wohne. Dass ich in
den Spiegel schaue und weiß, wer ich bin. All diese Dinge werden mit
ziemlicher Erbarmungslosigkeit genommen. Diese Menschen sind fragil
geworden, in jeder Hinsicht. Dafür muss ich sensibel sein. Wir sprechen
auch bei den Ehrenamtsschulungen darüber: Wie gehe ich in so ein Zimmer?
Denn mir muss bewusst sein: Ich bringe da nicht nur einen Kaffee rein.
Sondern ich betrete die letzte Intimsphäre, die jemand hat: dieses Zimmer.
taz: Es geht um Würde.
Boissevain: Ja. Die Kranken hier sind tolle Lehrer allesamt. Aber ich muss
auch die Offenheit und den Mut mitbringen, mich berührbar, auch verletzbar
zu machen. Weil es schwierige Leben gibt, die schwierig bleiben bis zum
Schluss, und Schicksalsschläge, die man sich gar nicht ausmalen kann. Und
auch furchtbar traurige Geschichten, die in meinem Schoß landen. Da kann
ich natürlich mit Abwehr reagieren. Oder ich kann sagen: Ich halte das
jetzt aus, mit dir zusammen.
taz: Meinen Sie das mit „Orten des Nichtwissens“, an die man gehen soll?
Boissevain: Ja. Auch ich als Ärztin muss mal mein Fachwissen beiseite
legen. Dann geht es darum, demjenigen auf Augenhöhe zu begegnen und zu
fragen: „Wie ist das, wenn man hier liegt, nicht mehr zu Hause sein kann?
Wie ist das, wenn man nur noch kurz zu leben hat? Wie begibst du dich auf
diese Reise, die letztlich, trotz aller Palliativpflege und Forschung, ein
Mysterium bleibt?“
taz: Wollen die Kranken über dieses Mysterium mit Ihnen sprechen?
Boissevain: Es kommt darauf an. Es ist wichtig zu spüren: Gibt es eine
Öffnung? An manchen Tagen gibt es eine. Neulich war ich schon im Rausgehen
und dann sagte derjenige: „Ach, ich hätte da noch was – ich habe gestern
den Sensenmann gesehen. Hat das was zu bedeuten?“ Oft sind es auch
beiläufige Fragen. Es ist selten, dass jemand sagt: „Ich habe heute übers
Sterben nachgedacht.“ Wobei manche sehr gut mit Sprache umgehen können,
weil sie das trainiert haben. Für andere – und das ist hier gar nicht
selten – ist Sprache lebenslang weniger ihr emotionales Kommunikationsorgan
gewesen. Da hilft es, immer mal wieder reinzuschauen. Oder den
Spezialkaffee zu besorgen.
taz: Wie gut waren Sie selbst auf die Hospizarbeit vorbereitet?
Boissevain: Durch die Onkologie – und ich mache das ja schon eine Weile –
dachte ich: „Das kenne ich. Ich habe im Krankenhaus die Palliativstation
aufgebaut, die meiste Zeit meines beruflichen Lebens in der Onkologie
gearbeitet. Und diese Zeit, wo wir die Therapie beenden und die Gespräche
führen – die ist mir vertraut.“ Heute weiß ich: Ich war so was von naiv!
taz: Inwiefern?
Boissevain: Weil mir nicht klar war, dass das hier eine ganz andere
Dimension hat. Einmal ist die Dichte der Begegnung im Hospiz eine andere
als im Krankenhaus. Dort habe ich das Sterben nicht so mitverfolgt wie
hier. Wir haben hier menschliche Reaktionen erlebt, die ich nie für möglich
gehalten hätte.
taz: Zum Beispiel?
Boissevain: Die Mutter liegt im Sterben, und wir teilen das den Angehörigen
mit. Aber der Sohn kommt nicht mehr. Nach zwei Wochen fragt er telefonisch
nach, ob sie schon gestorben ist. Das war fürs Team schmerzhaft: Jemand,
der vorher oft herkam und diejenige, die wir alle lieb gewonnen haben – und
dann ist bei der Aussegnung keine Familie dabei. Da sind wir alle im Team
in die Knie gegangen. Und es fällt nicht leicht, sich dann zu sagen: „Das
ist kein falscher Mensch … der konnte das einfach nicht.“
taz: Sie sind auch aktive Zen-Buddhistin. Erleichtert das Ihre Arbeit?
Boissevain: Ja. Für mich ist das mein Leben. Meine Basis. Angefangen hat
es, als ich 16 war. Das Wort Meditation kannte ich noch nicht, aber ich
dachte: Stille ist was Feines. Ich habe zunächst in meiner eigenen
christlichen Tradition gesucht, bei Dietrich Bonhoeffer, den Wüstenvätern
des Urchristentums, dem mittelalterlichen Mystiker Meister Eckhart. Als ich
einen Studienplatz in Medizin bekam, dachte ich: Wenn ich das machen
möchte, brauche ich einen Rückhalt. Wenn ich weiterhin wie
ängstlich-zittriges Espenlaub durch die Welt gehe, schaffe ich den Beruf
nicht. Der übrigens nicht meiner ersten Neigung entsprach: der Germanistik.
taz: Wie kamen Sie dann auf Medizin?
Boissevain: Da gab es ein Schlüsselerlebnis: Als bei einer Schulaufführung
unserer Theater AG die Leute klatschten, dachte ich: „Schön, dass ihr euch
bedankt, aber ich weiß gar nicht, wer ihr seid.“ Ich wollte auch wissen,
wer ich selbst bin. Wer die anderen sind. Was ich hier auf Erden soll. Es
war natürlich eine Illusion, das in der Medizin, der „Lehre vom Menschen“
oder im Anatomiekurs zu erfahren. Das Studium war entsprechend furchtbar
für mich, aber dank Disziplin habe ich durchgehalten. Parallel ging dieser
meditative Weg los.
taz: Wie nahm dieser Weg Fahrt auf?
Boissevain: Eine Benediktinerin, ausgebildete Zen-Lehrerin, begann in
Bayern, wo ich damals lebte, Meditationskurse anzubieten. Ich nahm teil und
so begann mein Zen-Weg.
taz: Haben Sie dort Antworten gefunden?
Boissevain: Jedenfalls eher als in der Anatomielehre. Wobei ich nie
Buddhistin werden wollte, das war mir völlig fremd. Der Zen-Kurs bei
besagter Benediktinerin war eher ein Test. Aber als mich diese kleine
Ordensfrau begrüßte, ist irgendwas passiert. Ich habe mich gesehen gefühlt.
Diese streng disziplinierte Frau, die nicht auf den ersten Blick Fürsorge,
Mitgefühl, Liebe verkörperte, hatte etwas, das ich nicht beschreiben
konnte. Das wollte ich auch haben. Die Zen-Kurse der ersten Jahre waren
dann eine neue Erfahrung: Ich als jemand, der gewohnt war, durch Wissen
Sicherheit zu erschaffen, saß auf meinem Meditationskissen und verstand von
den Vorträgen kein Wort.
taz: Parallel haben Sie als Onkologin im Krankenhaus angefangen. Lief es da
besser?
Boissevain: Die ersten Berufsjahre habe ich in einem Zustand der Dauerpanik
verbracht. Ich hatte Angst vor jeder Krankenzimmertür. Hatte Sorge, es
nicht zu schaffen, den Patienten zu schaden. Hatte Angst vor dem, was auf
mich projiziert wird: dass ich helfen kann – nur, weil ich einen weißen
Kittel trage. X-mal habe ich gedacht: Wenn ich jetzt wegrennen würde, wäre
es das Allerbeste.
taz: Wie haben Sie durchgehalten?
Boissevain: Ich habe es durch Wissen kompensiert. Ab Sonntagmittag hatte
ich Herzrasen, bin in die Klinik gefahren, habe mir die Neuzugänge des
Wochenendes angeguckt, um gut vorbereitet zu sein. Und mich dann auf mein
Meditationskissen zu setzen und ab und zu ein bisschen Ruhe zu spüren: Das
war eine enorme Hilfe.
taz: Konnten Sie diese Ruhe in den Alltag hinüberretten?
Boissevain: Lange Jahre hatte ich größte Schwierigkeiten, das länger als
ein paar Tage zu halten. Zwischen den Erfahrungen der Kurswoche und meinem
Alltag lagen Kontinente. Besagte Benediktinerin, die in der Sicherheit des
Ordens lebte, konnte sich das nur so ungefähr vorstellen: dass wir jungen
Ärztinnen und Ärzte 48-Stunden-Dienste hatten. Dass wir oft für Überstunden
angefragt wurden und uns beugten, damit unsere Verträge verlängert wurden.
Damals herrschte Ärzteschwemme, das kann man sich heute kaum noch
vorstellen.
taz: Gab es einen spirituellen Wendepunkt?
Boissevain: Ja. Bei einem Gottesdienst, als besagte Benediktinerin mit
Hostie vorm Altar stand, hab ich gespürt: Sie wendet sich an ein Gegenüber.
Und ich hätte gern eine Spiritualität ohne Gegenüber. In den Folgejahren
habe ich Kurse in verschiedenen Zen-Klöstern in den USA absolviert, unter
anderem in einem Schweigekloster. Das hat mich zum Wesentlichen gebracht:
Ich setze mich vor die weiße Wand, habe kein Wort, keine Visualisierung,
kein Ziel, keine Agenda. Und alles, was da kommt, kommt aus mir, ist meine
innere Weisheit.
taz: Was hat das bewirkt?
Boissevain: Das hat mein Leben einmal komplett umgestülpt. Ich bin in fast
jeder Hinsicht eine andere Person als vorher. Früher habe ich mich zu 100
Prozent über das definiert, was meine Außenwelt sagt. Habe versucht, deren
Erwartungen zu entsprechen und mich beschimpft, wenn es misslang. Kein sehr
glückliches und vor allem kein freies Leben. Im Kloster habe ich diese
Muster erstmals verstanden und eine echte Verbundenheit mit mir selbst und
anderen erfahren. Ohne das wäre ich nie aus meinen familiären Prägungen
herausgekommen.
taz: Welche waren das?
Boissevain: Ich hatte schon früh das Gefühl, etwas stimmt nicht in der
Welt. Es gibt Ungerechtigkeiten und Leiden. Aber als Kind lernte ich:
Schmerz und Unwohlsein dürfen nicht sein. Dass es Alter, Krankheit, Tod
gibt und ich darunter leide, ist falsch und muss zugedeckt werden. Die
buddhistische Praxis hat mir gezeigt, dass Leiden etwas Natürliches ist –
und dass es möglich ist, hineinzugehen und es langsam schmelzen zu lassen.
taz: Geht es dabei auch ums Nichturteilen, ums Annehmen?
Boissevain: Ja und nein. Ich bin ja auch Zen-Lehrerin und habe immer ein
ungutes Gefühl, wenn meine Schüler sagen: „Ich nehme alles an. Alles ist
gut.“ Denn gerade im Moment ist vieles auf unserer Welt gar nicht gut! Und
Zen-Praxis ist auch eine Praxis des Aufstehens und Sagens, was nicht gut
ist – gesellschaftlich, zwischenmenschlich, wie auch immer. Als Übende des
Zen bin ich verpflichtet, da meine Gestalt auch zu zeigen, nicht nur zu
schweigen: Verwische deine Spuren, aber zeige deinen Körper!
13 Dec 2025
## AUTOREN
Petra Schellen
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Schwerpunkt Stadtland
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