| # taz.de -- Polizeigewalt an Halloween: Zeugen widersprechen Polizeibericht | |
| > Beamte lösen eine Party auf, die Sache eskaliert. Die Polizei spricht von | |
| > gewalttätigen Gästen, Zeugen widersprechen. Ein Rekonstruktionsversuch. | |
| Bild: An Halloween war viel Polizei unterwegs, auch hier auf der Sonnenallee in… | |
| Im Polizeibericht liest sich alles ganz eindeutig. Ein Routineeinsatz in | |
| der Nacht auf Halloween. Eine Ruhestörung wegen einer Party in der | |
| Kreuzberger Waldemarstraße. Doch als die Beamten die Party auflösen, | |
| eskaliert die Situation. Im Polizeibericht heißt es, ein junger Mann habe | |
| einen der Beamten unvermittelt mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. | |
| Er habe versucht, den Beamten in die Wohnung zu ziehen, und an seiner | |
| Schutzweste gezerrt. Mehrere Partygäste hätten die Festnahme gestört, der | |
| Polizist sei am Ohr verletzt worden, habe aber im Dienst bleiben können. | |
| Diese Darstellung übernahmen auch [1][BZ] und der [2][Tagesspiegel] in | |
| ihren Artikeln über die Nacht. | |
| Doch an der Darstellung der Polizei gibt es Zweifel. Die taz hat mit dem | |
| beschuldigten 23-Jährigen und der Veranstalterin der Feier gesprochen. Sie | |
| beteuern: den Schlag mit der flachen Hand habe es nie gegeben. Vielmehr sei | |
| es die Polizei gewesen, die den 23-Jährigen mehrfach geschlagen habe. Der | |
| Beschuldigte berichtet auch von weiteren Schikanen durch die Polizei. | |
| Teile dieser Schilderungen können durch Videos belegt werden, die an dem | |
| Abend entstanden sind und die der taz vorliegen. Eines wurde von der | |
| Autorin dieses Textes aufgenommen. Sie war an dem Abend privat auf der | |
| Feier zugegen. Während der unmittelbaren Eskalation, von der beide Seiten | |
| sprechen, befand sie sich jedoch in einem anderen Zimmer der Wohnung. | |
| Der 23-Jährige soll hier Jo Petzold heißen. Er möchte anonym bleiben, sein | |
| echter Name ist der taz bekannt. Laut Petzold und der Veranstalterin ist | |
| die Situation zunächst ruhig gewesen. Eine Partygästin habe vor der | |
| Wohnungstür mit den Beamten gesprochen, währenddessen habe jemand die Musik | |
| ausgestellt. Die Polizei habe gefordert, die Tür geöffnet zu halten, sie | |
| sei dennoch von Gäst:innen zweimal geschlossen worden. | |
| ## Beim Gerangel das Oberteil verloren | |
| Daraufhin hätten die Beamten heftig gegen die Tür gehämmert. Als wieder | |
| geöffnet wurde, seien drei bis vier Polizisten in den Wohnungsflur | |
| gestürmt. Ein blonder Polizist habe Petzold dabei „eine gedonnert“, wie er | |
| sagt. Anschließend kommt es zu Gerangel, wie auf einem Video festgehalten | |
| ist. Darin ist zu sehen, wie vier Beamte versuchen, Petzold aus der Wohnung | |
| zu ziehen, gleichzeitig zerren Partygäste an ihm, um ihn drinnen zu halten. | |
| Ein Polizist betritt dabei die Wohnung. Dann rammt der blonde Polizist | |
| Petzold sein Knie ins Gesicht. Das ist auf Video festgehalten. Ein Angriff | |
| von Petzold auf die Polizeibeamten ist zumindest in den Mitschnitten, die | |
| der taz vorliegen, nicht zu erkennen. | |
| Petzold erzählt, beim Gezerre sei sein Oberteil abgezogen worden. Die | |
| Polizisten hätten ihn im Treppenhaus auf den Boden gelegt, sich auf ihn | |
| gekniet und ihm Handschellen angelegt. In dieser Position sieht man ihn auf | |
| einem weiteren Video. Es habe ihm die Luft geraubt, berichtet Petzold. In | |
| dieser Videosequenz verhält er sich – entgegen der Darstellung im | |
| Polizeibericht – absolut ruhig. | |
| In der Folge bricht Unruhe aus. „Es gab ganz viel Geschrei, weil sich | |
| natürlich alle gesorgt haben, das sah auch nicht so aus, als ob es dem gut | |
| ging“, sagte eine Nachbarin der taz. Sie erinnert sich, dass die Polizei zu | |
| diesem Zeitpunkt nach Verstärkung rief. Wie auf einem weiteren Video zu | |
| sehen ist, befinden sich schließlich etwa 40 Polizist:innen im | |
| Treppenhaus. Die Gastgeberin berichtet, sie habe eine Panikattacke gehabt. | |
| Ein Polizist habe ihr daraufhin nur gesagt, sie solle nicht aggressiv | |
| werden, schildert die Nachbarin. | |
| Auf Anfrage der taz beharrte die Berliner Polizei auf ihrer Darstellung aus | |
| der Pressemitteilung. Statt von einer Verletzung am Ohr sprach sie nun aber | |
| davon, dass ein Polizist am Hals verletzt worden sei. Die Vorwürfe, die | |
| Petzold erhebt – unrechtmäßige Polizeigewalt, Eindringen in die Wohnung und | |
| auch die drohenden und schikanierenden Äußerungen – legte die taz der | |
| Polizei vor. Ein Sprecher teilte mit, diese seien der Polizei bislang nicht | |
| bekannt, würden aber „sehr ernst genommen“ und in die Ermittlungen | |
| einfließen. Bodycams, die die Aufarbeitung hätten erleichtern können, haben | |
| die Beamten laut Sprecher an dem Abend nicht getragen. | |
| ## Highfive nach dem Einsatz | |
| Petzold sagt, die Beamten schikanierten ihn. Der blonde Polizist habe | |
| Petzold gesagt, er solle froh sein, dass er ihn nur mit seiner Linken | |
| geschlagen habe. Ein anderer habe Petzold gesagt, dass ihm, als Weißem, | |
| sowieso nicht so schlimme Sachen passieren würden. Und so etwas wie: „Du | |
| kennst keine Kreuzberger Bullen, wir machen dich fertig.“ Davon gibt es | |
| keine Aufnahmen. | |
| Petzold sagt, er sei von zwei Beamten durch das Treppenhaus nach unten | |
| geführt worden. Dabei habe ihm derselbe blonde Polizist noch zweimal | |
| unvermittelt in den Bauch geschlagen. Auch davon gibt es keine Videos. | |
| Petzold sei – vom Gezerre immer noch oberkörperfrei – ins Polizeiauto | |
| gesetzt worden. Das belegt ein Mitschnitt. Zwei Beamte hätten sich auf der | |
| Straße ein Highfive gegeben, so Petzold. Auch die Nachbarin will das von | |
| ihrem Fenster aus beobachtet haben. | |
| Petzold sagt, im Wagen habe der blonde Polizist ihm gesagt, er müsse sich | |
| eigentlich bei Petzold bedanken – bis dahin sei seine Schicht langweilig | |
| gewesen. Und in der Gefangenensammelstelle Tempelhof angelangt: „Ich hab | |
| dich so gefickt, du konntest nichts machen.“ | |
| Auch wie die Beamten den Angriff auf den Polizisten erfinden, will Petzold | |
| beobachtet haben. Vor seinen Augen hätten sich die Beamten das Ohr des | |
| blonden Polizisten angeschaut und entschieden, dass Petzold ihn verletzt | |
| und geschlagen habe. „Diese Erfindung ist wirklich zu hundert Prozent vor | |
| meinen Augen passiert – absurd“, so der 23-Jährige. Er solle keine Faxen | |
| machen, sei Petzold noch gesagt worden. Denn auf dieser Polizeistation | |
| würde es sonst „doppelt weh tun“. Er werde wegen Widerstand gegen und | |
| tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte angezeigt. | |
| ## Oberkörper frei „nicht in Ordnung“ | |
| Weil es im Fall der Kreuzberger Halloween-Party Aussage gegen Aussage | |
| steht, sei die Situation schwierig zu beurteilen, sagt Tobias Singelnstein, | |
| Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe-Universität | |
| Frankfurt am Main. Es fehle auch an hinreichend detaillierten | |
| Informationen. Sollte es aber stimmen, dass es für den Hieb in Petzolds | |
| Gesicht keinen Anlass gab, wäre dieser rechtswidrig und strafbar. Gleiches | |
| gelte, wenn im Nachhinein dafür eine Rechtfertigung erfunden worden sein | |
| sollte. Auch die Schläge in den Bauch könnten eine Körperverletzung im Amt | |
| darstellen, die mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet werden | |
| kann. Dass Petzold bis zu seiner Entlassung Oberkörper frei bleiben musste, | |
| sei „nicht in Ordnung“, betont der Kriminologe. Die beschriebenen, | |
| schikanierenden Aussagen seien unangemessen und würden eine | |
| Dienstpflichtverletzung darstellen. | |
| Es gebe immer wieder Fälle, in denen Polizeibeamte fälschlich Widerstand | |
| oder Angriffe berichten würden, um im Nachhinein die eigene | |
| [3][Gewaltanwendung] rechtlich zu legitimieren, so Singelnstein. In Fällen, | |
| wo Aussage gegen Aussage stehe und kein weiteres Beweismaterial vorliegt, | |
| komme es „höchst selten“ vor, dass die Staatsanwaltschaft den Betroffenen | |
| Glauben schenke. | |
| Das Fazit von Jo Petzold lautet: „Die erzeugen ihre eigenen Notfälle, das | |
| ist ein riesiges Problem.“ Gleichzeitig ist ihm wichtig zu betonen, dass | |
| sein Fall kein typischer Fall von Polizeigewalt sei: „Es passieren viel, | |
| viel schlimmere Dinge, vor allem gegen Menschen, die nicht Weiß sind, und | |
| das findet oft gar keine Aufmerksamkeit.“ | |
| 9 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bz-berlin.de/polizei/polizei-crasht-halloween-party | |
| [2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/vergleichsweise-ruhige-halloween-nacht-i… | |
| [3] /Polizeigewalt-in-Berlin/!6131120 | |
| ## AUTOREN | |
| Alice von Lenthe | |
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