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# taz.de -- Nachruf auf die Kessler-Zwillinge: Frauen von Klasse auf den Showtr…
> Die Kessler-Zwillinge waren seit den 50ern als Botschafterinnen eines
> coolen Deutschland hochgeschätzt. Nun sind sie aus dem Leben geschieden.
Bild: Ein gemeinsame Urne als letzter Wunsch: Alice und Ellen Kessler, Aufnahme…
Gäbe es einen Altar der deutschen Kulturgeschichte der Nachkriegszeit, sie
stünden dort beide schon lange: Die Kessler-Zwillinge, Alice und Ellen,
geboren 1936 in Nerchau, Sachsen, Töchter ehrgeiziger Eltern, vor allem
eines Vaters, der sie früh zum Ballettraining schickte – und durchaus mit
Erfolg. Aus den beiden Mädchen wurden schließlich in ihrer Zeit
weltberühmte Revue- und Showtänzerinnen.
„Wir waren nie auf der vulgären Seite“, sagte eine der beiden, und dieser
Satz deutet auf eine gewisse Irritation in ihrer Heimat, dem damals prüden
Deutschland, hin, denn sie übten ihre Kunst, absolute Synchronität in so
gut wie allen Moves, im Pariser Showtheater Lido aus, damals eine Bühne,
die für eine gewisse Verruchtheit stand.
Die Kesslers kamen zu diesem Engagement fern deutscher
Sittlichkeitsempfindungen, nachdem sie für die Bundesrepublik 1959 beim ESC
in Cannes an der Côte d’Azur auftraten. Der achte Platz schadete ihnen
nicht, im Gegenteil, ihr knapp dreiminütiges, in gemäßigtem Tempo
dargebrachtes [1][Couplet „Heute Abend woll’n wir tanzen geh’n“] war ein
leicht frivoler Act ohne Anzüglichkeit.
## Immer elegant auf den internationalen Showtreppen
Beide waren Künstlerinnen der erotisierten Andeutung. Ihr Können brachte
sie schließlich in die allererste Riege international agierender Stars, zu
Performances mit [2][Frank Sinatra] und Dean Martin in den USA, schließlich
viele Jahre nach Italien, wo sie als „Gemmele Kessler“, die Zwillinge
Kessler, im Fernsehen wie Botschafterinnen eines coolen Deutschland
hochgeschätzt wurden. In der Bundesrepublik war keine Samstagabendshow der
Sechziger- bis Achtzigerjahre denkbar ohne einen ihrer
Showtreppenauftritte, immer elegant, trittsicher, beeindruckend leicht
aussehend.
Dass sie ihre Karriere bis vor wenigen Jahren, nach eigener Aussage bis zu
den Lockdowns während der Coronazeit, lebten, hatte natürlich auch mit
ihrer Körperdisziplin zu tun. Nie ließen sie sich gehen, bei einem Gespräch
[3][im Berliner Varieté Wintergarten] sagten sie mir einmal, Diät oder
Vorsichtsmaßnahmen beim Essen seien nicht nötig – Fitness in jeder Hinsicht
sei doch selbstverständlich, keine Arbeit, kein Zwang. Eine der beiden
fügte bei der Gelegenheit an, sich schlank und rank zu halten sei Routine,
da denke sie nicht drüber nach.
Sie waren, dies darf auch gesagt werden, buchstäblich Frauen von Klasse und
zumindest während des einstündigen Gesprächs ohne Divenhaftigkeit – sie
blieben immer professionell, freundlich und nett. Und auf die Bemerkung, es
sei nicht so leicht, sie auseinanderzuhalten, meinte eine der beiden: „Da
sind Sie nicht allein, das geht uns manchmal auch so.“
## Keine Macht den Männern
Im Übrigen waren sie nie verheiratet, dann und wann mit Männern liiert,
aber sie hatten ja sich und die Sicherheit, in der anderen (Schwester) sich
nicht zu verlieren. Männer, so sagten sie, sollten nie Macht über sie
haben, sie könnten auch gut ohne Trauscheine durchs Leben gehen – die Ehe
ihrer Eltern prägte sie, denn der Vater neigte, zumal nach Alkoholkonsum,
zu entgrenzter Gewalt gegen seine Frau, die geliebte Mutter der Zwillinge.
In den vergangenen Jahren lebten sie in München. Dort entschieden sie sich,
nun ihr Leben mit einem Punkt zu versehen: Ende. Mit assistierter
Sterbehilfe gingen sie am Montag aus dieser Welt, testamentarisch schon
lange zuvor verfügend, dass ihre Asche in einer gemeinsamen Urne vereint
werden solle, in Italien sei das gesetzlich auch möglich.
Auf dem Altar deutscher Kulturschätze werden nun Kerzen angezündet, sie
würden sich bei diesem Anblick zu ihren Ehren freuen.
18 Nov 2025
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=aJSN68U31l4
[2] /Jubilaeumsbuecher-zu-Frank-Sinatras-100/!5258181
[3] /Aerobic-unterm-Sternenhimmel-Die-Kesslers-im-Variete-Wintergarten/!1417336/
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
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