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# taz.de -- Aus Solidarität mit den Bäumen: Wenn der Wald ruft, antwortet Mus…
> Einem Wäldchen in Berlin-Neukölln droht die Abholzung. Martin Hossbach
> hat zur Gegenwehr „Emmi Aid“ initiiert, ein Album mit 57 Songs für den
> Wald.
Bild: Emmi bleibt!
Wie es riecht! Feuchtes Totholz, Blätter, Moos, Pilze, gesunder Moder. Dazu
die Stille. Also, relative Stille. Denn die Vögel zwitschern hier ganz
schön laut. Und das Rascheln des Herbstlaubs, das die Schritte abfedert,
ist auch nicht zu überhören.
Beim Betreten des Emmauswäldchens in Berlin-Neukölln taucht man ein in eine
abgeschlossene, Geborgenheit verströmende Natur. Von den
baumwipfelüberdachten Wegen des seit den 1980er Jahren nicht mehr als
Friedhof genutzten Emmauskirchhofs – in Rufweite der Hermannstraße gelegen
– kommt man schnell ab, wandelt auf efeuberankten Trampelpfaden und
erwartet, hinter der nächsten Ecke ein Dornröschenschloss zu entdecken. Und
das in einem gerade vier Hektar großen Wald – allerdings: dem größten
Neuköllns.
Doch: ginge es nach dem Bauträger Buwog entstünden genau hier bald 290
Luxus-Eigentumswohnungen nebst bodenversiegelnder Tiefgarage. Dabei stehen
laut [1][der Initiative „Emmauswald bleibt!]“ in unmittelbarer
Nachbarschaft schon zahlreiche Miet- und Kaufwohnungen leer, weil die Leute
aus Neukölln sich die Preise gar nicht leisten können.
## Wichtig für Mensch, Tier und Klima
Um die drohende Rodung des liebevoll „Emmi“ genannten Waldes zu verhindern,
setzt sich „Emmauswald bleibt“ seit 2022 für den Erhalt des artenreichen
Biotops ein. Es ist nicht nur ein Rückzugsort für Mensch und Tier, sondern
trägt wesentlich dazu bei, das Klima im Stadtbezirk Neukölln erträglich zu
halten – vor allem in den immer häufigeren tropischen Sommern.
„Wie kann ich diese Initiative unterstützen?“, fragte sich auch Martin
Hossbach. Der 50-Jährige wohnt direkt am Emmi. Hossbach arbeitet seit Mitte
der 1990er Jahre in der Musikindustrie. Also, keine Frage: „Mit Musik!“
Nach einer Ausbildung bei einem Label, einer Phase als Redakteur des
Musikmagazins Spex und als Mitbegründer und Co-Kurator des Festivals
„Pop-Kultur“ in Berlin ist sein Adressbuch gefüllt mit Musikschaffenden.
Und, wie sich herausgestellt hat, ist auch ihnen an bezahlbarem Wohnraum
gelegen, der zudem vereinbar ist mit unseren Klimazielen.
Von den 500 Angeschriebenen haben 57 geantwortet und einen Song für die
Compilation „Emmi Aid“ beigesteuert. Die Namensverwandtschaft zu Bob
Geldorfs „Live Aid“-Projekt ist schiere Absicht, die Sache ist groß
gedacht. So wie der irische Popstar hat auch Hossbach gerufen und alle sind
gekommen.
## 57 Geschenke an den Wald
Die „57 Geschenke an den Wald“, wie Hossbach die Songsammlung nennt, sind
tatsächlich Geschenke an die Welt. Hossbachs einzige Bedingung war es, dass
die Schenkung bisher unveröffentlicht sein musste. Die Künstler*innen
konnten extra zum Anlass einen neuen Song komponieren oder ihre Festplatten
nach passendem Material durchforsten.
[2][Pet Shop Boy Neil Tennant] hat sich als Erster zurückgemeldet und
Hossbach einen Song aus dem Jahr 2012 vermacht, der in einer anderen
Version nur auf einer B-Seite in Japan zu finden war. Aber so, wie auf
„Emmi Aid“ zu hören, ist er in dieser Fassung unveröffentlicht. „The Way
Through The Woods“ ist ein träumerisches Stück
50er-Jahre-Musical-Wasserballett-Pop. Nicht ohne Stolz berichtet Hossbach,
dass die Zusage Tennants enorme Zugpferdfunktion hatte.
Der Kurator bringt das Kunststück fertig, die diversen musikalischen Genres
und Schlagseiten zu einem mal schnell strudelnden, mal langsam fließenden
Flow zu verquicken. Es gibt Protestsongs Marke „Direkt auf die Zwölf“, wie
die Wandergitarren-Ode „Oh Emmaus“ [3][von dem Berliner Alexander
Winkelmann], sie ist dem Emmauswald direkt gewidmet. Und es gibt Stars, wie
Bernard Sumner von New Order, der mit „Emmy“ extra einen Themensong
komponiert hat: Northern Rock wie ein alter Freund.
Hossbach hatte sich gewünscht, dass Sumner den Namen des Waldes im Text
künstlerisch verarbeitet. Für Sumner ist „Emmy“ ein globales Thema, er war
von der Sache überzeugt, weil „genau derselbe Scheiß hier in Manchester
auch passiert … Es ist einfach nur Gier unter dem Deckmantel der
Allgemeinnützigkeit.“
Wer beim Hören von [4][„Der letzte Kranich von Angermünde“] denkt, Gunter
Gabriel sei mit von der Partie, hat sich getäuscht: Tocotronic hatten diese
wunderbare Coverversion von Juliane Werding einst für Radio Eins
aufgenommen und es für „Emmi Aid“ aus dem Archiv gehoben – dass der
Schmachter von trauriger Aktualität ist, konnten sie nicht ahnen.
## Karl der Käfer tanzt auch mit
Und es gibt weitere sinnstiftende Coverversionen: Die Jünger Emmaus feat.
Der Endziffer 0 Chor beleben den 80er-Jahre-Waldschutzprotestsong „Karl der
Käfer“ mit elektronischen Beats und der Frankfurter Houseproduzent Phillip
Lauer modernisiert „The Forest“ von The Cure.
Alle Beteiligten erwähnen, wie wichtig gute Luft und Stille im Wald für ihr
psychisches Wohlbefinden sind[5][. So auch das Berliner Duo Alexander Hacke
und Danielle di Picciotto], die mit „Emmaus Pastoral“ Joseph von
Eichendorffs Gedicht „O Täler weit, o Höhen“ in ein
Eastern-Desert-Ambient-Gewand gekleidet haben. Staubmantel inklusive.
Schneider TMs Beitrag „The Present“ fließt wie eine Endmöräne durch die
Gehörgange. Er fühlt sich verbunden mit den Bäumen, „denn wenn die
verschwinden, sind wir auch bald weg“, denkt er. Ziemlich überraschend
kommt „Uban“ von [6][Mouse On Mars] daher. Die Berliner Glitch-Spezialisten
haben sich mit der kenianischen HipHop-Crew Ukoo Flani Mau Mau
zusammengetan und gehen wortgewaltig mit pumpendem Hydraulikflow gegen die
Abholzung vor.
## Wie das Waldholz klingt
Den französischen Schlagzeuger Jean Baptiste Geoffroy hat Hossbach, der
auch noch Winzer aus Leidenschaft ist, auf einer Weinmesse an der Loire
kennengelernt. Geoffroy würde so manchem „Immobilienentwickler“ lieber die
Beine abhacken, als den Bäumen die Stämme. Entsprechend furchteinflößend
kommt „Matière Ligneuse sur Pied“ mit Auerochsengegnöre und Klanghölzern
daher. Der englische House-Produzent Matthew Herbert schickte seinen Track
„Treehouse“ mit der Bemerkung: „Ich hab da doch mal was mit Waldhölzern
aufgenommen.“ Er verzaubert seine Fieldrecordings mit Bremsklotz-Flöten
über Klöppelbeat.
Eine Entdeckung ist Kota No Uta. In „Little Forest“ lässt die Berliner
Neo-Soul-Jazzerin zu Grillenzirpen und Vogelgezwitscher Feenwesen im
Morgennebel über die Lichtung tänzeln. Entsprechend kurz ist das
Hörvergnügen, das aber sogleich im Anschluss von Stefan Rusconi fortgeführt
wird. Der in Berlin ansässige Schweizer Jazzpianist lässt die Feen mit
Sirenengesang zum Nachmittagstee auf die Lichtung zurückkehren. Und aus den
Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar wie bei Matthias Claudius.
Der [7][Musiker und Autor Hendrik Otremba] holt uns zurück in die Realität.
Sein Gedicht „Silbersteinstraße – Insel im Sturm“ beschreibt treffend den
urbanen Alltag um den Emmauswald herum, mit Ottonormalbürger:Innen, aber
auch: „Hermannstraße. Süßer Duft. Fauliger Duft. […] Kein Regen wäscht …
was hier in den Ritzen versteckt, Matratzenlager, Fixerbesteck. Das ist
kein Kontrast, das ist nur ein Prozess, der einer Logik folgt, die kein
Erbarmen kennt.“ Nach der Auszeit im Emmauswald ist dieser Prozess besser
zu ertragen.
Das eigentlich für Januar geplante Benefizfestival hat Hossbach schweren
Herzens abgeblasen. Aber weil für „Emmi Aid“ noch viele weitere Beiträge
eingetrudelt sind, können sich „Emmaus bleibt!“ und die Welt auf Volume 2
freuen – hoffentlich dann mit Listeningsession im immer noch grünen
Emmauswald.
13 Nov 2025
## LINKS
[1] http://www.emmauswald-bleibt.de
[2] /Alterswerk-der-Pet-Shop-Boys/!6007279
[3] /Album-Stark-reduziert/!6069654
[4] https://www.youtube.com/watch?v=hCble97gago
[5] /Neues-Album-von-Danielle-de-Picciotto/!5763053
[6] /KI-Konzeptalbum-von-Mouse-On-Mars/!5753913
[7] /Saenger-Hendrik-Otremba/!5925083
## AUTOREN
Sylvia Prahl
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