| # taz.de -- Prozess gegen Antifaschist*innen: Ein Stinkefinger ist nicht gleich… | |
| > Im Hamburg stehen vier Antifaschist*innen vor Gericht. Sie hatten | |
| > einer Querdenken-Demonstration den Mittelfinger gezeigt. | |
| Bild: Gereizte Stimung: Demonstration gegen Corona-Maßnahmen | |
| Weil sie Teilnehmern einer Corona-Demo den Stinkefinger zeigten, müssen | |
| sich seit Dienstag zwei Männer und zwei Frauen im Alter von knapp 60 bis | |
| etwas über 70 Jahren vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Das | |
| Amtsgericht hatte sie vor zwei Jahren vom Vorwurf der Beleidigung | |
| freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft ging jedoch in Berufung. | |
| Im Landgericht wies eine Angeklagte mit einer kleinen Aktion auf die | |
| widersprüchliche Haltung der Staatsanwaltschaft beim Thema Beleidigung hin: | |
| Im Saal 378 standen sie von der Anklagebank auf, drehten sich zum Publikum | |
| um und zeigten auf einem T-Shirt gut sichtbar eine Zeichnung von Udo | |
| Lindenberg mit Stinkefinger. Die Richterin intervenierte ebenso wenig wie | |
| die Staatsanwaltschaft. | |
| Vor gut drei Jahren hatte Lindenberg in der Hamburger Bürgerschaft bei der | |
| Ernennung zum Ehrenbürger einem AfD-Abgeordneten den Mittelfinger gezeigt. | |
| Die Staatsanwaltschaft erkannte damals kein öffentliches Interesse an einem | |
| Ermittlungsverfahren. Dagegen müssen sich die Angeklagten in Saal 378 ja | |
| wegen ebendieser Geste vor Gericht verantworten. | |
| Zu klären sei, ob bei einer Anzeige wegen Beleidigung ein öffentliches | |
| Interesse an einer Strafverfolgung bestehe, sagte der Staatsanwalt. Dabei | |
| komme es auch darauf an, ob sich die Beleidigung direkt gegen eine einzelne | |
| Person richte. | |
| ## Opfer als Angeklagte | |
| Zu Beginn der Verhandlung versuchten die Verteidiger*innen die | |
| Staatsanwaltschaft dazu zu bewegen, die Berufung zurückzuziehen. Erfolglos | |
| wiesen sie darauf hin, dass die Angeklagten nicht die Täter, sondern die | |
| Opfer seien. Sie hätten sich als Erste an die Polizei gewandt, wegen | |
| Bedrohung und Beleidigung durch einen AfD-nahen Mann mit einem großen Hund. | |
| Im Januar 2022 war der Mann aus dem Aufmarsch „Das Maß ist voll“ auf die | |
| Anklagten zugegangen. An die 13.000 Demonstrant*innen protestierten in | |
| der Hamburger Innenstadt gegen die staatlichen Pandemiemaßnahmen. Über | |
| Lautsprecher riefen die Organisatoren auf, vermeintliche Beleidigungen von | |
| Gegendemonstranten anzuzeigen. Ein Appell: auch beim Stinkefinger Anzeige | |
| erstatten. | |
| Die Angeklagten demonstrierten gegen den Marsch, weil „Querdenker und | |
| Rechtsextreme“ gemeinsam aufliefen, wie einer der Angeklagten erklärte. Sie | |
| alle sagten, dass sie den Hinweis via Lautsprecher hörten und spontan die | |
| Mittelfinger gegen den Aufmarsch zeigten. | |
| Das habe sich gegen eine mehr als 20 Meter entfernte anonyme Masse | |
| gerichtet, betonte ein Verteidiger. Keine Einzelperson sei betroffen | |
| gewesen, somit liege auch keine Beleidigung vor. Ganz gezielt sei | |
| stattdessen der Mann mit seinem Bernhardiner auf die Angeklagten | |
| zugegangen. Mit seinem Hund habe er sie im Abstand von eineinhalb Metern | |
| umkreist. | |
| Auf die Bitte, dies zu unterlassen, habe der Mann eine der Frauen als | |
| „dreckige Schlampe“ beschimpft, einen der Männer als „feigen Schwulen“… | |
| habe gedroht: Wenn ihr Anzeige erstattet, „bekomme ich eure Adressen“. Die | |
| Richterin wollte wissen, ob der Beschimpfte tatsächlich schwul sei. Nicht | |
| bloß die Anklagten, auch die Zuschauenden waren fassungslos. | |
| Der Betroffene antwortete aber ganz gelassen: Unabhängig von seiner | |
| „sexuelle Präferenz“ sei die [1][Wortkopplung in den Kreisen die AfD stets | |
| eine Beleidigung]. Den Verweis auf die Adresse fanden die Betroffenen | |
| besonders bedrohlich, da drei von ihnen wegen beruflichen und politischen | |
| Engagements konkret angefeindet wurden. „Ich fühlte mich auch [2][bedroht], | |
| da ich nicht wusste, ob der Hund mich angreifen würde“, sagte eine der | |
| Angeklagten. Sie erstattete vor Ort bei der Polizei Anzeige. | |
| Im Nachgang stellte die Beschimpfte fest, dass der Täter Funktionsträger | |
| bei der AfD Buchholz war. Vor Gericht legte sie Bildmaterial vor, dass den | |
| Mann zeigt, wie er eine Liveschalte des [3][Rundfunks Berlin-Brandenburg | |
| (RBB)] zu einem [4][Querdenkeraufmarsch] so massiv stört, dass sie | |
| abgebrochen wurde. | |
| Bis heute musste der Mann sich trotz der Anzeige der vier Angeklagten nicht | |
| vor Gericht verantworten. Zwei Verhandlungstermine stehen noch an. | |
| 5 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Andreas Speit | |
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