Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Besiedlung des Weltraums: Die Zukunft gehört den Sternenfahrern
> Der Philosoph Jan Völker sieht den Menschen auf dem Weg zum
> astronautischen Kolonisten. Er verschränkt für sein Essay Kants
> Gestirnsforschung mit Lacan.
Bild: Der Weltraum ist nicht bloß weit draußen, sondern vor allem auf der Erd…
Die unendlichen Weiten des Weltraums scheinen dieser Tage näher als zuvor.
Immer neue Satelliten werden ins All geschickt, und private Unternehmen wie
Elon Musks SpaceX oder Blue Origin von [1][Jeff Bezos] lassen Touristen
einige Minuten jenseits der Stratosphäre um den Planeten fliegen. Einige
dieser Firmen streben zudem den Asteroidenbergbau an, um weitere Ressourcen
zu erschließen.
Diese Überlegungen dienen nicht allein dem Profit, sie sollen zudem eine
Antwort auf die Frage geben, wie die Zukunft der Menschen fernab der Erde
aussieht, falls diese unbewohnbar wird. Der Philosoph Jan Völker nimmt das
zum Anlass, um in seinem Buch „Ein Weltall des Kapitals“ die Zukunft des
Menschen in grundsätzlicher Hinsicht zu skizzieren. Er verschränkt darin
die „Betrachtungen über die Bewohner der Gestirne“ des Philosophen
[2][Immanuel Kant] mit Gedanken des Psychoanalytikers Jacques Lacan zum
Verhältnis von Wissenschaft und Unbewusstem, um so ein Bild des Menschen
von morgen zu entwerfen.
Völkers Ausgangsthese lautet: „Dieser Mensch der Zukunft, der von seinem
Unbewussten getrennt ist, ist kein Erdbewohner mehr, sondern wird ein
Kolonist im Weltall und ein astronautischer Kolonist auf der Erde selbst,
während auf der Erde sich die Apokalypse entfaltet“. Er schickt sogleich
hinterher, dass es sich dabei um eine „höchst spekulative“ Angelegenheit
handelt.
Was Kant betrifft, steht Völker in guter Tradition. Denn der Begründer der
kritischen Philosophie hat sich einigermaßen ausführlich mit, gelinde
gesagt, stark hypothetischen Annahmen über das Leben außerhalb der Erde
beschäftigt. Eine für ihn besonders beunruhigende Möglichkeit bot die
Aussicht, dass auf anderen Planeten Wesen leben, für die eine andere
Vernunft gilt als die auf der Erde.
Die „terrestrische Vernunft“ dekliniert Völker daher in unterschiedlichen
Formen durch, wobei er den Begriff manchmal etwas überstrapaziert. Nach und
nach lässt er jedoch erkennen, dass es ihm bei der irdischen Begrenztheit
menschlicher Vernunft um die Dimension des Unbewussten geht, die bei Kant
nicht ausgeführt, aber angelegt ist. Völker illustriert dies an einem
Gedankenexperiment Kants zu Außerirdischen, die jeden ihrer Gedanken
unvermittelt laut äußern müssen.
Während Menschen, so Kant, ihre Gedanken bis zur Täuschung zurückhalten
könnten, seien die Außerirdischen nicht der Lüge fähig. Dieser „Abstand v…
Denken und Äußerung“ führt Völker zu Freuds Konzept der „Freudschen
Versprecher“, in denen sich das Unbewusste artikuliert.
Nachdem er Freud ins Spiel gebracht hat, zündet Völker mit Lacan die
nächste Stufe. Von Kants Weltall als „Raum des Unmöglichen“ führt ihn di…
zu Lacans Ausführungen zu Astronauten aus Anlass der ersten bemannten
Raumflüge. Für [3][Lacan] sind Subjekte demnach „Astronauten, die
terrestrische Vernunft durchwandern und überwinden“-. Möglich wird dies
durch „gadgets“, technische Geräte, mit denen der Mensch verschaltet ist.
Diese Idee scheint durch die Allgegenwart von Internet und Smartphones
heute verwirklicht. Der Weltraum ist daher nicht bloß weit draußen, sondern
vor allem auf der Erde zu finden.
Mit den Geräten kommen kapitalistische Interessen in den Blick, die Völker
am Beispiel der eingangs erwähnten Weltraumbewirtschaftungspläne
untersucht. Je entschiedener es dabei hinaus ins All geht, desto mehr
verwendet Völker das Bild vom „Durchtrennen der Nabelschnur“, angefangen
mit den ersten Fotos der Erde aus dem All. In ihnen kündigten sich schon
ein Abschied und die Endlichkeit der Erde an, wie Völker raunend
suggeriert: „Es ist kein Geheimnis, dass die Kolonisierung des Weltraums
den Tod umkreist.“
Das Bild schließlich, in dem sich für Völker der Weltraum als „der Raum
eines abgetrennten Bildes, aus dem das Unbewusste ausgeschieden ist“,
manifestiert, ist die NFT-Videoarbeit „Human One“ des Künstlers Beeple.
Darin stapft ein computergenerierter Astronaut durch virtuelle
Landschaften, in denen sich „Ikonen der Kunst und Kultur“ als Müll
angesammelt haben.
Völkers Fazit: „Befreit vom Müll wie vom Unbewussten, strahlt der neue
Mensch in seiner reinen Leere.“ Gegen etwaige Kritik an seiner
pessimistischen Spekulation wappnet sich Völker teils mit sehr
selbstbewusster Rhetorik: „… wer sich darauf hinausretten möchte, dass es
sich bei Human One um eine technische Animation, also eine Maschine
handelt, der möge es versuchen.“ Dieser apodiktische Ton stört genauso wie
die gelegentlich im Text auftauchenden Fehler. Vermutlich Freud’sche
Vertipper.
7 Nov 2025
## LINKS
[1] /Der-Irrsinn-der-Tech-Oligarchen/!6075030
[2] /Philosophin-ueber-radikale-Systemkritik/!6021416
[3] /Buch-ueber-postmoderne-Theorie/!6007011
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Immanuel Kant
Politisches Buch
Philosophie
Weltraum
Kolonialismus
Elon Musk
Elon Musk
Philosophie
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2025
Freiheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Elon Musk bei Tesla: Noch mehr Macht und Aussicht auf 878 Milliarden US-Dollar
Tesla-Aktionäre stimmen für ein Paket, das den CEO mit Aktien belohnen
soll. Möglicher Nebeneffekt: Musk erhält noch mehr Einfluss aufs
Unternehmen.
Was ist moralischer Fortschritt?: Die arrogante Selbstgewissheit der Gegenwart
Was ist moralischer Fortschritt und wie lässt er sich messen? Der
amerikanische Philosoph Thomas Nagel versucht sich an Antworten.
Der Irrsinn der Tech-Oligarchen: Schäbige Visionäre
Den Planeten zerstören und dann nichts wie weg: Der frühere Cyberpunk
Douglas Rushkoff gibt in seinem Buch Einblicke ins Mindset von
Tech-Oligarchen.
Philosophin über radikale Systemkritik: „Vielen geht es gar nicht gut“
Die Philosophin Lea Ypi will einen „moralischen Sozialismus“ etablieren.
Der helfe auch gegen rechts. Ein Gespräch über Freiheit und Verantwortung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.