| # taz.de -- Projekte von geflüchteten Ukrainerinnen: Tausche Tegel gegen Kunst | |
| > Der Verein Blindspots in der Geflüchtetenunterkunft Tegel Kunstkurse in | |
| > angeboten. Kann Kultur das schwierige Leben dort erträglicher machen? | |
| Bild: Fotoarbeit: entstanden an der Willkommensschule während des Kunstworksho… | |
| Wenn es in dem kahlen Raum nicht die Kunst gäbe, könnte man sich hier | |
| schnell verloren vorkommen. An der Wand hängen Bilder, auf denen | |
| Handabdrücke und Pflanzenmotive auf blauem Papier zu sehen sind – eine alte | |
| fotografische Technik, die sich Eisenblaudruck (oder in der Fachsprache | |
| „Cyanotypie“) nennt. Auch Keramikfiguren sind ausgestellt: ein Seestern und | |
| ein Seepferd, ein großer und ein kleiner Hase, eine blau-gelbe Vase in den | |
| Farben der Ukraine. Auf einem Tisch liegen verstreut Polaroidfotos, auf | |
| denen lachende junge Frauen zu erkennen sind. „Self-exploration through the | |
| lens“ steht darunter. | |
| In dem Raum im [1][„Hotel Continental – Art Space in Exile“ in Neukölln] | |
| sind die Werke von Mädchen und Frauen ausgestellt, die nach der russischen | |
| Vollinvasion in die Ukraine im Februar 2022 nach Berlin geflüchtet sind und | |
| im sogenannten Ankunftszentrum auf dem ehemaligen Flughafengelände Tegel | |
| untergebracht wurden. „Mit Workshops wollten wir ihnen eine Stimme geben | |
| und auch einen Raum für Empowerment schaffen“, sagt Maria-Camila Garcia | |
| Mendoza, Leiterin des Verein Blindspots. „Besonders Mädchen und Frauen sind | |
| durch die Situation in Tegel benachteiligt“, sagt sie. | |
| Hineinplatzend, kraftvoll und störend zu sein – dieser Anspruch wird schon | |
| in dem Titel des Projekts „Jetzt sind wir mal dran!“ ausgedrückt, das von | |
| Garcia Mendoza geleitet wurde. Von Februar bis August dieses Jahres führte | |
| der Verein Blindspots Kunst- und Kulturworkshops in Kooperation mit | |
| Jugendlichen der Willkommensschule des Ankunftszentrums Tegel durch, sowie | |
| Töpfer- und Theaterkurse für erwachsene Bewohnerinnen des Camps. Bis zum | |
| 28. November sind die Projektergebnisse im „Hotel Continental“ zu sehen. | |
| Die Idee für das Projekt habe sich in einem längeren Prozess entwickelt, | |
| erinnert sich Garcia Mendoza. Ein ausschlaggebender Moment seien die | |
| europäischen Asylrechtsverschärfungen im vergangenen Jahr gewesen. Die | |
| hätten nicht nur die ohnehin gefährlichen Flucht- und | |
| Aufenthaltsbedingungen von Geflüchteten weiter verschlechtert, sondern auch | |
| die aktivistische Arbeit von Blindspots an den europäischen Außengrenzen | |
| erschwert. „Mir ist es immer mehr zu einem Anliegen geworden, in | |
| Deutschland ein Projekt zu machen, weil auch hier die Situation für | |
| Geflüchtete immer schlimmer wird“, erzählt die junge Frau. | |
| ## Miserable Unterbringungsbedingungen | |
| Von einer Blindspots-Kollegin, die in der Unterkunft in Tegel arbeitet, | |
| habe sie von den „schrecklichen Bedingungen“ für die dort untergebrachten | |
| Bewohner*innen erfahren, sagt Garcia Mendoza. „Frauen berichten von | |
| Angst, von fehlenden Schutz- und Rückzugsräumen, von sexuellen Übergriffen | |
| durch das Sicherheitspersonal.“ Aus einem feministischen Anspruch heraus | |
| sei ihr klar geworden, dass sie vor allem Mädchen und Frauen in Tegel durch | |
| Kunst und Kultur „empowern“ möchte. | |
| In der Tat hat sich die Unterkunft in Tegel nicht nur durch ihre Größe | |
| einen Namen gemacht – mit einer Kapazität für rund 7.000 Personen ist sie | |
| bundesweit die größte Einrichtung dieser Art. Immer wieder machen auch die | |
| skandalösen Unterbringungsbedingungen auf dem Gelände [2][Schlagzeilen], | |
| das einer Landschaft aus provisorischen Wohncontainern und Großzelten | |
| gleicht. | |
| Doch lange wird es Tegel in dieser Form nicht mehr geben. Der Berliner | |
| Senat plant, die bestehende Einrichtung zum Jahresende zu schließen und im | |
| kommenden Jahr in ein neues Ankunftszentrum nach EU-Vorschriften umzubauen. | |
| Diese Entscheidung wird unter anderem mit der rücklaufenden Zahl neu | |
| ankommender Geflüchteter begründet. Seit seiner Errichtung im Jahr 2022 | |
| sind in Tegel überwiegend Geflüchtete aus der Ukraine untergebracht. | |
| Aktuell leben dort [3][Medienberichten zufolge] rund 1.500 Personen. | |
| Ein Projekt mit den Bewohnerinnen von Tegel auf die Beine zu stellen, sei | |
| „eine Challenge“ gewesen, sagt Projektleiterin Garcia Mendoza. Grund dafür | |
| sei der restriktive Zugang für Außenstehende zum Gelände gewesen. Geholfen | |
| habe die Zusammenarbeit mit der Willkommensschule. So konnten Fotografie- | |
| und Filmworkshops sowie Kurse für Selbstverteidigung und Tanz angeboten | |
| werden, die in den Unterrichtsplan der Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 | |
| Jahren integriert wurden. | |
| ## Spaß haben, kreativ sein | |
| Anders als das reguläre Schulprogramm waren die Workshops freiwillig. | |
| „Selbstbestimmung waren uns super wichtig“, betont Garcia Mendoza. Zudem | |
| stimmten die Veranstalter*innen die Workshops mit den Bedürfnissen der | |
| Teilnehmenden ab: „Das hat sich prozesshaft entwickelt. Wir haben immer | |
| geschaut, worauf auch die Mädchen und Frauen Lust haben.“ | |
| Eine weitere Herausforderung war die „hohe Fluktuation der Teilnehmerinnen, | |
| wodurch es keine stabilen Gruppen gab“, erzählt Garcia Mendoza. Manche | |
| Teilnehmerinnen seien in eine andere Unterkunft oder mit ihren Familien in | |
| eine Wohnung gezogen – und damit die Willkommensschule verlassen. Schwierig | |
| war auch der Zugang zu erwachsenen Teilnehmer*innen im Camp. „Viele | |
| waren erst einmal ängstlich und verwundert, dass es kostenlose Workshops | |
| nur für sie gibt“, so Garcia Mendoza. | |
| Doch mit der Zeit wurde das Angebot angenommen. Insbesondere das Töpfern | |
| fand großen Anklang bei den Frauen. „Eine Teilnehmerin hat erzählt, dass es | |
| schon immer ihr großer Traum war, töpfern zu lernen“, erzählt Garcia | |
| Mendoza. Auch Katharina Nesterowa, die einen Filmworkshop in der | |
| Slow-Motion-Technik mit Jugendlichen durchgeführt hat, sagt: „Bei den | |
| Mädchen war eine große Bereitschaft da, mitzumachen.“ Die anfängliche | |
| Zurückhaltung habe sich schnell aufgelöst. | |
| Was kann Kunst und Kultur bewirken, wenn man – wie die ukrainischen Mädchen | |
| und Frauen – den Lebensbedingungen in Tegel ausgesetzt ist und | |
| Verlusterfahrungen bewältigen muss? „Uns ging es nicht darum, die | |
| Teilnehmerinnen mit ihrer Fluchtgeschichte zu konfrontieren“, sagt Garcia | |
| Mendoza. Stattdessen sei das Ziel etwas gewesen, das vor dem Hintergrund | |
| des Erlebten vielleicht keine Selbstverständlichkeit ist: Spaß zu haben, | |
| kreativ sein dürfen, neue Ausdrucksformen finden. „Ohne Bewertung und in | |
| einem Safe Space“, ergänzt Nesterowa. | |
| 17 Nov 2025 | |
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| [2] /Fluechtlingsunterbringung-in-Berlin/!6090824 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Schieben | |
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