| # taz.de -- Debatte über transatlantisches Vertrauen: Reeducation – diesmal … | |
| > Der Aufstieg der Rechten wirft das Verhältnis zwischen Europa und den USA | |
| > in die Krise. Eine Konferenz lud zu Kritik der „transatlantischen | |
| > Vernunft“. | |
| Bild: Zerbeult, abe fahrtüchtig? Fotograf Christian Werner hat Bilder für die… | |
| Über das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA lässt sich viel sagen. | |
| Es lässt sich sagen, dass es schon mal schlechter darum stand, nämlich als | |
| die USA Mitte des vergangenen Jahrhunderts Nazideutschland bekriegten, | |
| genauso wie es schon mal besser aussah, nämlich in der gesamten | |
| Nachkriegszeit, bis heute. Einen [1][neuen Tiefpunkt] markierte jene | |
| berühmte Rede, die US-Vizepräsident J. D. Vance im Februar auf der Münchner | |
| Sicherheitskonferenz hielt. Vance unterstellte den Europäern darin Defizite | |
| in der Demokratie und Meinungsfreiheit – während seine Regierung in den USA | |
| gerade diese beiden zivilisatorischen Errungenschaften mit der | |
| [2][Abrissbirne] bearbeitet. Es war die Wiederkehr der Reeducation, aber | |
| diesmal als Farce. | |
| Mit Vergangenheit und Gegenwart des transatlantischen Verhältnisses | |
| beschäftigte sich von Donnerstag bis Samstag eine Konferenz in Berlin. Es | |
| gab Beiträge aus Deutschland, Europa und den USA. „Eine Kritik der | |
| transatlantischen Vernunft“ beraumten die Organisatoren an, darunter der | |
| Kulturwissenschaftler [3][Philipp Felsch] von der HU Berlin und der | |
| Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller von der Princeton University. | |
| Unklar blieb, was mit „transatlantischer Vernunft“ gemeint sein soll – und | |
| ob sie je geherrscht hat. Der Begriff erinnert jedenfalls an Max | |
| Horkheimers Kritik der „instrumentellen Vernunft“, also ein lediglich auf | |
| Nützlichkeit und Effizienzmaximierung getrimmtes Handeln, das seine eigenen | |
| Zwecke nicht mehr ethisch prüft. Und ja, dieser Anklang mag treffend sein, | |
| wenn man etwa die Verflechtungen von Kapital, Industrie und Militär | |
| zwischen Washington und Berlin untersucht. | |
| ## Ambivalentes Identifikationspotenzial | |
| Auf Vernunft reduzieren lässt sich das Verhältnis aber auch nicht. War da | |
| nicht auch immer viel Gefühl im Spiel? Viel Bewunderung, Neid und Abscheu? | |
| In seinem Vortrag am Donnerstagabend blickte der Kulturkritiker | |
| [4][Diedrich Diederichsen] auf das 20. Jahrhundert und die Zeit des Kalten | |
| Krieges. Er führte an, dass die USA aus deutscher oder europäischer | |
| Perspektive nicht nur ein massives Identifikationspotenzial boten, sondern | |
| die Möglichkeit der Gegenidentifikation gleich mitlieferten. Wem die USA | |
| nicht als Land des Fortschritts und der Freiheit taugten, konnte sich | |
| stattdessen zu der Marxistin Angela Davis oder dem Kampf [5][Ho Chi Minhs] | |
| gegen den US-Imperialismus bekennen. Eine derart „gespaltene Kultur“ gab | |
| anderswo nicht, sagte Diederichsen. Wer sich mit Maos China oder Enver | |
| Hoxhas Albanien identifizierte, schluckte diese Länder vielmehr als Ganzes. | |
| Andersherum erkannten die Herrscher in Washington während des Kalten | |
| Krieges, dass sich die strahlkräftigen Kulturexporte vortrefflich zu | |
| Propagandazwecken eigneten. In der jungen Bundesrepublik setzten die USA | |
| auf abstrakte Kunst als Werkzeug der Reeducation, so etwa bei den ersten | |
| Ausstellungen der Kunstmesse documenta in Kassel [6][in den 1950ern.] | |
| Damals förderten die US-Regierung und die CIA auf der Ausstellung die | |
| Gemälde Jackson Pollocks. Ästhetisch soll Präsident Truman nicht von | |
| Pollocks Farbspritzern angetan gewesen sein, sagte die Kunsthistorikerin | |
| Birgit Jooss in ihrem Vortrag. Doch der abstrakte Stil eignete sich in | |
| Abgrenzung zum Realismus der Nazis wie der Sowjetunion. | |
| Andersherum war Deutschland nach der Nazizeit selbst auf „Imagepflege“ | |
| bedacht. In seinem Buch „Absolution?“ hat der Politikwissenschaftler | |
| [7][Daniel Marwecki] gezeigt, wie die Adenauer-Regierung Beziehungen zum | |
| jungen Staat Israel aufbaute, um sich moralisch reinzuwaschen und die | |
| Westbindung mit den USA zu zementieren. Der Historiker Jacob Eder schloss | |
| mit seinem Vortrag implizit an Marwecki an: Als in den 1970ern und 1980ern | |
| ein neues Gedenken an die Shoah einsetzte, sträubten sich konservative | |
| Kräfte um Bundeskanzler Helmut Kohl dagegen. | |
| Ein Fallbeispiel: Der Bau des Holocaustmuseums in Washington D.C., dessen | |
| Grundstein 1988 gelegt wurde. Kohl und Konsorten, sagte Eder, sahen das | |
| Museum als „antideutsches“ Projekt und sorgten sich um den jüdischen | |
| Einfluss in den USA, den sie als Grund für den Bau sahen. Ein Angebot der | |
| deutschen Regierung, bis zu 50 Millionen Dollar zu spenden, damit das | |
| Museum einen größeren Fokus auf den deutschen Widerstand und die guten | |
| Beziehungen zu Israel legen mögen, war nicht erfolgreich. | |
| Die zentrale Ironie der heutigen transatlantischen Beziehungstherapie ist | |
| aber vielleicht diese: Während sich etablierte Transatlantiker enttäuscht | |
| von den USA abwenden, knüpfen die Rechten neue Bande. [8][J. D. Vance] | |
| kommt ja nicht nur als Provokateur nach Europa, sondern auch als | |
| Netzwerker. Umgekehrt hat ein großer Teil der deutschen Rechten ihren | |
| traditionellen Antiamerikanismus abgelegt und blickt mit Begeisterung auf | |
| die große MAGA-Show. Gegen das Faszinosum USA ist anscheinend kaum jemand | |
| wirklich immun. Mit Vernunft hat auch das freilich gar nichts zu tun. Zu | |
| kritisieren gibt es mehr denn je. | |
| 3 Nov 2025 | |
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| Leon Holly | |
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