Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ein Tanzstück zum Abschied: Am Ende tanzen die Skelette
> Constanza Macras und ihr Ensemble Dorky Park nehmen Abschied von der
> Volksbühne. „Goodbye Berlin“ spielt im Berlin der 1930er Jahre und der
> Gegenwart.
Bild: Bis zur Erschöpfung wird manche Szene gedehnt in „Goodbye Berlin“ vo…
Goodbye Volksbühne. [1][Constanza Macras und ihr Ensemble Dorky Park] sind
nächste Spielzeit – unter der [2][Intendanz von Matthias Lilienthal] –
nicht mehr mit von der Partie. Sechs Jahre lang hat die Choreografin das
Haus mitgeprägt und bringt gerade jetzt „Goodbye Berlin“ auf die Bühne des
Theaters am Rosa-Luxemburg-Platz. [3][Christopher Isherwoods] (fast)
gleichnamiger autobiografischer Roman ist ihr Reiseführer, mit dem sie in
die Tiefen des 20. Jahrhunderts eintaucht und vor dieser Folie die
Gegenwart kommentiert.
Zeitsprünge zwischen dem Berlin der 1930er Jahre und dem von heute finden
nonstop statt. So resümiert die Tänzerin Steph Beavers Quinci: „Fräulein
Schröder hatte sich damals angepasst, so wie sich Tausende angepasst haben.
Und es ist doch so, egal welche Regierung hier regiert, so sind wir doch
verdammt, in dieser Stadt zu leben.“ Und fragt dann: „Wie weit würdest du
gehen, und welche Werte würdest du verraten, um zu überleben?“
Scheinbar en passant wirft Quinci diese Frage aller Fragen in den Raum,
dann schreit ihr Kollege Campbell Caspary „Staying alive“ und das
weltberühmte Lied der Bee Gees flutet die Volksbühne. Von beiden
Seitenbühnen stürmen die TänzerInnen von Dorky Park heran. In Millisekunden
entsteht ein intensives Kraftfeld von Körpern, die sich miteinander und
doch individuell bewegen.
Isherwoods Berlin
Isherwood kam 1928 nach Berlin und verließ die Stadt, als sich die
politischen Verhältnisse radikal änderten. Macras lässt Quinci und Fernanda
Farah über Isherwoods VermieterInnen Fräulein Schröder und Familie Nowak
reflektieren. Mit wenigen Strichen gelingt ihr so ein Bild vom Zustand der
damaligen Mehrheitsgesellschaft.
Was Macras an Texten nutzt, ist analytisch-informativ, wenn es um die
Vergangenheit geht, (selbst-)ironisch, wenn es um die Beschreibung der
Berliner Clubkultur-Blase geht, und macht fassungslos, wenn es um die
politische Gegenwart geht: „Heute steht in einer Garage in Thüringen der
Mercedes von Hermann Göring. Warum existiert dieses Auto überhaupt noch?
Wer hat das Geld, dieses Auto zu reparieren? Dieses Auto hat nie aufgehört
zu fahren und kommt jetzt an seinem nächsten Ziel an.“
Immer wieder liegt über der Bühne ein bedrohlicher Klangteppich. In die
harten kalten Beats, die im Gegensatz zur Schnelligkeit der Bühnenhandlung
gefühlt ewig dröhnen, mischt sich irgendwann ein hoher Klavierton. Seine
Wiederholung erscheint wie ein in die Katastrophe führender Countdown.
Man blickt auf die TänzerInnen, die zu diesem Soundtrack auf drei
Pool-Dance-Stangen zurasen, immer wieder neu, wie in einem unendlichen
Kreislauf. Die sich daran hochziehen, der Schwerkraft trotzen und immer
weitermachen, bis sie an den Stangen wie erstarrt hängen bleiben. Den Kopf
leicht zur Seite geneigt, die Füße übereinander gelegt, stellen die drei
für einen kurzen Moment die Kreuzigungsszene nach. Ein überraschender
Ausflug in eine ganz andere Zeit am Ende einer Szene, die für das Bild vom
Tanz auf dem Vulkan ein adäquates Kraftfeld schuf.
Gebündelte Energie mit Techno-Beats
Die Gruppenchoreografien werden meist von Techno-Beats unterlegt, sind
dementsprechend dynamisch, katapultieren den Abend immer wieder in die
Gegenwart. Das ist gebündelte, aggressive Energie. Aber immer wieder lässt
Macras den Humor auf der Bühne los, umgesetzt vom ganzen Ensemble. Nicht zu
übersehen ist er in den Solo- beziehungsweise Kleingruppenszenen, in denen
Quinci, Caspary und Fernanda Farah durch ihre Doppelbegabung als
TänzerInnen und SchauspielerInnen begeistern.
Die beste Szene der Inszenierung ist witzig, politisch und philosophisch
zugleich. Anfangs macht sie direkt Angst und am Schluss ist sie beglückend
poetisch. Farah haut Caspary auf einmal eine runter und fordert ihn auf,
dasselbe zu tun. Schnell feuern sich beide gegenseitig an. Die
Ohrfeigenorgie nimmt an Fahrt auf. Slapstick und extreme
Grenzüberschreitung überschneiden sich. Aber dann verändern beide ihre
Reaktion. Sie nutzen den Schlag ins Gesicht als Ausgangspunkt für etwas
Neues, drehen sich um sich selbst oder machen einen verspielten
Tanzschritt. Aus dem Schlag wird ein Antippen, das die nächste Bewegung
auslöst. Augenblicklich ändert sich der Energiehaushalt auf der Bühne.
In der letzten Szene lässt Macras Skelette tanzen. Wie viele Gewalttote hat
diese Stadt auf dem Buckel und wie viel Tod ging von dieser Stadt aus, geht
einem beim Ansehen durch den Kopf. Starke Bilder einer Choreografin mit
Alleinstellungsmerkmal, die mit ihrem wunderbaren Ensemble hoffentlich
einen neuen Heimathafen finden wird in Berlin.
2 Nov 2025
## LINKS
[1] /Choreografin-Constanza-Macras/!6074949
[2] /Neuer-Intendant-an-der-Volksbuehne-Berlin/!6067920
[3] /taz-Sommerserie-Sommer-vorm-Balkon/!5696725
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Tanz
Zeitgenössischer Tanz
Berliner Volksbühne
Staatsballett
Tanz
Tanz
## ARTIKEL ZUM THEMA
Probenbesuch bei Marcos Morau: Im Schutzraum der Nacht
Er malt mit den Körpern der Tänzer:innen. Ein Porträt des spanischen
Choreografen Marcos Morau, der mit dem Staatsballett Berlin arbeitet.
Tanznacht Berlin: Tüll und Totalzerstörung
Nicht eine, sondern fünf Tage und Nächte ging das Festival „Tanznacht
Berlin 25“ in den Uferstudios. Viele der Projekte waren selbstfinanziert.
Choreografin Constanza Macras: „Wir müssen uns verteidigen, vor allem vor un…
Die argentinische Choreografin Constanza Macras kam 1995 nach Berlin. Ein
Gespräch über die Stadt, die Welt und die Wiederaufnahme ihres neuen
Stücks.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.