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# taz.de -- Ewigkeits-Chemikalie TFA: Ein Stoff für die Ewigkeit
> Das Chemiewerk in Bad Wimpfen hört auf, Trifluoressigsäure in den Neckar
> zu leiten. Doch das Gift ist da. Und geht auch nicht mehr weg.
Bild: Neckar bei Bad Wimpfen: Von hier fließt das Gift weiter in den Rhein
Jetzt regnet’s auch noch, ausgerechnet, so ein Mist! Denn alles spricht ja
dafür, dass über den Regen das Gift hierher kommt, auf den Hang hinter der
Chemiefabrik. Das hatte auch Karin Haug vom BUND gesagt, und die ist in der
Sache schon seit Jahren aktiv. Die Fabrik liegt unten an der Straße, nahe
am Neckar. Links schimmert die Doppelreihe ihrer zehn Destillationstürme
weiß durchs Geäst. Sie ähneln Silos, zwei tragen ein elegantes hellblaues
S, das Logo des Solvay-Konzerns.
Direkt gegenüber recken sich die mittelalterlichen Türme der
Ritterstiftskirche von Bad Wimpfen im Tal gen Himmel. Die Klosteranlage ist
von hier oben kaum zu sehen. Der Hang ist zu dicht bewachsen und im Grunde
ist es ohnehin Quatsch, hier auf der Suche nach den Waldquellen in
Mörderbrombeeren und Weißdorn rumzurutschen. Einen Pfad zu den ominösen
Betonbrunnenhäuschen gibt’s nicht, und dort angekommen, fehlt ein Schlüssel
fürs rostfleckige Vorhängeschloss. Die Tür bleibt zu.
Nur: An einer dieser Quellfassungen war im vergangenen Herbst eine
exorbitante [1][Belastung des Wassers mit Trifluoressigsäure festgestellt
worden], TFA, fast 320 Mikrogramm pro Liter. Das weitgehend unbekannte TFA
ist eine „Ewigkeits-Chemikalie“. Es baut sich nicht ab. Es gilt als
fortpflanzungsgefährdend, so viel weiß man mittlerweile, also als
„reproduktionstoxisch, Kategorie 1B: Kann das Kind im Mutterleib schädigen.
Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen“, so der amtliche
Eintrag.
Zugleich ist es laut Umweltportal Baden-Württemberg [2][derjenige
menschengemachte Stoff, der mittlerweile im Grundwasser am häufigsten
gefunden wird]. Und 320 Mikrogramm, das ist das Fünffache des deutschen
„gesundheitlichen Leitwerts“ für Trinkwasser. Was der rechtlich heißt,
bleibt vage. Vor allem ist er vergleichsweise lasch: In den Niederlanden
und in der Wallonie, also dem französischsprachigen Teil Belgiens, wo
Solvay ja herstammt, wird Trifluoressigsäure als Gesundheitsgefahr ernster
genommen. Dort darf Trinkwasser höchstens 2,2 Mikrogramm enthalten.
Aber Bad Wimpfen liegt ja in Deutschland, und ohnehin gehört der Brunnen
nicht zum Trinkwassersystem. „Was Trinkwasser angeht, sind wir in Bad
Wimpfen absolut safe“, sagt Bürgermeister Andreas Zaffran (CDU) im Gespräch
mit der taz im Rathaus. Den größten Teil seines Trinkwassers beziehe die
Stadt vom Bodensee. Und die drei Quellen, wo der Rest herstammt, die liegen
ganz auf der anderen Seite von Bad Wimpfen, Zaffran macht eine Geste gen
Nordwesten, „mindestens zwei Kilometer von der betroffenen Quelle
entfernt“, außerdem noch mal rund 100 Meter höher. Eine Kontamination lässt
sich ausschließen.
Trotzdem ist etwas in Bewegung gekommen, als im Frühjahr diese
Messergebnisse durchgesickert waren. Nach einer nicht öffentlichen
Befassung im Gemeinderat hatte das regionale Online-Magazin Kontext
[3][darüber geschrieben], der SWR war aufgesprungen, [4][die Heilbronner
Stimme auch].
## Das Chemiewerk gehört dazu
Das berührt die Identität des Ortes. Das historische Bad Wimpfen [5][ist im
Wesentlichen dreigeteilt]: Es besteht aus Wimpfen im Tal mit der gotischen
Kirche am Neckar und aus Wimpfen am Berg. Dort stehen Kaiserpfalz, Rathaus,
Cafés und die Geschäfte. Den Platz dazwischen besetzt, wie ein eigener
Stadtteil, die Fabrik. Das Chemiewerk, vor über 100 Jahren aus der Saline
hervorgegangen, gehört hier einfach dazu. Man lebt mit ihm.
Bad Wimpfen war beunruhigt, ja aufgeschreckt. Der BUND hatte
Info-Veranstaltungen gemacht, auch eine große Diskussion, und als Experte
war der Chemie-Professor Michael Müller aus Freiburg angereist. Es war
einer der wirklich heißen Tage im August gewesen. Die Hütte war voll.
Manchen ging das zu weit. Da sei auch „etwas Panik geschürt worden“, sagt
Axel Obermeyer vom Nabu Bad Friedrichshall, Ortsgruppe Bad Wimpfen. „Die
Leute hören hier TFA und sind nur noch verzweifelt.“ Zumal kein
Lösungsansatz benannt worden sei. „Mir fehlt da die Ausgewogenheit.“ So
hatte Kontext TFA als „besonders aggressiv“ bezeichnet. Dabei handele es
sich bei dem Stoff ja „um einen eher harmlosen Vertreter“, als Doktor der
Chemie kennt er da ganz andere Gifte.
Tatsächlich liegt die mittlere tödliche Dosis (LD50) von TFA bei über 200
Milligramm pro Kilo Körpergewicht; bei Arsenik beträgt dieser Wert 1,4
Milligramm, bei Rizin sogar 3 Mikrogramm. Außerdem, so Obermeyer, handle es
sich bei Solvay um einen der „reputabelsten Hersteller von Fluorchemie in
Deutschland“. Tatsächlich spielt es für den Wasserkreislauf keine Rolle, wo
TFA produziert wird. Der ist schließlich global.
Und dann hat das Management des Konzerns den Stecker gezogen. Gerade, als
die Wimpfener Waldquellendiskussion Fahrt aufnahm und sich Anfang September
auch noch die Deutsche Umwelthilfe mit einer Klagedrohung zu Wort gemeldet
hatte, hat es versprochen auszusteigen. Solvay, das immerhin viertgrößte
Unternehmen Belgiens, werde das Kapitel Trifluoressigsäure beenden, und
zwar for good. Man werde „by early 2026“, so Solvay-Sprecher Peter
Boelaert, die „Produktion von TFA und all seinen Derivaten konzernweit
eingestellt haben“. Gleichzeitig schließt man das Werk im niedersächsischen
Garbsen mit 40 Mitarbeitern und baut in Wimpfen 100 der 240 Stellen ab.
Alles eine Reaktion auf den aufkeimenden lokalen Protest?
Mit diesem harten Schnitt hatten die Aktivist*innen von BUND und
Umwelthilfe kaum gerechnet. Dann aber, wer will es ihnen verdenken, hatten
sie den Einspeiseverzicht schon gern auch als Erfolg verbuchen wollen.
„Unser jahrelanger beharrlicher Einsatz gegen die Verseuchung unserer
Umwelt durch Ewigkeits-Chemikalien scheint sich in Bad Wimpfen in Teilen
auszuzahlen“, hatte die BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch
mitgeteilt.
## Unternehmen widerspricht
In Wimpfen hat das Gerücht Kurs, BUND und Umwelthilfe wären Schuld am
Stellenabbau. Das Unternehmen aber widerspricht der Erzählung: „Die
Entscheidung, organische Fluoride, die auf TFA basieren, auslaufen zu
lassen, ist Teil einer umfassenderen strategischen Portfolio-Optimierung“,
so Boelaert.
Das ist plausibel. [6][Seit gut drei Jahren lässt sich der Umbau
verfolgen]. Dem Kurs der Aktie [7][schadet er nicht.] Denn weltweit ändern
sich gerade die Rahmenbedingungen. Schon 2023 hatte der ungleich größere
amerikanische Chemie-Konzern 3M versprochen, sich weltweit aus der
Herstellung von „Ewigkeits-Chemikalien“ zurückzuziehen. Gerade hatte das
Unternehmen in den USA einen Vergleich [8][über 12,5 Milliarden US-Dollar
mit Wasserversorgern geschlossen], ein ziemliches dickes blaues Auge. Zudem
hatte es noch mit etwa einer weiteren Milliarde Prozesse in den Staaten
Alabama, Michigan und Minnesota weggedealt, und auch in New Jersey.
[9][Dort] hat auch Solvay zusagen müssen, an die Staatskasse 393 Millionen
Dollar für die Beseitigung [10][seiner Schadstoffe] zu überweisen.
In Europa sind die Summen noch nicht so hoch. Aber das kann noch kommen. In
Belgien beschäftigt das Thema die Zivilgerichte. Und in Italien wurden die
elf Manager des Konzerns Miteni im Sommer zu 141 Jahren Knast verurteilt,
weil der große Teile des Veneto mit Ewigkeits-Chemikalien verseucht hatte.
Zwar sichern die deutschen Wirtschaftsminister*innen den Herstellern
gleichsam freies Geleit zu. Aber über die Donau strömen aus
Baden-Württemberg und Bayern erhebliche TFA-Mengen nach Österreich, Ungarn,
über den Balkan und bis in die Westukraine. Mindestens jeder Staat ist ein
möglicher Kläger. Und der Neckar fließt in den Rhein, der das Gift in die
Niederlande bringt. Dahin, wo die Grenzwerte so streng sind.
„Also Sie werden da nicht viel sehen können“, hatte Karin Haug vom BUND
Regionalverband Heilbronn-Franken gewarnt, der gut neun Jahre gegen Solvays
TFA-Einleitung in den Neckar gekämpft hat. Nicht viel heißt konkret nichts.
Bis oben auf die Altenberger Schanze, von deren Rand der Hang mit den
Quellen zur Fabrik abfällt, war die promovierte Chemikerin
freundlicherweise mitgestiefelt, durchs verwunschene Tal.
„Das ist die Mersch oder manche hier nennen sie auch den Mörschbach“, hatte
Haug den lieblich plätschernden Wasserlauf vorgestellt. „Die hat so 30
Mikrogramm pro Liter.“ Merkt man ihr nicht an. Wie auch: Mikrogramm, also
millionstel Gramm, das ist ohnehin eine Gewichtsklasse, die sich dem bloßen
Auge entzieht. Aber auch in größeren Mengen macht TFA optisch nichts her.
Es ist farblos und wasserlöslich, eine schwer fassbare Substanz. Eine, die
lange für unbedenklich erklärt worden war. Selbst die neue
Trinkwasserverordnung, [11][die am 12. Januar in Kraft tritt], begrenzt
zwar die Konzentration anderer, komplexerer Ewigkeits-Chemikalien, nicht
aber die von TFA.
Das Problem an TFA ist: Die Substanz ist sehr mobil. Sie verbreitet sich
rasend schnell über den Wasserkreislauf und akkumuliert in Organismen, um
dann schließlich irgendwann als Gift zu wirken, nicht jetzt, auch nicht
morgen. Sie hat dafür aber auch alle Zeit der Welt: TFA gehört zum
Haltbarsten, was Menschen je geschaffen haben. Von allein zerfällt es gar
nicht.
Es ist, ganz im Gegenteil, das, wozu viele andere Ewigkeits-Chemikalien,
die berüchtigten PFAS, allmählich abbauen: TFA ist historisch der Anfang
und perspektivisch das Ende dieser „Poly- und Perfluorierten Alkylischen
Substanzen“. Es verkörpert ihre Ewigkeit. Daher findet es sich längst in
allem, im Gemüse, in Getreide, es reichert sich im Obst an, in Wirbellosen
am Meeresboden und, anders, als lange gedacht, im Bluteiweiß der
Säugetiere; also auch beim Menschen.
Wie genau TFA dort wirkt, werden wir erst noch lernen. Im Tierversuch hat
es Missbildungen bei Kaninchen-Embryos verursacht. „TFA is in fact
bioactive“, hat eine Arbeitsgruppe um den Chemie-Professor Reza Ghadiri am
Scripps-Institut in La Jolla, Kalifornien, [12][Anfang des Jahres
festgestellt.] Es verursache „dramatische biologische Effekte in mehreren
gezüchteten Stämmen menschlicher Leberzellen“. Damit bestätigt er die kurz
zuvor veröffentlichten [13][Ergebnisse der Biochemikerin Aleksandra
Đurđević Đelmaš und ihrer internationalen
Forschungsgruppe an der Uni Belgrad].
Die weltweite Diskussion um TFA hatte Ende Mai auch in Deutschland [14][zu
einer veränderten Gefahreneinstufung geführt] und das war dann in den
Medien Thema. Doch meist bleibt es eine abstrakte Debatte. Im hübschen Bad
Wimpfen, gerade erst beim Travelbook Award zur schönsten Altstadt
Deutschlands gekürt, hatte sie sich durch die Waldquellen für einen Moment
konkretisiert. Jetzt ist damit Schluss. Es könnte Ruhe einkehren in der
kleinen Stadt.
## Ein Pyrrhus-Sieg
Ruhe ist allerdings das, was der Freiburger Chemie-Professor Michael Müller
fürchtet. „Noch so ein Sieg und wir sind verloren“, so schätzt Müller den
Vorgang ein. Das ist ein klassisches Zitat. Geschichtserzähler Plutarch hat
es dem König Pyrrhus als Kommentar zu einer gewonnenen Schlacht in den Mund
gelegt. Den Triumph hatte sein Volk so teuer erkauft, dass es danach den
Römern nichts mehr entgegensetzen konnte. Es war ein Pyrrhus-Sieg.
„Das Schließen des Abflussrohrs in Bad Wimpfen hält uns davon ab, richtige
Aktionen anzugehen“, so Müllers Sorge. Denn dadurch entstehe der Eindruck:
Jetzt haben wir was erreicht. „In Wirklichkeit haben wir gar nichts
erreicht.“ Das ist erklärungsbedürftig. Und Müller kann sehr gut erklären.
Also heißt es: runterfahren nach Freiburg.
Wann die Geschichte mit TFA begonnen hat, lässt sich recht präzise sagen.
TFA ist eine künstliche Substanz: Es ist Essigsäure, bei der die sonst an
einem Kohlestoff gebundenen drei Wasserstoff-Atome durch drei Fluor-Atome
ersetzt wurden. Genau das hat sich Frédéric Swarts vorgenommen. Nach einem
Verfahren dafür forscht er von 1895 an, also noch bevor er den Lehrstuhl
für Organische Chemie an der Uni Gent von seinem Vater geerbt hat.
Erst nach dem Ersten Weltkrieg, am 3. Juni 1922 tritt er, mittlerweile
Vize-Präsident der Internationalen Chemiker-Vereinigung und seit 1919 auch
Präsident des Institut International de Chimie Solvay, vor die Kollegen der
königlich-belgischen Akademie. Er hat einen Erfolg zu vermelden.
Swarts war bestimmt ein guter Mensch. Zeitgenossen haben ihn als regelrecht
schüchtern erlebt. Im Krieg organisierte und finanzierte er den
akademischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Und er hatte ein
Faible fürs Schöngeistige, vor allem für Musik. Zugleich mit dem Chemie-
hatte er ein Geigen- und Gesangsstudium begonnen, bevor er sich, ach!, ganz
der Forschung zum Wohle der Menschheit widmete, rein zivil.
Zwischen den Zeilen seines eher spröden Referats über seine Entdeckung
meint man, im Understatement den Stolz mitschwingen zu hören, wenn er
verspricht, dass diese verwandelte Essigsäure „vor allem unter
physikalisch-chemischen Gesichtspunkten von einigem Interesse“ sein könnte.
Ob er auf den Nobelpreis gehofft hat? Verdient gehabt hätte er ihn. Der
Stoff ist nicht bloß etwas völlig Neues. Er ist auch unendlich praktisch.
Das macht ihn ja so verhängnisvoll: Er ist der kleinste Grundbaustein für
die meisten längerkettigen PFAS. Raketentechnik, Löschschaum,
Narkoseapparate, Windanlagen, Medikamente, Fungizide, Pizzakartons und
Pestizide, es gibt zahllose Bereiche, in denen es selbst, seine Derivate,
direkt oder als prozessbeschleunigendes Hilfsmittel bei der Fertigung zum
Einsatz kommt. Swarts hat diese Tür aufgestoßen.
Das Institut für pharmazeutische und medizinische Chemie der Uni Freiburg
sitzt im Otto-Krayer-Haus, unweit vom Bahnhof. Im Labor zeigt Michael
Müller seine Weinsammlung: alte Flaschen, entstaubt, aber mit Firnis. Ein
paar ehrfurchtgebietende Einzelstücke sind dabei, ein Portwein aus den
1920er-Jahren, ein Bordeaux von 1940: Das alles sind Studienobjekte.
Denn, dass es TFA früher nicht gegeben hat, belegen Untersuchungen in
Eisbohrkernen. Aber wie es in die Welt kam und sich dort verbreitet, lässt
sich noch präziser durch die Analyse von Wein verfolgen. Guter Wein wird
immer an derselben Stelle geerntet. Auf den Etiketten steht, woher er
kommt, und in welchem Jahr die Trauben gekeltert wurden.
## Kurve fast senkrecht
Erste Spuren von TFA haben Müller und sein Team in den späten 1960ern
gefunden. Danach ein allmählicher Anstieg, bis zur Jahrtausendwende. Und
dann schnellt die Kurve nach oben, mittlerweile ist sie fast senkrecht: Die
Winzerverbände waren sauer, als die Ergebnisse präsentiert wurden, aber sie
können sich entspannen: „Der Wein ist für uns ein Zeitfenster“, sagt
Müller. Er dient als Medium, in dem sich die Entwicklung abzeichnet, die in
allen Pflanzen zu erwarten ist, in Obst, in Gemüse, in Stauden, Blättern
und in Knollen.
Das ist dramatischer als die Belastung von Trinkwasser. Da gibt es für
Haushalte zumindest eine theoretische Möglichkeit, den Stoff mit Nanoporen
rauszufiltern, das wird dann auch mineralstofffreies Wasser. Aber bei
Zucchini oder Äpfeln geht das eben nicht. In ihren Zellen aber reichert
sich das TFA an, ähnlich wie längerkettige PFAS beispielsweise in
Wildschweinleber. Die darf deshalb in Deutschland nicht mehr in den Handel
gebracht werden. Sie ist zu giftig.
Der Umweltchemiker Hans Peter Arp, Professor am Norwegischen Geotechnischen
Institut und an der Norwegischen Technischen Uni warnt deshalb, dass TFA
die planetaren Belastungsgrenzen bedrohe. Auch wenn die Effekte noch nicht
genau erforscht sind, dass sie eintreten werden ist klar: Allein die
wachsende Konzentration dieses neuen Stoffs sei ab einem bislang
unvorhersagbaren Punkt geeignet, disruptive Wirkung zu entfalten, hatte er
in einer Anhörung im Europaparlament erläutert. Und „da TFA sich global
anreichert und über einen langen Zeitraum bestehen bleibt, wären negative
Auswirkungen ebenfalls global und langfristig zu erwarten“, erklärt er der
taz. „Die Erde würde das Holozän verlassen, in dem sich die Menschen
entwickelt haben.“
Überall wo TFA gemessen wird, findet sich dieser Anstieg. Dafür gibt es
Gründe: Einer ist ausgerechnet das Montreal-Protokoll, also die Ächtung der
FCKWs, um die Ozonschicht zu schließen. Ein wichtiger Erfolg. Ersetzt
wurden sie seinerzeit allerdings oft durch TFA-haltige Kälte- und
Triebmittel. Asthmasprays zum Beispiel bringen gegenwärtig 11.000 Tonnen
der entsprechenden Fluorgase in die Atmosphäre ein – die dann im Regen
niederfallen.
Perfluorierte Wirkstoffe finden sich auch in Medikamenten, mittlerweile
gehört fast jeder vierte neue Arzneistoff dazu, erklärt Müller. Mit seiner
Arbeitsgruppe hat der Pharmazie-Prof zuletzt genau zu diesem Thema
geforscht. Auf einem großen Flatscreen in seinem Büro sind alle weltweit
111 PFAS-Arzneistoffe aufgeführt, besonders hervorgehoben die 70, die
derzeit in Deutschland zugelassen sind. Für sie hat die AG Müller nach
Alternativen gesucht. Ergebnis: So gut wie jeder PFAS-Wirkstoff ist durch
einen nicht fluorierten ersetzbar.
Argumentativ ist das entscheidend. Denn Humanmedizin genießt ja in der
Praxis immer eine Sonderstellung. Das europaweite
PFAS-Beschränkungsverfahren, das die Umweltbehörden von Belgien, Norwegen,
Dänemark, den Niederlande und Deutschland 2023 angeregt hatten, spart
diesen Bereich deshalb vorsorglich aus. Aber dazu bestehe eben kein Anlass,
sagt Müller: „Es gibt selbst im Medizinbereich die Alternativen. Wenn es
aber im Medizinbereich Alternativen gibt, wo wäre das alternativlos?“
Man müsste es also wollen, politisch wollen. Die Gelegenheit wäre günstig,
wo die Hersteller in Europa und den USA zu Beginn des kommenden Jahres die
Segel streichen. Und Baden-Württemberg, wo im kommenden Jahr gewählt wird,
ist PFAS-Land. Erst im Mai hatte die Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke
Bodensee-Rhein Alarm geschlagen: Die TFA-Konzentration im Rhein nördlich
von Basel hat sich nämlich innerhalb der letzten acht Jahre mehr als
verdoppelt. Eine Lösung fürs Problem durch Filtertechnik fehlt. Also könne
man dann irgendwann kein Trinkwasser mehr herstellen, sobald es einen
Standard dafür gibt. Die Arbeitsgemeinschaft versorgt rund zehn Millionen
Menschen, weit ins Land hinein, bis hoch in den Kraichgau, nach Bad Wimpfen
zum Beispiel. Sie fordert ein „konsequentes Verbot aller
Ewigkeits-Chemikalien“.
## Krasse Absage
Früher bestand bei dem Thema Dissens zwischen dem grünen Umwelt- und dem
grünen Wirtschaftsministerium auf Bundesebene. Der neue Koalitionsvertrag
aber erteilt dem Ziel eines PFAS-Ausstiegs eine krasse Absage. Unter dem
Vorsitz von [15][Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU)], Baden-Württemberg, hatte
auch die Wirtschaftsminister*innenkonferenz im Juni erneut
bekräftigt, dagegen zu sein, und Panik geschürt. Bei einem Verbot würden
ganze Produktionsbereiche in der EU wegbrechen, hatte Hoffmeister-Kraut in
Stuttgart gewarnt, und das Gespenst einer drohenden Deindustrialisierung
heraufbeschworen.
Auf der Homepage des Landes-Umweltministeriums heißt es zwar:
„Baden-Württemberg steht hinter PFAS-Verbots-Initiative“. Aber in dem
Brief, den Ressortchefin Thekla Walker (B90/Grüne) in der Sache an
Bundes-Umweltminister Carsten Schneider (SPD) geschickt hat, ist nur noch
die Rede davon dass doch bitte die „festgelegten bzw. in Diskussion
stehenden (Grenz-)Werte auf Widersprüchlichkeit zu prüfen“ seien.
Harmonisiert wären sie doch viel besser. Ob das zur Profilierung im
Wahlkampf reicht?
Dabei müsste es darum gehen, die Quelle zu verstopfen, for good: „Was wir
brauchen, ist ein Konsens“, hatte Müller eine Idee skizziert, wie die
Menschheit aus der Nummer rauskommen könnte, „ein Konsens von Industrie,
Politik und Gesellschaft, dass wir auf diese Stoffgruppe verzichten.“ Das
wäre mal ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.
7 Dec 2025
## LINKS
[1] /Ewigkeitschemikalien-im-Wasser/!6111023
[2] https://umweltportal.baden-wuerttemberg.de/umweltdaten-bericht-2024/trifluo…
[3] https://www.kontextwochenzeitung.de/wirtschaft/754/tfa-im-doppelpack-10447.…
[4] https://www.stimme.de/heilbronn/landkreis-heilbronn/trinkwasser-quelle-bad-…
[5] https://www.lateinheft.de/caesar/caesar-de-bello-gallico-kapitel-1/
[6] https://chemanager-online.com/de/news/solvay-treibt-aufspaltung-voran
[7] https://www.finanzen.net/chart/solvay
[8] https://ferrarolaw.com/blog/2024/april/historic-125-billion-3m-settlement-m…
[9] https://dep.nj.gov/solvay/
[10] https://www.reuters.com/sustainability/solvay-settles-drinking-water-pollu…
[11] https://www.gesetze-im-internet.de/trinkwv_2023/
[12] https://www.researchgate.net/publication/389759229_Trifluoroacetate_reduce…
[13] https://www.researchgate.net/publication/389294862_Perfluoroalkyl_acids_in…
[14] /29-zugelassene-Pestizidwirkstoffe-bilden-gefaehrliche-Saeure/!6091048
[15] https://www.agentur-zukunft.eu/2025/01/4714-lobbyismus-der-ewigkeits-chemi…
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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