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# taz.de -- „Wachse oder weiche“ in München: Der Acker, der die Welt bedeu…
> Am Nockherberg geschasst, in den Münchner Kammerspielen gefeiert.
> Maximilian Schafroth feiert mit seiner ersten Theaterarbeit Premiere.
Bild: Achtsamkeits-Demeter versus Excel-Versteher: Stefan Merki und Maximilian …
Schon erstaunlich, was so alles auf einen Acker passt. Nein, nicht nur der
riesige Hokkaido-Kürbis, der Linus van Pelt vor Ehrfurcht erstarren ließe,
sondern auch der ganze Themen-Wust, den Maxi Schafroth neben Gülle und
Dünger hier ablädt: Globalisierung, Wachstum, Höfesterben, Detoxing und
-bubbling und Burnout.
Und während sich hier nun zeigt, wer seine Peanuts kennt, nimmt Schafroths
agrarkritisches Lustspiel „Wachse oder weiche“ am Freitagabend bei der
Premiere an den [1][Münchner Kammerspielen] Fahrt auf und – so viel sei
schon an dieser Stelle verraten – ein begeistertes Publikum mit ins Allgäu.
Die Geschichte ist – zumindest vordergründig – schnell erzählt. In
Stefansdingen spielt sie, einem Ort im Allgäu, der mehr so mittelfiktiv
ist, Schafroth selbst kommt aus Stephansried. In diesem Stefansdingen leben
die beiden Bauern Andi und Reto, Acker an Acker.
So ist denn auch das schlichte, aber sehr gelungene Bühnenbild ein einziger
Acker. Andi, gespielt von Schafroth, ist ein konventioneller
Workaholic-Landwirt, der ein Leben zwischen 50 Milchkühen und noch mehr
Excel-Tabellen führt, die Frau ist ihm längst davongelaufen. Reto dagegen
ein aus der Schweiz rübergemachter Biobauer, Typ Achtsamkeits-Demeter.
Seinen Hof nennt er einen „Ein-Frucht-Betrieb“.
Die Frucht, besagter Kürbis eben, erfährt eine Eins-zu-eins-Betreung, pro
Frucht ein Mitarbeiter. „Ein Schädling“, erklärt Reto, „ist nur einer, …
etwas anderes will als man selbst. Es gibt keine Schädlinge, nur
unterschiedlich gelagerte Interessen.“ Klar, dass es hier auch beim
Nachbarn unterschiedlich gelagerte Interessen gibt.
Detoxing im Kerker der Kindheit
Dann wären da noch die Gutsbesitzerin, Fürstin Goggo von Pöschiner, die an
Andi verpachtet und an Reto verkauft hat, ihr Neffe Alfons, der zum
Detoxing aus der Stadt auf das Gut, den „Kerker“ seiner Kindheit,
zurückkehrt, und BayWa-Mitarbeiter Michi, der „Glyphosat-Mephisto“ (Reto).
Der Agrarkonzern BayWa, dessen Pleite im vergangenen Jahr nur knapp
abgewendet werden konnte, ist im bayerischen Kabarett ohnehin ein so
beliebtes wie naheliegendes Motiv. Die Biermösl Blosn textete seinerzeit
sogar die Bayern-Hymne um: „Gott mit dir, du Land der BayWa, deutscher
Dünger aus Phosphat, über deinen weiten Fluren liegt Chemie von fruah bis
spaat.“
Michi will Andi zunächst die neueste Chemiekeule andrehen, nebst Goody-Bag
mit dem Dosenprosecco einer Agrar-Influencerin, versteht sich. Doch dann
stellt er fest, dass sich unter dem Acker ein Kobalt-Vorkommen befindet und
will mit Andi das ganz große Rad drehen. Reto geht dazwischen, die
Gutsbesitzerin will mitverdienen, und schließlich kommt eh alles ganz
anders.
Schafroths erste Theaterarbeit
Maximilian Schafroth – den „milian“, den er bisher meist vermied, scheint
er eigens für die ehrwürdigen Kammerspiele reanimiert zu haben – hat das
Stück geschrieben (gemeinsam mit dem Dramaturgen Martin Valdés-Stauber).
Auch für die Musik hat er gesorgt, die Regie geführt und er spielt selbst
mit. Es ist Schafroths erste Theaterarbeit.
Die Erwartungen sind groß. Und die Kammerspiele versäumen es nicht, die
Latte noch höher zu hängen und Schafroth schon vorab gleich mal in eine
Reihe mit [2][Karl Valentin und Liesl Karlstadt] zu stellen, die schon vor
hundert Jahren an den Kammerspielen große Erfolge feierten.
[3][Und mit Gerhard Polt], der im Team mit Gisela Schneeberger, Hanns
Christian Müller, Dieter Hildebrandt und den Biermösl Blosn hier ebenfalls
Theatergeschichte schrieb. Das kabarettistische Drama, oder wie immer man
dieses Format bezeichnen mag, hat hier durchaus Tradition.
Kabarettist, Schauspieler und Größe in Bayern
Jetzt also Schafroth. Der mittlerweile 40-Jährige ist als Kabarettist und
Schauspieler schon seit Jahren eine Größe in Bayern. Außerdem ist er, mit
Blick auf das gewählte Thema durchaus eine Erwähnung wert, gelernter
Bankkaufmann. Einem Publikum weit über die Kabarettblase hinaus bekannt
wurde er [4][als Fastenprediger beim Politiker-Derblecken am Nockherberg].
Fünfmal gab er ihn von 2019 bis 2025 – in unterschiedlichen Tonlagen und
mit unterschiedlicher Resonanz.
Während beispielsweise Markus Söder, schon qua Amt wichtigste Zielscheibe
des Derbleckens, anfangs noch sehr zahm behandelt wurde, ging Schafroth
zuletzt hart mit ihm ins Gericht. Was vielen im Publikum nicht gefiel. Auch
der Ministerpräsident selbst war freilich nicht amüsiert – und Schafroth
kurz darauf Vergangenheit, von der Brauerei Paulaner eilfertig abgeräumt
wie ein abgestandenes Norgerl im Salvator-Masskrug.
Ein Schelm, wer einen Zusammenhang vermutet. Beim nächsten Starkbieranstich
wird das langjährige Söder-Double Stephan Zinner die Fastenrede halten.
Schafroth nahm es mit Würde.
Auf der Bühne der Kammerspiele sagt er nun, während er, wie noch öfters an
diesem Abend, mal unvermittelt von der Rolle des Andi in die des Regisseurs
und Schauspielers springt, er sei jetzt brav. „Ich möcht ja nicht noch mal
wo rausfliegen.“
An der Grenze zu Kalauer und Klischee
Die Gefahr kann als gering erachtet werden. Denn was Schafroth aus dem
kleinen, für sich genommen noch unspektakulären Stück macht, ist ein großes
Vergnügen. Das auch dadurch nicht geschmälert wird, dass der Neudramatiker
immer mal wieder gut gelaunt an der Grenze zu Kalauer und Klischee
entlangmarschiert, Abdrift billigend in Kauf nehmend.
Endlich kann Schafroth auch sein schauspielerisches Talent mal wieder
ausleben – im Verein mit großartigen Kollegen, bei dessen Casting er sich
im Ensemble der Kammerspiele bedient hat: Stefan Merki (Reto) kennt man,
auch mit Polt stand er hier schon auf der Bühne, Elias Krischke (Alfons)
und Martin Weigel (Michi) wird man sich merken müssen. Traute Hoess
(Goggo), die schon mit Ton Steine Scherben und Fassbinder zusammenarbeitete
und lange am Berliner Ensemble arbeitete, ergänzt die Truppe.
Dazu der Gitarrist Markus Schalk, der stets an Schafroths Seite ist und mit
den sich abwechselnden Trios Perlseer und Reiwas für den Soundtrack zum
Acker sorgt.
Überhaupt die musikalischen Einlagen, von Country über Rap bis Paul Simon:
eine Wonne. Und noch nie hat ein Rumpelstilzchen schöner getanzt.
Schließlich steht auch das Publikum, tanzt, klatscht. Und darauf trink’ma
jetzt oane! Aber Obacht bei der Bierauswahl.
27 Oct 2025
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## AUTOREN
Dominik Baur
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