| # taz.de -- Offene Bühne im Jazzclub Birdland: Zum Lächeln in den Keller | |
| > Einmal die Woche lässt Hamburgs Jazzclub Birdland Amateur:innen auf | |
| > die Bühne. Mit Dilettantismus hat das allerdings so rein gar nichts zu | |
| > tun. | |
| Bild: Jeden Donnerstagabend findet hier im Hamburger Birdland die traditionelle… | |
| Mit jedem Schritt in den Keller fliegen einem lautere Jazzklänge entgegen. | |
| Ein harmonisches Zusammenspiel von Klavier, Saxofon, Schlagzeug und dem | |
| Zupfen am Kontrabass – zwischendurch begeistertes Klatschen –, man kommt | |
| schon lächelnd unten an. | |
| Wie jeden Donnerstagabend findet hier im Hamburger Birdland auch heute die | |
| traditionelle Jam-Session statt. Einmal die Woche bietet der seit 1985 | |
| bestehende Jazz-Club nicht nur professionellen Musiker:innen eine | |
| Bühne, sondern alle können mitspielen. | |
| Sehen kann man davon allerdings auch am Fuß der Treppe erst mal nicht | |
| besonders viel: Schon um 21 Uhr ist der Kellerclub so voll, dass | |
| Durchkommen unmöglich scheint. Auf einem Stuhl an der Garderobe sitzt ein | |
| älterer Mann, lächelt den überforderten Neuzugängen entgegen und sagt, dass | |
| in einer halben Stunde Pause sei – dann würden viele rauchen gehen und es | |
| gebe mehr Platz. Er schiebt die Jacken an der Garderobe zusammen, reicht | |
| Kleiderbügel heraus und beginnt lockere Gespräche. Und dabei arbeitet er | |
| hier eigentlich gar nicht, sondern gehört eher so zum Inventar. | |
| ## Eine Frage der Abstimmung | |
| Auf Zehenspitzen können die Musizierenden vom Gang aus zumindest erspäht | |
| werden: Ein etwa 20-Jähriger sitzt am Klavier, seine Finger schweben lässig | |
| über die Tasten, sein Körper bewegt sich im Rhythmus. Immer wieder sucht er | |
| Blickkontakt mit den anderen auf der Bühne, um abzustimmen, wie es | |
| weitergeht. Hier wird nicht nach Noten gespielt, sondern improvisiert. Ein | |
| zustimmender Blick der anderen, und das Klavier bekommt ein Solo. Mit | |
| geschlossenen Augen fühlt der Pianist seine Musik und zieht auch die | |
| Zuschauer:innen in den Bann. | |
| Nach und nach kommt man doch in den Raum des Clubs, der für etwa 150 | |
| Menschen Platz hat. Die Überraschung dazu, was auf der Bühne zu sehen ist, | |
| ist den neu Hereinkommenden ins Gesicht geschrieben, und in leisen | |
| Gesprächen wird klar, alle sind beeindruckt: Auf der Bühne spielt | |
| mittlerweile der momentane Schlagzeuger ein Solo – und der ist über 80 | |
| Jahre alt. Anhören tut man ihm das nicht. Kraftvoll und dynamisch spielt er | |
| eine nahtlose Abfolge von Schlägen, und das auch noch ausgesprochen rasant. | |
| Weiter hinten im Raum packt jemand einen Bass aus und macht sich langsam | |
| auf den Weg zur Bühne: vorsichtig und mit einer Begleitperson, denn der | |
| Mann ist blind und der Raum sehr voll. Es ist spannend, die Kommunikation | |
| der Musizierenden zu beobachten, denn bisher hat die viel über | |
| Blickkontakte stattgefunden. | |
| Die Musizierenden kommen kurz ins Gespräch, reden über das, was gleich auf | |
| der Bühne passieren soll – und es funktioniert. Letztlich geht es bei der | |
| Musik eben doch ums Gehör. Und dann harmoniert es auch ohne viele | |
| Absprachen. | |
| ## Bunt gemischtes Publikum | |
| Eine junge Frau legt ihre Drumsticks neben das Schlagzeug und zeigt damit: | |
| Als Nächstes möchte sie an das Instrument. Sie bleibt an diesem Abend die | |
| Einzige weiblich gelesene Person auf der Bühne. Hauptsächlich treten weiße | |
| Männer auf. | |
| Das Publikum ist dafür umso diverser: Jede Altersstufe ist vertreten, kein | |
| Geschlecht hat Überhand und von elegant angezogenen Menschen mit Fächer und | |
| Espresso-Martini in der Hand bis zu Studis mit Bier und Cola. Es fällt | |
| leicht, sich hier wohlzufühlen. | |
| Die Atmosphäre ist geprägt vom romantischen, dunklen Licht, dem mit | |
| Holzmöbeln ausgestatteten Raum und den mit Instrumenten und Portraits von | |
| Jazzspielenden gefüllten Wänden. Über der Bar hängt der Spruch „Music is | |
| the best kind of high“. Und so fühlt es sich hier auch an. Die Jam-Sessions | |
| im Birdland sind eine kleine, harmonische Welt, in der man auch bei | |
| anspruchsvoller Musik für ein paar Stunden einfach mal abschalten kann. | |
| Und es wird nicht langweilig: Ein weiterer Mann kommt auf die Bühne, nimmt | |
| das Mikrofon in die Hand und beginnt, auf Spanisch zu singen. Lautes | |
| Klatschen und Jubeln aus dem Publikum – manche singen sogar mit. Die | |
| Stimmung kommt mit ihm auf einen neuen Höhepunkt. Jazz macht einfach gute | |
| Laune. | |
| 9 Nov 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Leo Schurbohm | |
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