| # taz.de -- Afghanische Ortskräfte in Osnabrück: CDU will nicht helfen | |
| > In Osnabrück haben schon viele ehemalige Ortskräfte aus Afghanistan | |
| > Schutz gefunden. Der Rat der Stadt will das ausbauen. Bloß die CDU sperrt | |
| > sich. | |
| Bild: „Ich fühle mich hier willkommen!“: Khalid Sadaat, einst Projektkoord… | |
| Khalid Sadaat weiß, wie es sich anfühlt, das Vertrauen zu verlieren. In | |
| Afghanistan hat er als Ortskraft für die deutsche Kinderrechtsorganisation | |
| Terre des Hommes gearbeitet, als Projektkoordinator. [1][Seit der | |
| Machtergreifung des Talibanregimes] lebt er im niedersächsischen Osnabrück, | |
| zusammen mit seiner Familie. Aber viele wie er warten noch immer auf die | |
| versprochene Einreise nach Deutschland. „Wir haben Jahre für euch | |
| gearbeitet“, sagt er. „Und wie behandelt ihr uns?“ Er ist tief enttäuscht | |
| von der Bundesregierung. | |
| Ende August haben Dutzende Organisationen Bundesaußenminister Johann | |
| Wadephul (CDU) und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) einen | |
| [2][offenen Brief geschrieben]. Es sei eine „aus rechtsstaatlichen | |
| Gesichtspunkten nicht tragbare Situation“, dass es an Unterstützung für | |
| AfghanInnen fehle, die [3][in Pakistan auf eine Ausreise nach Deutschland | |
| warten]. Dabei ist den Menschen zugesagt worden, dass sie nach Deutschland | |
| ausreisen dürfen. | |
| Tausende MenschenrechtlerInnen, AnwältInnen, Angehörige gefährdeter | |
| Minderheiten hoffen derzeit auf den versprochenen Flug in die Sicherheit – | |
| darunter ehemalige Ortskräfte in deutschem Auftrag. Währenddessen droht | |
| ihnen die Abschiebung in ihr Herkunftsland, aus dem sie vor der | |
| Machtergreifung des Talibanregimes geflohen sind. In dem Brief, mit | |
| Unterzeichnern von Amnesty International bis zur Refugee Law Clinic | |
| Hannover, wird eine Verkürzung von Sicherheitschecks und Visaverfahren | |
| sowie sofortige Evakuierung gefordert. | |
| ## Druck aus der Kommunalpolitik | |
| Auch aus der Kommunalpolitik bekommen Dobrindt und Wadephul Druck. Am 4. | |
| November wird der Rat der Stadt Osnabrück eine interfraktionelle | |
| „Initiative zum Schutz und zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte“ | |
| beschließen, ins Leben gerufen durch die örtlichen Grünen, deren Antrag | |
| sich SPD, Volt, FDP, UWG, Linke und der Parteilose Kalla Wefel | |
| angeschlossen haben – die Ratsmehrheit. | |
| Osnabrück erkläre sich bereit, heißt es in ihrer Beschlussvorlage, „in | |
| einer gemeinsamen Initiative mit anderen deutschen Städten und Gemeinden | |
| afghanische Ortskräfte aufzunehmen“. Oberbürgermeisterin Katharina Pötter | |
| (CDU) wird gebeten, als Mitglied des Präsidiums des Deutschen Städtetags | |
| einen „entsprechenden Vorstoß“ zu unternehmen. | |
| „Den in Pakistan Wartenden läuft die Zeit davon“, sagt Anke Jacobsen der | |
| taz. Jacobsen ist die Vizevorsitzende der Stadtrats-Fraktion der | |
| Osnabrücker Grünen. 94 über das „Bundesaufnahmeprogramm für besonders | |
| gefährdete Menschen aus Afghanistan“ Eingereiste, 2022 aufgelegt von den | |
| Ministerien, denen heute Wadephul und Dobrindt vorstehen, leben derzeit | |
| schon in Osnabrück. „Ihre Integration ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt | |
| Jacobsen. | |
| ## CDU schließt sich der Mehrheit nicht an | |
| Jacobsen hätte für ihre Initiative gern auch die örtliche CDU im Boot | |
| gehabt. Aber die hat Bedenken. „Wir wurden zur letzten Sitzung des Sozial- | |
| und Gesundheitsausschusses angefragt, ob wir einen entsprechenden Antrag | |
| unterstützen“, schreibt Robert Schirmbeck der taz, Fraktionsgeschäftsführer | |
| der CDU. „Da man unmittelbar danach begann, die ersten Ortskräfte | |
| auszufliegen, hatte sich der Antrag aus unserer Sicht erledigt.“ | |
| Ob der Antrag zur Ratssitzung mit dem zur Ausschusssitzung identisch sei, | |
| wisse man nicht. „Wir schauen uns den neuen Antrag an, sobald er verfügbar | |
| ist, und beraten dann innerhalb unserer Fraktion die Haltung dazu.“ Man | |
| schließe sich „der Haltung der Bundesregierung an“, schreibt Schirmbeck. | |
| Grundsätzlich seien rechtsverbindliche Zusagen einzuhalten. | |
| Jacobsen sieht das als Verzögerungstaktik und Unterstützung der | |
| Zögerlichkeit von Dobrindt und Wadephul. „Der Antrag ist identisch und der | |
| CDU seit September bekannt“, sagt sie. „Sicher, es sind jüngst einige | |
| [4][Dutzend AfghanInnen nach Deutschland] geholt worden. Aber nur, weil | |
| jeder von ihnen das eigens eingeklagt hat. Eine wirkliche Bewegung ist da | |
| nicht drin.“ | |
| ## Oberbürgermeisterin weist Verantwortung zurück | |
| Das lässt auch Oberbürgermeisterin Katharina Pötter erkennen. „Aus meiner | |
| Sicht sollte jemand, der sich unter Einsatz seines Lebens in Afghanistan | |
| für deutsche Behörden engagiert hat und nun deshalb in seinem Heimatland in | |
| Gefahr ist, bei uns Schutz finden“, schreibt sie der taz. Aber das sei | |
| [5][eine nationale Aufgabe], „kein Thema der kommunalen Selbstverwaltung“. | |
| Sie halte den vorgeschlagenen Weg über den Deutschen Städtetag „in diesem | |
| Fall nicht für zielführend“. | |
| Kommunale Bereitschaftserklärungen, „die alleine keine praktische Wirkung | |
| entfalten“, findet Pötter, „führen nicht weiter“. Die Stadt Osnabrück … | |
| ihren Verpflichtungen nach und nehme ihr zugewiesene Flüchtlinge auf. Aber: | |
| „Dafür braucht es keine symbolischen Ratsbeschlüsse.“ | |
| „Das ist nicht nur symbolisch“, sagt Jacobsen. „Das hilft, Druck auf die | |
| Bundesregierung auszuüben! Und der ist bitter nötig.“ | |
| ## Terre des Hommes unterstützt den Rat der Stadt | |
| „Wir begrüßen die Initiative in Osnabrück ausdrücklich“, schreibt Annika | |
| Schlingheider der taz, Referentin Flucht und Migration bei der | |
| [6][Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes], deren Hauptsitz Osnabrück | |
| ist und die in Afghanistan Einheimische beschäftigt hat. | |
| In Pakistan säßen noch mehr als 2.000 Personen fest, die aufgrund ihrer | |
| besonderen Gefährdung eine Aufnahmezusage erhalten hätten: „Im Vertrauen | |
| auf diese Zusage haben sie ihr Hab und Gut verkauft und das Land nach | |
| Pakistan verlassen. Dort warten sie seit Monaten unter prekären Bedingungen | |
| auf ihre Ausreise, die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder“, so | |
| Schlingheider. | |
| Die Angst vor Razzien und Abschiebungen sei allgegenwärtig: „Einige hundert | |
| Personen wurden bereits gewaltvoll nach Afghanistan abgeschoben, sogar | |
| Familien wurden dabei auseinandergerissen. Das alles passiert, während die | |
| Menschen sich auf die Aufnahmezusage aus Deutschland verlassen haben.“ | |
| Zahlreiche Gerichtsbeschlüsse haben die rechtliche Verbindlichkeit der | |
| Aufnahmezusagen bestätigt. Die Bundesregierung müsse jetzt zu ihrer | |
| Verantwortung stehen, so Schlingheider. „Alles andere wäre ein | |
| unverzeihlicher Wortbruch.“ | |
| Khalid Sadaat weiß, was das bedeutet. Als die Taliban an die Macht kamen, | |
| war er in Indien, für eine Terre-des-Hommes-Konferenz, von dort flog er | |
| direkt nach Deutschland. „Mir hätte die Inhaftierung gedroht, wenn nicht | |
| Schlimmeres“, erzählt er der taz. „[7][Unsere Arbeit galt ja nicht zuletzt | |
| den Frauenrechten]. Tags darauf kamen die Taliban in unser Haus, haben nach | |
| mir gesucht.“ Seine Familie konnte entkommen. „Man hat uns alles | |
| weggenommen.“ | |
| Sadaat spricht Englisch und Deutsch, ist weltoffen und demokratiebewusst, | |
| hat ein Journalismusstudium abgeschlossen. Er sieht sich mittlerweile als | |
| Osnabrücker: „Das ist jetzt meine Heimat, und ich fühle mich willkommen. Es | |
| gab viel Unterstützung, auch vonseiten der Stadt.“ | |
| Sadaat engagiert sich für die afghanische Community aus Stadt und Landkreis | |
| Osnabrück und ist derzeit auf Jobsuche. Seinen Beginn in Deutschland hat er | |
| nicht als Kulturschock erlebt. Angstfrei ist er allerdings nicht: „Wenn | |
| jetzt plötzlich Talibanvertreter als Diplomaten nach Deutschland kommen, | |
| fühlst du dich schon ziemlich unsicher.“ | |
| ## Warten in Pakistan ist gefährlich | |
| In Pakistan, erzählt Sadaat, leben die Wartenden oft zu mehreren in einem | |
| kleinen Raum. „Man vermeidet es, auf die Straße zu gehen, denn immer wieder | |
| gibt es Verhaftungen. Kranke gehen nicht zum Arzt, Kinder nicht zur Schule. | |
| Man wartet, Monat um Monat. Man hat die Einreisezusage, hat das Visum, hat | |
| den Sicherheitscheck durchlaufen. Aber nichts passiert. Man fühlt sich | |
| eingesperrt, unter extremem Druck, im Stich gelassen. Das ist psychische | |
| Folter.“ | |
| „Man hat den Eindruck, die Bundesregierung hofft darauf, dass sich das | |
| Problem durch Nichtstun von selber löst, die Zahl der Wartenden sinkt ja“, | |
| sagt Terre-des-Hommes-Mitarbeiterin Anna Büschemann, die in Osnabrück rund | |
| 40 ehemalige afghanische Ortskräfte und deren Familien betreut hat, | |
| Wohnungssuche inklusive. Ihr ist die Empörung anzumerken. „Aber sie sinkt, | |
| weil Visa ablaufen und nicht neu ausgestellt werden, weil Menschen, die | |
| längst in Deutschland hätten sein sollen, zurück nach Afghanistan gezwungen | |
| werden.“ Darauf zu bauen, sei amoralisch. „Es ist inhuman. Es ist | |
| erbärmlich!“ | |
| 2 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /4-Jahre-Taliban-Herrschaft/!6103242 | |
| [2] https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/offener-brief-zum-schutz-ge… | |
| [3] /Aufnahme-von-gefaehrdeten-Ortskraeften/!6080559 | |
| [4] /Afghaninnen-nach-Deutschland-geflogen/!6074000 | |
| [5] /Deutsche-Afghanistanpolitik/!6097112 | |
| [6] https://www.tdh.de/informieren/projektlaender/afghanistan | |
| [7] /Internet-Abschaltung-in-Afghanistan/!6112892 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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