| # taz.de -- Linkes Podcast-Kollektiv: Sounds gegen die Vereinzelung | |
| > Ob sterbende Clubs oder Plattenbauten, die sich gegen Abriss wehren: Im | |
| > Kollektivbetrieb macht das Audiokombinat Hörstücke mit politischem | |
| > Anspruch. | |
| Bild: Podcasten ohne Hierarchien: Die Mitglieder des Audiokombinats bei der Arb… | |
| taz | Ein Vormittag in einer Dachgeschosswohnung in Berlin-Kreuzberg, | |
| Arbeitstreffen beim Kollektiv Audiokombinat. Jürg Meister – „Jürg wie | |
| Jürgens, nur ohne das -ens“ – wirft einen Blick auf die Uhr. „Okay, Leut… | |
| wir müssen weitermachen. Seid ihr so weit?“, fragt er in Richtung des | |
| geschwungenen Sofas mit den lila Polstern, auf dem es sich die anderen fünf | |
| Mitglieder des Kollektivs bequem gemacht haben. Noch einmal werden die | |
| Papierbögen des Skripts durchgeblättert, ein letztes Räuspern und | |
| Zurechtrücken, bevor konzentrierte Stille einkehrt. | |
| „Es ist das Jahr 2012. Wer sich erinnert: Es ist das letzte Jahr des | |
| Maya-Kalenders und es gibt Leute, die für Silvester den Untergang der Welt | |
| voraussagen. Christian Wulff tritt als Bundespräsident zurück und eine | |
| Fußball-Europameisterschaft findet in Polen und in der Ukraine statt. Die | |
| Gentrifizierung in Berlin schreitet voran und gerade in der Innenstadt und | |
| im Westen steigen die Mietpreise“, liest Meister vom Skript. So beginnt die | |
| zweite Folge der geplanten Podcast-Serie, die die von steigenden Mieten und | |
| Verdrängung [1][gebeutelte Entwicklung der Berliner Clubszene] seit den | |
| 2010er Jahren unter die Lupe nimmt. | |
| ## Bedrohte Clubcultur | |
| Konkret geht es in den insgesamt vier geplanten Folgen um die | |
| linksalternativen Clubs Mensch Meier und die [2][Kirche von Unten (KvU) in | |
| der Storkower Straße] im Pankower Ortsteil Prenzlauer Berg, die vor zwei | |
| Jahren womöglich der Verdrängung zum Opfer fielen. Und seit Frühling dieses | |
| Jahres gehört auch der benachbarte Anomalie Art Club der Vergangenheit an. | |
| „Wir schauen uns an, was sich auf diesem Areal abgespielt hat“, sagt Tim | |
| Schleinitz. Kollektivmitglied Swantje Reuter ergänzt: „Und auch, was das | |
| mit einer Stadt, einer Stadtgesellschaft und einer Szene macht, wenn solche | |
| Orte gehen.“ | |
| Der Podcast, dessen Veröffentlichung zum Jahreswechsel geplant ist, wirft | |
| die richtigen Fragen zur richtigen Zeit auf: Denn die Weggentrifizierung | |
| etablierter Kulturräume wie des [3][Mensch Meiers] und der KvU ist bei | |
| Weitem kein Einzelfall. [4][Erst am Freizag verkündete die queere | |
| Klubinstitution Schwuz] ihr Aus. Letztes Jahr musste [5][das Watergate] | |
| schließen, Ende dieses Jahr wird die [6][Wilde Renate] nachziehen. | |
| Wie ernst die Lage ist, zeigt auch eine Umfrage der [7][Berliner Berliner | |
| Clubkommission]: Rund die Hälfte der Clubbetreibenden zog im vergangenen | |
| Jahr in Betracht, ihr Geschäft aufzugeben. Und das in einer Stadt, deren | |
| Kultur- und Clublandschaft Menschen aus aller Welt anzieht. | |
| Es ist nicht die erste Arbeit des Audiokombinats zum Thema Gentrifizierung. | |
| Vor zwei Jahren brachte [8][das sechsköpfige Kollektiv] die neunteilige | |
| [9][Podcast-Serie „Häuserkampf – eine Platte will bleiben“] heraus, die … | |
| Beispiel des besetzten Wohnblocks in der Berliner [10][Habersaathstraße] | |
| die städtische Wohnraumkrise erklärte. Schon damals setzten sich die | |
| Macher*innen mit der Frage auseinander, wer eigentlich die Zukunft der | |
| Stadt bestimmt. | |
| „Wir befassen uns mit Themen und Gruppen, die medial unterrepräsentiert | |
| sind“, sagt Jürg Meister. Themen wie Obdachlosigkeit und Suizid im | |
| ländlichen Raum gehören ebenso dazu wie Long Covid oder eben die | |
| Wohnungskrise. Zum Selbstverständnis des Kollektivs gehört es, „auch mal | |
| die Räume zu verlassen, in denen wir leben“, sagt Swantje Reuter. Gemeint | |
| sind damit nicht nur konkrete Orte und Themen, sondern auch die eigenen | |
| Standpunkte: „Diese zu hinterfragen und sich in neue Perspektiven | |
| hineinzufühlen“, so Reuter weiter. | |
| ## Faszination Audio | |
| Gutes Storytelling, guter Sound. Das steht in schnörkelloser, | |
| fliederfarbener Schrift auf der Website des Kollektivs. „Audio macht Bilder | |
| in dir auf“, sagt Jürg Meister. Und nicht nur das: Es kann Intensität, Nähe | |
| und Fokus herstellen. Details und Zusammenhänge aufzeigen. Komplexität und | |
| Emotionalität vermitteln. All das gleichzeitig. Ähnlich wie Musik könne | |
| Audio den Raum und die Zeit gestalten und das Erleben des Einzelnen | |
| verändern, sagt Schleinitz. Und wird ein Erzählstück wie Musik behandelt, | |
| entstehe eine Atmosphäre, die die Hörer*innen auf eine Reise mitnimmt. | |
| Gerade in Zeiten von Künstlicher Intelligenz und Algorithmen, die | |
| individuell maßgeschneiderte Inhalte ausspucken und der Welt dadurch ein | |
| Stück ihres Zaubers nehmen, kann akustisches Storytelling ein Gegenmedium | |
| sein. Davon ist jedenfalls Jürg Meister überzeugt: „Wir wollen Menschen | |
| helfen, dass sie etwas finden, was sie nicht gesucht haben. Sei es auf | |
| einer Wissensebene oder emotional.“ Das sei schließlich das Besondere an | |
| Audio, sagt Meister: sich auf etwas Unbekanntes einzulassen. | |
| Von einer „langen Reise“ spricht Jürg Meister auch, wenn er an die | |
| zurückliegenden Jahre denkt. 2020 hat sich das Kollektiv gegründet. „Wir | |
| sind in der Zeit der großen Vereinzelung zusammengekommen, mitten in der | |
| Pandemie“, sagt Reuter und lacht. Kennengelernt haben sich die | |
| Audiojournalist*innen, heute roundabout Mitte 30, beim Freien Radio Berlin, | |
| für das sie auch heute noch Hörstücke produzieren. „Bei uns allen bestand | |
| der Wunsch, sich zu professionalisieren“, sagt Reuter. Geholfen habe ihr | |
| der Zusammenschluss auch beim Einstieg in die Medienbranche. Denn gerade | |
| für Freischaffende gebe es da kein Patentrezept, erinnert sich Reuter. „Ich | |
| hatte Bock was zu machen, war aber allein – und was jetzt?“ | |
| Kollektives Arbeiten statt Ellbogenkonkurrenz lag den Mitgliedern vom | |
| Audiokombinat ohnehin nicht fern. Beim Freien Radio sei schließlich | |
| „Selbstorganisierung“ gefragt, sagt Jürg Meister, Themen würden dort | |
| grundsätzlich im Team bearbeitet. Und letztlich gehe es auch um Ressourcen. | |
| Denn wer teilt, spart auch. Eine Binsenweisheit, die in der Medienbranche | |
| keine Selbstverständlichkeit ist. | |
| ## Keine Konkurrenz | |
| Zum einen bezieht sich das Ressourcenteilen auf „den Austausch und das eher | |
| informelle Knowhow“, sagt Schleinitz. Wer sich im Kollektiv organisiert, | |
| muss offen miteinander reden können und den Konkurrenzgedanken ausschalten. | |
| „Daran muss man auch erst mal arbeiten.“ Zum anderen wird neben der | |
| materiellen Ausstattung auch das journalistische und technische Handwerk | |
| geteilt, das es zum Radio machen braucht. | |
| Politisch sind also nicht nur die Themen, die das Kollektiv bearbeitet, | |
| sondern ebenso der Versuch, „Kommunikations- und Arbeitsweisen zu finden, | |
| die anders funktionieren und Ungesehenes sichtbar machen“, sagt Schleinitz. | |
| Er sitzt mit Meister und Reuter an einem Tisch, während die anderen drei | |
| Kollektivmitglieder in der Küche das Mittagessen vorbereiten. „Einen Modus | |
| finden, der besser ist als der, der uns umgibt“, fügt Meister hinzu. „Das | |
| ist gar nicht so einfach, weil es keine Blaupause dafür gibt.“ | |
| Gemeint ist damit, sich der neoliberalen Logik zu widersetzen, die die | |
| Arbeitswelt bestimmt. Das beginnt schon damit, wenn immer die gleiche | |
| Person bei Arbeitstreffen das Protokoll führt. Oder wenn die Technik immer | |
| nur bei den Kerlen liegt. „Wir verfolgen den Ansatz, dass jede*r von uns | |
| mal alles machen muss und wir die Aufgaben durchwechseln“, erklärt Reuter. | |
| Dass Arbeitsprozesse auch mal länger dauern können, wenn der Arbeitsteilung | |
| nicht immer der Effizienzgedanke zugrunde liegt, nimmt das Kollektiv in | |
| Kauf. Doch auch sie wissen, dass der Umgang mit Ressourcen am Ende des | |
| Tages immer auch eine finanzielle Frage ist. „Inzwischen sind wir von dem | |
| Anspruch, dass jede*r alles können muss, auch ein Stück weggerückt“, gibt | |
| Reuter zu. | |
| Auch das Geld, das das Kollektiv mit seinen Produktionen verdient, wird | |
| gemeinsam verwaltet. Ihr Bezahlmodell ist simpel: Jede geleistete Stunde | |
| ist gleich viel wert. Um Fairness zu gewährleisten, protokollieren sie ihre | |
| Arbeitsstunden. Dazu gehört auch die Zeit, die in Plenumssitzungen oder | |
| Arbeitstreffen fließt. Dass das Kollektiv an diesem Modell festhalten kann, | |
| liegt auch an den unterschiedlichen finanziellen Standbeinen. | |
| Auftraggeber*innen sind neben dem Freien Radio auch | |
| öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die Medienanstalt | |
| Berlin-Brandenburg, NGOs und Wissenschaftseinrichtungen. | |
| „Die letzten fünf Jahre waren ein stetiger Lernprozess“, sagt Audiokombinat | |
| Kollektivmitglied Swantje Reuter. „Jedes Jahr kommt was Neues dazu. Das ist | |
| spannend, auch mal nervenaufreibend“. Sie lacht. „Noch immer halten wir | |
| aneinander fest“. | |
| 28 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nina Schieben | |
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