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# taz.de -- Rechtsextremismus an Schulen: Der Staatsschutz auf dem Pausenhof
> Rechte Sticker, beschädigte Tür, verängstigte Schüler:innen: Der Angriff
> auf ein Gymnasium im sächsischen Altenberg ist kein Einzelfall.
Bild: Schulleiter Volker Hegewald und die Leiterin der Außenstelle Altenberg J…
taz | Am frühen Montagmorgen klebten sie noch: Mehr als 50 Sticker haben
Unbekannte an der Eingangstür des Glückauf-Gymnasiums im sächsischen
Altenberg angebracht. Darauf zu sehen: rechte und rechtsextreme Parolen.
Rechtzeitig vor Unterrichtsbeginn habe der Hausmeister dann alle Sticker
entfernt, berichtet Schulleiter Volker Hegewald später am Telefon. Die
große Glasscheibe in der Tür ist aber weiterhin beschädigt. An einem
Dutzend Stellen ist sie gesprungen – wie Einschusslöcher sieht das aus.
Hegewald war am Wochenende einer der ersten, die von dem Vorfall gehört
haben. Er war einst selbst Schüler des Gymnasiums und ist seit mittlerweile
mehr als zwanzig Jahren ihr Direktor. Als er am Sonntag die ersten Bilder
gesehen habe, sei er entsetzt gewesen, berichtet er der taz. Zum einen: die
Sticker mit den rechtsextremen Motiven. Zum anderen: „Das ist das erste
Mal, dass Waffen gegen diese Schule gerichtet wurden.“ Um etwa 14 Uhr am
Sonntag erstattete er Anzeige bei der Polizei. Die nahm die Ermittlungen
auf.
In der Folge berichten bundesweit Medien über den Fall im kleinen
Altenberg. Der Ort hat etwa 7.700 Einwohner:innen und liegt im
sächsischen Erzgebirge an der Grenze zu Tschechien. Auf das Gymnasium gehen
etwa 400 Schüler:innen. Obwohl noch unklar ist, wer für den Schaden und die
Sticker an der Tür verantwortlich ist, weist der Fall auf eine Entwicklung
hin, die sich auch anderswo bemerkbar macht: Die Zahl rechtsextremer
Vorfälle an Schulen in Deutschland steigt.
Das ergab [1][eine Umfrage der Wochenzeitung Zeit] bei den Innenministerien
der Bundesländer schon im April. Ob in Hessen, Bayern oder Berlin: Im Jahr
2024 registrierten die Behörden mehr Fälle als im Jahr zuvor. Die
sächsische Schulaufsichtsbehörde berichtete vergangenes Jahr laut der
Antwort des Innenministeriums [2][auf eine Anfrage von Juliane Nagel],
Linken-Abgeordnete im Landtag, von 155 „Vorfällen mit rechtsextremem
Hintergrund“.
Auch für Burkhard Naumann, Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW
Sachsen, reiht sich der Fall in Altenberg in eine „Entwicklung ein, die wir
schon seit einiger Zeit mit großer Sorge verfolgen“. Zwar besuchte Sachsens
zuständiger Kultusminister Conrad Clemens am Dienstag das betroffene
Gymnasium. Doch Naumann kritisiert, vom Minister fehle bislang „das klare
Bekenntnis, dass Lehrkräfte nicht neutral sind, sondern für ihren Einsatz
für Demokratie und Menschenrechte Rückendeckung erhalten“.
## Die Dunkelziffer sei hoch
Doch wie ist das bei den Schulen in Sachsen denn genau? Nachgefragt [3][bei
Nina Gbur, der Geschäftsführerin des Netzwerks für Demokratie und Courage
in Sachsen], das Schulen mit Workshops und Beratung gegen Rechtsextremismus
unterstützt. Sie sagt, die 155 Fälle, die die Schulaufsichtsbehörde 2024
gemeldet hat, seien nur ein Teil aller Vorkommnisse in Sachsen. Die
Dunkelziffer sei hoch.
Warum? „Schulen haben ein riesiges Ressourcenproblem“, erklärt Gbur, und
verweist etwa auf den Lehrkräftemangel. „Zeit ist da ein kritischer
Faktor“, sagt sie in verständnisvollem Ton. Lehrer:innen müssten
priorisieren: Gehen sie den Vorfall selbst mit pädagogischen Mitteln an
oder melden sie ihn bei der Behörde?
In den vergangenen Jahren sei die Beratungsnachfrage von Schulen beim
Netzwerk für Demokratie und Courage gestiegen. Das liege zwar auch daran,
dass das Angebot bekannter werde – aber nicht nur. „Wir haben mit immer
mehr Schulen zu tun, an denen die Problemlage wirklich gravierend ist“,
berichtet Gbur. Was sie damit meint? Die Fälle reichten von Hakenkreuzen
aus Legosteinen in Grundschulen bis zu dominanten rechten Jugendgruppen auf
Schulhöfen, die selbst Lehrkräfte einschüchtern.
Ist das ein sächsisches Problem? „Ganz bestimmt nicht“, betont Gbur. Aber:
in Sachsen gebe es seit Jahrzehnten gefestigte rechtsextreme Strukturen.
Viele Eltern der nun auffälligen Schüler:innen seien selbst Akteure der
Szene gewesen. „Da zeigt sich eine gewisse historische Kontinuität“,
berichtet sie.
## Ermittlungen laufen
Am Glückauf-Gymnasium in Altenberg wurden bei den aktuellen Ermittlungen
vor der beschädigten Tür Metallkugeln gefunden, heißt es von der
Polizeidirektion Dresden. Auf taz-Anfrage erklärt ein Sprecher, die
Ermittlungen müssten erst noch klären, wie die „Einschläge“ an der Tür
entstanden seien – ob durch Würfe, Beschuss oder doch ganz anders. Aktuell
könne er nicht bestätigen, dass es sich um „Einschusslöcher“ handle.
Wegen der Sticker gehen allerdings auch die Beamten von einem politischen
Motiv aus. Der Staatsschutz ermittelt. Auf Fotos von der Tür sind die
Motive der Aufkleber zu erkennen. „Braun ist bunt genug“, steht da zum
Beispiel, oder „Remigration“ und „FCK Antifa“. Mindestens eine Schwarze
Sonne ist zu sehen. Mehrere Sticker im AfD-Design zeigen die Aufschrift
„Make Germany Great Again“.
Schulleiter Hegewald sagt, er habe eine Vermutung, worauf der Vorfall
abzielte. Aktuell sind 10 Schüler:innen aus Madagaskar am
Glückauf-Gymnasium zu Besuch. Seit Jahren besteht ein Austausch mit einer
Schule aus dem afrikanischen Inselstaat. „Wir sind eine weltoffene Schule“,
sagt Hegewald. Am Montag stand in der ersten Schulstunde die offizielle
Begrüßung auf dem Programm. „Es ist nur eine Mutmaßung“, betont der
Schulleiter, aber er glaube, „dass es da einen Zusammenhang gibt“.
## Hakenkreuz in der Pinnwand
Das glaubt auch Pit Klaves. Er war zwischen 2022 und 2024 Schulsprecher des
Gymnasiums in Altenberg. Mittlerweile studiert Klaves und ist bei der
Linksjugend aktiv. Doch er habe immer noch Kontakt zu Schüler:innen,
erzählt er im Gespräch mit der taz.
Von seiner eigenen Schulzeit berichtet Klaves, dass [4][rechtsextreme
Einstellungen bei Schüler:innen] mit den Jahren immer sichtbarer
geworden seien. Mittlerweile seien rechte Sprüche schon ab der 7. Klasse
keine Seltenheit. Beleidigungen und rechte Sticker habe er auch schon
erlebt. „In einem Klassenraum war mal groß ein Hakenkreuz in die Pinnwand
geritzt“, erzählt Klaves. Der Vorfall vom Wochenende habe ihn trotzdem
überrascht.
Neben den „Einschlägen“ an der Schultür berichtet die Polizei von ähnlic…
Schäden am Bahnhof Altenberg. Für Klaves ist das kein Zufall. „Das ist der
Schulweg. Ich als offen linke Person hätte Angst, dort langzugehen.“
Am Montagabend zeigt Klaves der taz dann mehrere lange Nachrichten, die
laut seinen Worten von aktuellen Schüler:innen des Gymnasiums stammen.
Darin heißt es unter anderem, eine Mutter habe ihrem Kind am Montag
abgeraten, in die Schule zu gehen. Andere fordern, Schulleiter Hegewald
solle sich klarer gegen Rechtsextremismus am Gymnasium einsetzen.
Eine weitere Person kritisiert, die Schule unternehme noch nicht genug
gegen rechtsextreme Einstellungen: „Irgendwie ist es Normalität, obwohl es
das niemals sein sollte.“ Die Verfasser:innen der Nachrichten wollten
unbedingt unerkannt bleiben. Ob es sich tatsächlich um Schüler:innen
ließ sich deshalb nicht überprüfen.
## Verängstigt oder nicht?
Der taz sagt Hegewald ein paar Stunden zuvor, es sei der Auftrag der
Schule, „Schüler dazu zu erziehen, ihre Meinung zu äußern“. Aber der
Vorfall an der Schultür sei nicht in Ordnung. Das habe er am Montagmorgen
auch nach der Begrüßung der Schüler:innen aus Madagaskar gesagt.
Hegewald ist selbst politisch engagiert, sitzt für die CDU im Kreistag
Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Auch wenn die Meinungsäußerungen auf den
Stickern nicht strafbar seien, wolle er sich daran „nicht gewöhnen“. Etwa
beim Spruch „Braun ist bunt genug“, da sei doch klar, worauf der sich
beziehe. Braun war die Kennfarbe der Nazis während der deutschen
NS-Diktatur. Doch trotz der ganzen Aufregung glaubt der Schulleiter: „Es
ist nicht so, dass die Schüler verängstigt sind.“
Nina Gbur vom Demokratienetzwerk betont zwar, dass sie nichts Konkretes zu
Altenberg sagen könne. Sie könne sich aber auch nicht vorstellen, „dass
Einschusslöcher an einer Schultür niemanden beängstigen“. Doch es gebe da
einen gewissen Zwiespalt. Einerseits müsse man nach außen Entschlossenheit
und demokratische Standhaftigkeit zeigen, den Täter:innen nicht das
Gefühl geben, sie könnten irgendwen verängstigen. Andererseits müsse man
aber auch die Betroffenen unterstützen, Eltern, Schüler:innen,
Lehrer:innen, an denen der Vorfall nicht spurlos vorbeigehe.
Das dominante Verhalten von rechtsextremen Gruppen zeige schon jetzt seine
Wirkung, berichtet Gbur aus ihrer Erfahrung. Schüler:innen würden mit
Angst zur Schule gehen und sie nach dem Unterricht so schnell wie möglich
verlassen. Für Menschen, die das erklärte Ziel rechtsextremer Ideologie
sind, bestehe ständig das Risiko von psychischer und körperlicher Gewalt.
„Wir gehen zum Beispiel davon aus, dass Eltern, wenn sie jüdisch sind, das
in den meisten Fällen der Schule nicht mitteilen, damit ihre Kinder nicht
so einer großen Gefahr ausgesetzt sind“, berichtet Gbur. In diesem Kontext
betrachtet sie auch den Vorfall in Altenberg. „Das Problem ist nicht, dass
das keine hübschen Aufkleber sind und die uns nicht gefallen.“ Das Problem
seien die bedrohlichen Inhalte. „Damit sind Leute gemeint.“
22 Oct 2025
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/2025/17/rechtsextremismus-schule-straftaten-schueler-hi…
[2] https://edas.landtag.sachsen.de/redas/download?datei_id=38917
[3] /Rechte-im-Osten-und-Westen/!6083068
[4] /Rechtsextreme-Jugendszene/!6076353
## AUTOREN
David Muschenich
## TAGS
Rechtsextremismus
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