| # taz.de -- Zeitungskrise in Österreich: Medien am Oasch | |
| > Die Inseratenpraxis und politische Abhängigkeiten stürzen österreichische | |
| > Zeitungen in die Krise. Es drohen Insolvenz und Hunderte | |
| > Stellenkürzungen. | |
| Bild: So viel Zeitung wird schon lang nicht mehr gelesen: Kaffeehaus Hawelka in… | |
| „Wir sind am Untergang, wir funken SOS.“ Mit drastischen Worten beschrieb | |
| Ute Groß, Redakteurin der Kleinen Zeitung und Gewerkschafterin, die Lage im | |
| österreichischen Journalismus. „Die Lage ist dramatisch und die Situation | |
| verschärft sich nahezu täglich“, sagte sie bei einer Pressekonferenz der | |
| Gewerkschaft GPA in Wien. Laut GPA-Hochrechnung gehen allein dieses Jahr | |
| rund 300 Arbeitsplätze verloren. Betroffen sind nicht nur Redakteure, | |
| sondern auch technisch-redaktioneller Dienst, Korrektoren und Lektoren. | |
| Die Liste der betroffenen Medienhäuser umfasst einen Großteil der | |
| österreichischen Presselandschaft: Der Standard, Die Presse, Kurier, Kronen | |
| Zeitung, Regionalmedien Austria, Kleine Zeitung, Red Bull Media House und | |
| Puls24. Über die genaue Anzahl hüllen sich die Medienhäuser in Schweigen. | |
| „Es ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar, von wie vielen Personen wir uns | |
| tatsächlich trennen müssen“, schreibt etwa Standard-Geschäftsführer | |
| Alexander Mitteräcker der taz. Als Gründe für die Krise nennt er die | |
| schwierige Konjunktur, die dazu führt, dass Unternehmen sparen und somit | |
| das Werbeaufkommen zurückgegangen ist. Gleichzeitig seien die Werbeausgaben | |
| der Bundesregierung stark zurückgegangen. | |
| ## Ausgebliebene Werbeausgaben | |
| Tatsächlich ist der Einbruch eklatant: Im ersten Halbjahr 2025 haben | |
| Bundesregierung, Bundesländer und Kammern nur mehr 3,2 Millionen statt 18,7 | |
| Millionen Euro (1. Halbjahr 2024) ausgegeben. Ein Rückgang von 15,5 | |
| Millionen Euro, genug Geld für Dutzende Arbeitsplätze. | |
| Zum Teil ist die Kürzung wohl zwar auf den Regierungswechsel | |
| zurückzuführen, denn die derzeitige Koalition aus Konservativen, | |
| Sozialdemokraten und Liberalen nahm erst im März ihre Arbeit auf. Jüngste | |
| Wortmeldungen des Medienministers Andreas Babler (SPÖ) lassen aber auf | |
| Absicht schließen. [1][In einem Gespräch mit dem Standard bezeichnete er | |
| das „ungeordnete Rausschießen von Inseraten]“ als „kein sehr | |
| erstrebenswertes Ziel“. Auf taz-Anfrage begründet das Ministerium die | |
| Kürzung mit einem grundlegenden Kurswechsel, aber auch mit der angespannten | |
| Budgetlage Österreichs. | |
| ## Kontrollinstrument der Regierungen | |
| Tatsächlich ist eines der größten Probleme der österreichischen Presse die | |
| Abhängigkeit von Regierungsinseraten. Diese Praxis wurde vom damaligen | |
| SPÖ-Kanzler Werner Faymann forciert und später von seinem ÖVP-Pendant | |
| Sebastian Kurz auf die Spitze getrieben. Selbst als Hinweise aufkamen, Kurz | |
| habe sich mit diesen Geldern gezielt wohlwollende Berichterstattung und | |
| gefälschte Meinungsumfragen in einer Boulevardzeitung erkauft, unterblieb | |
| ein Hinterfragen, geschweige denn ein Ende der Inseratenpraxis, also dem | |
| Schalten von Werbung von politischen Parteien und Organisationen. Zu den | |
| Vorwürfen rund um die sogenannte Inseratenkorruption wird noch ermittelt, | |
| das Vertrauen in Politik und Medien nahm jedoch Schaden. | |
| Die „starke, langjährige Abhängigkeit von öffentlichen Inseraten ist keine | |
| transparente und zielführende Unterstützung gewesen“, sagt Jakob-Moritz | |
| Eberl, Medienwissenschaftler an der Universität Wien im taz-Gespräch. Er | |
| kritisiert jedoch, wie radikal sie nun zurückgefahren wurde: „Bei aller | |
| berechtigten Kritik an der Inseratenpolitik ist ein so rascher Rückzug, | |
| ohne Plan B, politisch unverantwortlich.“ | |
| Durch die Abhängigkeit von öffentlichen Inseraten sei die Branche davon | |
| ausgegangen, dass es ewig so weitergehe, sagt Eberl. Daher habe es wenig | |
| Notwendigkeit gegeben, Neues auszuprobieren. Das rächt sich nun: Die | |
| österreichischen Medien sind noch immer stark auf die gedruckte Zeitung | |
| ausgerichtet und weder in der Aufbereitung der Inhalte noch bei den | |
| Geschäftsmodellen sonderlich innovativ. | |
| Andy Kaltenbrunner, Medienwissenschaftler und Leiter des Medienhauses Wien, | |
| sagt im Gespräch mit der taz, die aktuellen Kündigungen seien ein „wirklich | |
| schlimmer Aderlass“. Doch es seien andere Ursachen wichtiger als der | |
| Wegfall der Inserate. Neben eigenen Versäumnissen der Medienhäuser und | |
| globalen Trends, etwa dem Abwandern von Anzeigenkunden auf die | |
| Digitalplattformen, auch das gesetzliche Fördersystem: „Es hat sichtlich | |
| versagt – obwohl immer mehr Geld darin investiert wurde.“ Schließlich sei | |
| in den letzten 20 Jahren etwa ein Drittel der journalistischen | |
| Arbeitsplätze Österreichs verloren gegangen. | |
| ## Österreich diskutiert Lösungen | |
| Die Folgen der aktuellen Kündigungen bekommen auch die verbliebenen | |
| Kollegen in den Redaktionen zu spüren: Sie leiden unter enormer | |
| Arbeitsverdichtung, sagt Gewerkschafterin Groß, was sich auch negativ auf | |
| die Qualität der Berichterstattung auswirke. Auch Kaltenbrunner warnt vor | |
| einer gefährlichen Abwärtsspirale: „Je mehr Journalistinnen und | |
| Journalisten verschwinden, desto eingedickter werden die Produkte, desto | |
| geringer entwickelt sich die Zahlungsbereitschaft und die Liebe des | |
| Publikums.“ Groß sieht es ähnlich kritisch. Wenn jetzt nichts passiere, | |
| werde es 2026 zu Konkursanmeldungen mancher Medien kommen, die dann | |
| schließen müssten. | |
| Konkret fordert sie das seit Langem angekündigte Vertriebsförderungsgesetz: | |
| [2][Das Modell, gedruckte Zeitung auch weiterhin in jeden Ort und jedes Tal | |
| zu bringen], sei „nicht aus der Zeit gefallen, sondern wesentlicher Beitrag | |
| zur demokratischen Teilhabe“. Es soll im nächsten Jahr kommen, heißt es vom | |
| Medienministerium. Zudem verlangt die Gewerkschaft die steuerliche | |
| Absetzbarkeit eines Abos für jeden Haushalt. Das helfe auch jenen Lesern, | |
| die sich den Bezug vielfach nicht mehr leisten können. | |
| Die Gewerkschaft fordert die Medienhäuser zudem auf, sich | |
| zusammenzuschließen und Verwertungsgesellschaften zu gründen, „um endlich | |
| gegen Konkurrenz von Onlineplattformen vorzugehen.“ Diese seien es, die | |
| seit Jahren einen Großteil der privaten Werbegelder abziehen würden. | |
| Mitteräcker vom Standard wiederum sieht den größten Hebel in der | |
| Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Aboprodukte, wie es sie in anderen | |
| Ländern bereits gibt. Davon ist aber bisher, wohl angesichts der klammen | |
| Budgetsituation, keine Rede. | |
| Ohnehin ist fraglich, ob die nun diskutierten Maßnahmen nicht zu spät | |
| kommen. „Ich sehe kein Licht am Ende des Tunnels“, sagt Kaltenbrunner. Die | |
| Aufgabe sei schließlich enorm, denn es gelte, Versäumnisse der letzten 10 | |
| bis 15 Jahre nachzuholen. Und Eberl sagt, dass sich die derzeitigen | |
| Negativentwicklungen in den kommenden Jahren noch um einiges verschärfen | |
| werden. | |
| Eine Abkehr von staatlichen Unterstützungen scheint jedenfalls weiterhin in | |
| weiter Ferne zu sein. Wenn es sie schon braucht, dann aber in Form | |
| transparenter Förderungen nach klaren, nachhaltigen und zielgerichteten | |
| Kriterien, wie es Kaltenbrunner, Eberl und andere seit Jahren fordern. | |
| Somit bleibt die größte Frage, ob die Politik die [3][Dringlichkeit der | |
| aktuellen Situation] erkannt hat. Sonst könnte es, wie es auch beim | |
| Hilferuf der Gewerkschaft hieß, bald nichts mehr zu fördern geben. | |
| 31 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.derstandard.de/story/3000000293346/babler-will-nicht-zurueck-zu… | |
| [2] /Druckschluss-der-Werktagstaz/!6120937 | |
| [3] /!vn6116982/ | |
| ## AUTOREN | |
| Florian Bayer | |
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