| # taz.de -- Besuch im Fitnessstudio: In der Tretmühle der Selbstoptimierung | |
| > Für mich ist das Fitnessstudio kein Ort der Entspannung, sondern der | |
| > verlängerte Arm der Arbeit. Aber ich gebe dem Studio noch mal eine | |
| > Chance. | |
| Bild: Arm-Day für einen größeren Bizeps: Sind Fitnessstudios Himmel oder Hö… | |
| Eigentlich wollte ich für diese Kolumne angeln gehen. So richtig mit | |
| Gummistiefeln, Ruhe und diesen kleinen Dosenwürmern. Aber ich habe keinen | |
| Zugang zu Berliner Angelvereinen gefunden, und ehrlich gesagt, weiß ich | |
| nicht, ob ich einen Fisch töten könnte. Außerdem war diese Woche so | |
| stressig, dass ich mich selbst wie eine halbtote Flunder fühle. Und | |
| angesichts dieses Gefühls sollte man vielleicht nicht mit einem Haken | |
| spielen. | |
| Also Planänderung: Statt angeln gehe ich pumpen. Meine Freundin hält mir | |
| einen zweiunddreißig Zentimeter langen Papierstreifen hin: „Guck mal, so | |
| groß ist mein Bizeps schon!“ – „Wow, du Tier!“, sage ich, und fühle m… | |
| wie einer dieser Proteinshake-Typen, ihr wisst schon, welche ich meine. | |
| Meine Freundin ist Fitnessultra, sie geht mehrmals pro Woche ins Studio, um | |
| den Bürostress auszuschwitzen. Ich dagegen frage mich, warum ich jetzt | |
| neben ihr stehe. Für mich ist das Fitnessstudio kein Ort der Entspannung, | |
| sondern der verlängerte Arm der Arbeit: erst ackern am Computer, dann | |
| ackern am eigenen Körper. Effizienter Fortschritt an der Hantelbank – | |
| [1][der Kapitalismus als Muskelprogramm.] | |
| Es gibt viele Gründe, nicht ins Fitti zu gehen. Das grelle Licht, die | |
| klebrigen Geräte, die Typen, die breitbeinig mit verschränkten Armen vor | |
| den Spiegeln stehen und Tipps geben, die niemand verlangt hat. Und dieses | |
| Prinzip der Wiederholung. Wiederholung! Als wäre man in einer [2][Tretmühle | |
| der Selbstoptimierung]. Es ist aber so: Ich will manchmal gar nicht besser | |
| werden, nicht stärker oder definierter sein. Und wenn ich mich schon | |
| bewege, dann will ich mich wenigstens nicht dabei langweilen. Aber offenbar | |
| funktioniert das Ganze ja für viele. Fitness ist längst mehr als Sport, es | |
| ist ein Lifestyle. | |
| ## Volk der Schwitzer:innen | |
| In den sozialen Medien wird geübt, gemessen und sich ausgetauscht. In den | |
| USA sind fast 24 Prozent der Bevölkerung Mitglied in einem Studio, in | |
| Deutschland immerhin 13. Wir sind ein Volk der Schwitzer:innen geworden | |
| – vermutlich weil wir so viel sitzen, denken und funktionieren. Dank | |
| Fitnessstudio schafft man das dann wenigstens mit einem starken Rückgrat. | |
| Also gebe ich dem Studio noch mal eine Chance. Zum Glück ist es fast leer, | |
| meine Freundin zeigt mir alles geduldig. Heute ist Arm-Day – der Tag, an | |
| dem meine Arme angeblich stärker werden, aber bei den ganzen Übungen nur | |
| zittern. Wir laufen uns auf dem Stepper warm und tauschen dabei die | |
| tägliche Dosis Gossip aus. So gefällt mir das: Kardio & Klatsch. Ich frage | |
| sie, woher man weiß, dass sie eine Übung richtig macht. „Hab es in | |
| irgendeinem Tiktok gesehen“, sagt sie. Sie scheint es mühelos zu machen. | |
| Ich dagegen schlackere meine Minihanteln unkoordiniert in die Höhe und | |
| hinter meinen Kopf. | |
| Ich gebe zu, das Studio ist nicht der Untergang. Es stresst aber trotzdem, | |
| dass die pumpenden schweißnassen Muskelberge DIE GERÄTE NIE SAUBER MACHEN, | |
| WENN SIE SIE BENUTZT HABEN. | |
| Als wir rausgehen, sind zwei Stunden vergangen, der Stress war für ein paar | |
| Stunden weg. Vielleicht ist das die geheime Formel des Fitnessstudios: | |
| nicht Selbstoptimierung, sondern Alltagsvergessenheit. Und wer weiß – | |
| vielleicht ist mein Bizeps ja wirklich einen halben Zentimeter gewachsen. | |
| 15 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ann-Kathrin Leclere | |
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