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# taz.de -- Ausstellung in Lugano: Wie David Weiss zur Avantgarde kam
> Nahe Lugano trafen sich ab den 1920ern Intellektuelle. Die Ausstellung
> „Der Traum von Casa Aprile“ in Lugano erinnert an die Zeit von David
> Weiss dort.
Bild: Ein Tag in den 70ern: Fotografie mit dem Titel „Lazy Days“ von Urs L�…
Ruhig ragt das MASI Lugano, das Museo d’arte Svizzera italiana, mit seiner
grünlich schimmernden Natursteinfassade, über den leeren Platz am Ufer des
Luganersees: direkter Blick auf Italien. Hinter dem Museum liegen
sauber-beschauliche Gassen, in ihnen reihen sich Boutiquen internationaler
Luxusmarken an typisch schweizerische Uhrenhersteller und
Spezialitätenläden für das pochende Tourist:innenherz.
Die Sattheit des Reichtums erdrückt die Inspiration. Angesichts dessen
fällt es schwer zu glauben, dass nur wenige Kilometer weiter, Richtung
Monte San Salvatore, im Tessiner Bergdorf Carona vor rund hundert Jahren
ein traditionsreiches künstlerisches und durchaus progressives Vermächtnis
entstand.
„David Weiss. Der Traum von Casa Aprile. Carona 1968–1978“ heißt die
aktuelle Ausstellung im MASI, die dieses nun erstmals ins Licht der
Öffentlichkeit rücken will – und mit ihm das Frühwerk des Künstlers David
Weiss, spätere Hälfte des legendären Künstlerduos Fischli/Weiss.
## Übersichtlich, und doch dicht
Im ersten Raum der übersichtlichen, doch dichten Ausstellung setzt erst mal
Hermann Hesse den Ton, überraschenderweise mit etwas hilflosen, leicht
kindlich anmutenden Aquarellen: Ansichten des Bergdorfs Carona, entstanden
Anfang der 1920er Jahre. Mit breitem, naiven Pinsel versuchte sich der
Schriftsteller zuweilen an leicht überlagernden geometrischen Formen, wie
ein farbig-amateurhafter Lyonel Feininger.
Aus einer privaten Sammlung sind die Aquarelle hierhergekommen, das
zugehörige Schildchen verschweigt, dass sie normalerweise in Carona selbst
hängen, genauer in der Casa Constanza, dem als „Papageienhaus“ bekannten
Gebäude, welches Hesse ausführlich 1919 in „Klingsors letzter Sommer“
beschrieben hatte. 1917 wurde es von Théo Wenger, dem Großvater
mütterlicherseits der Surrealistin Meret Oppenheim, erworben, noch heute
befindet es sich in Familienhand.
In den 1920er Jahren entwickelte sich das Dorf zu einem wichtigen
Treffpunkt von Künstler:innen und Intellektuellen, neben Hesse
verbrachte auch Bertolt Brecht hier Zeit. Ab 1933 wurde das Dorf zum
Exilort. Nicht nur für die Familie Oppenheim/Wenger, sondern auch für die
Schriftsteller Lisa Tetzner und Kurt Kläber, die dort später, in den
1950ern die Casa Pantrovà errichteten, die schnell in La ca del pan trová –
„das Haus des gefundenen Brotes“ umbenannt wurde. In den 1960ern kauften
Meret Oppenheim und ihr Bruder Burkhard Wenger die Casa Aprile, in direkter
Nachbarschaft zur Casa Constanza. Die drei privaten Häuser wurden der
Mittelpunkt einer illustren Künstler:innengesellschaft.
Eben dort verbrachte der junge Schweizer David Weiss seine Sommer – im
Tausch gegen Renovierungsarbeiten – und brachte andere Künstler seiner
Generation mit: Urs Lüthi, Anton Bruhin und Peter Schweri gingen ein und
aus. Blickt man auf die Ausstellungsexponate, die aus dieser Zeit im
zweiten Ausstellungsraum des MASI zusammengetragen wurden, begreift man,
dass ein Hauch amerikanisierter Monte Verità durch die Berggassen geweht
haben muss.
## Sex, Drogen, Revolte – auch in den Tessiner Bergen
Cut-up und Crumb waren auch in den Tessiner Bergen angekommen: sexuelle
Befreiung, Arbeitsverweigerung, Studentenrevolte, Drogen. Und auch der
spielerische Humor, für den [1][Fischli/Weiss] später bekannt werden
sollten, ist schon da. Weiss kopiert in seinen Zeichnungen Disney-Comics,
lässt in ihnen Minnie-Maus in die „Beagle Kommune“ einziehen, in der sie
Goofy, stellvertretend für das Großkapital, entgegenschleudert: „Ich hatte
die ganze Scheiße bis zum Hals. Ich liebe, wann und wen ich will, klar?!“
Eine Wand ist gefüllt mit seinen „Metamorphosen“ – Blätter über Blätt…
denen sich Kugelschreiberlinien vom einen ins andere verwandeln: von der
Schlange zur Muschel, zur Venus, zum heiligen Sebastian, zum Skelett und
vieles, vieles mehr.
Weiss ist ein begabter Zeichner, ein wirklich lustiger noch dazu. Und doch
bleibt die Ausstellung, speziell sein Werk betreffend fast zu flüchtig, zu
skizzenhaft, um wirklich zufriedenzustellen. Stärker tun dies einige der
fotografischen Arbeiten seines Jugendfreundes Urs Lüthi, wie die eines
großformatigen übereinander gehängten Diptychons von 1970: „Selbstporträt
mit Landschaft“, so der Titel des Werks, auf dem der schlafende Lüthi unter
einem schwarz-weißen Bergmassiv ruht.
Arbeiten von Lisa Tetzner, Karl Hofer, Maria Braun, Esther Altorfer, Anton
Bruhin, der gänzlich unbekannten Maria Gregor, natürlich [2][Meret
Oppenheims] und viele weitere Positionen aus und um Carona ergänzen die
Schau. Als besonders gewinnbringend entpuppt sich dabei jene des Autors und
„Nachtmaschinen“-Verlegers Matthyas Jenny, der unter anderem [3][Jörg
Fauser] und [4][Jürgen Ploog] veröffentlichte.
Unscheinbar von der Wand baumeln Nachdrucke seiner Gedichte. Auf schmalen
Schreibmaschinenlettern verbindet er dort ganz nebensächlich das Leben mit
der Zeit; die Stadt mit dem Bergdorf: „auch lauer frühlingsregen / kann
meine verklebten lungen / nicht mehr zum blühen bringen.“ Und streuen so
jene Prise trotzigen Rotz in die Ausstellung, die die Avantgarden erst
anziehend macht. Kaum zu glauben, dass es sie auch hier gab.
Die Recherche wurde unterstützt vom MASI Lugano.
30 Oct 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Hilka Dirks
## TAGS
Schweiz
Ausstellung
Künstler
Kunstgeschichte
Expressionismus
Kunst
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