| # taz.de -- Autorin zu Vertrauensverlust in Medien: „Diejenigen sichtbar mach… | |
| > Vertrauen in Journalismus gehe teilweise verloren. Nadia Zaboura spricht | |
| > über Fehlerkultur, Doppelstandards und warum Neutralität ein „Fantasma“ | |
| > ist. | |
| Bild: Medienkritikerin und Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura | |
| taz: Frau Zaboura, Sie schreiben, Vertrauen sei das wichtigste Kapital des | |
| Journalismus – und es gehe vielerorts verloren. Wie kommt es dazu? | |
| Nadia Zaboura: Die Ursachen für den Vertrauensverlust sind vielfältig. Dazu | |
| zählt ein Verlautbarungsjournalismus, der Inhalte von Regierungen und | |
| Akteuren in politischer Macht kritiklos wiedergibt. Hinzu kommt das sich in | |
| Medien ausbreitende „He said, she said“-Skript, sprich einer reinen | |
| Nacherzählung von Aussagen Dritter ohne journalistisch gebotene Einordnung. | |
| Mit ihm entledigen sich Redaktionen ihrer journalistischen Kontrollfunktion | |
| und machen so gesichertes Faktenwissen zur Meinungssache. Sichtbar ist das | |
| besonders im Meinungsjournalismus. In der Nahost-Berichterstattung zeigt | |
| sich zudem fortlaufend journalistisches Fehlverhalten. Dass Redaktionen auf | |
| diese Kritik immer wieder auch mit Abwehr reagieren, ist selbst eine | |
| Ursache des Vertrauensverlusts. | |
| taz: In Ihrem Buch spielt die Nahost-Berichterstattung nur eine Nebenrolle, | |
| auf Instagram jedoch beschäftigen Sie sich fast täglich in Ihren | |
| medienkritischen Analysen mit dem Thema. Gerade in der | |
| Nahost-Berichterstattung, so betonen Sie, werden Fehler selten korrigiert. | |
| Warum ist das so? | |
| Zaboura: In Deutschland besteht eine historisch begründete Sensibilität und | |
| Solidarität gegenüber Israel. Immer wieder führt das laut eigener Aussage | |
| von Journalist:innen jedoch dazu, dass sie nicht mit denselben | |
| Standards arbeiten. Teils vermeiden sie in Kontrast zu Teilen der | |
| internationalen Berichterstattung juristische [1][Fachbegriffe wie | |
| „Völkermord“], immer wieder auch mit der Begründung dieser historischen | |
| Verantwortung und in Bezug auf die deutsche Staatsräson. Ob dieses | |
| obrigkeitsstaatliche Prinzip der deutschen Staatsräson jedoch die | |
| journalistische DNA abbildet, mit ihrer stets gleichen Distanz zu und | |
| Kontrolle von Macht, oder ihr aktiv entgegensteht, darüber wird in | |
| deutschen Redaktionen und in der deutschen Öffentlichkeit weiterhin keine | |
| breite Debatte geführt. | |
| taz: Was sind die Folgen? | |
| Zaboura: Solche Doppelstandards und Verstöße gegen journalistische | |
| Professionalität, Integrität und Ethik mindern Medienqualität und | |
| Vertrauen, fragmentieren die öffentliche Debatte und erschweren | |
| demokratische Diskurse. Die renommierte Mainzer Langzeitstudie | |
| Medienvertrauen belegt diesen Vertrauensverlust wissenschaftlich. | |
| taz: Warum entsteht keine Debatte zu diesen Verstößen, die Sie beschreiben? | |
| Zaboura: Ein Grund, weshalb diese sichtbaren Verstöße auch nach nunmehr | |
| zwei Jahren weiter fortgeführt werden, besteht auch in der nachweisbaren | |
| Droh- und Angstkulisse, mit der sich deutsche Redaktionen seit Jahren | |
| konfrontiert sehen. Beispielsweise berichtet die ARD-Korrespondentin Hanna | |
| Resch, dass in Redaktionen Angst bestehe vor Shitstorms und vor | |
| „proisraelischen Lobbyorganisationen sowie der israelischen Botschaft, die | |
| nicht nur Medienhäusern, sondern laut Berichten des Deutschlandfunks auch | |
| Politiker:innen Druck machen.“ Das wird auch durch die Analyse | |
| „Nahaufnahme Deutschland 2025“ der Organisation Reporter ohne Grenzen | |
| bestätigt. | |
| taz: Journalist:innen fühlen sich also eingeschüchtert? | |
| Zaboura: Journalist:innen berichten von regelmäßigen Anrufen der | |
| israelischen Botschaft, Beschwerden von Interessengruppen, Markierungen | |
| durch den ehemaligen Sprecher des israelischen Militärs in Deutschland, und | |
| der Sorge von delegitimierenden Einzelporträts über deutsche | |
| Journalist*innen – wie jüngst in der Jüdischen Allgemeinen über den | |
| Chefkorrespondenten des Deutschlandradios in Berlin, Stephan Detjen, Daniel | |
| Bax von der taz, oder die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann. In | |
| Verbindung mit den in Deutschland weit verbreiteten unbelegten | |
| Antisemitismusvorwürfen sowie Anfeindungen der anderen Seite kann das zu | |
| Selbstzensur führen und erschwert eine [2][faire, unabhängige | |
| Berichterstattung über Israel und Palästina]. | |
| taz: Wenn vom „Vertrauensverlust in die Medien“ die Rede ist – geht es da | |
| um die Institutionen oder um die journalistische Praxis selbst? | |
| Zaboura: Es betrifft beides. Fehlverhalten findet sich quer durch die | |
| Medienlandschaft, im öffentlich-rechtlichen wie im privatwirtschaftlichen | |
| Segment – auch wenn es natürlich exzellenten Qualitätsjournalismus gibt. | |
| Das muss hier erwähnt und stets differenziert betrachtet werden. Besonders | |
| gefährlich ist der Vertrauensverlust in Medien als zentrale Instanz freier | |
| Meinungsbildung und gesellschaftlicher Debatte. Wenden sich Menschen davon | |
| ab, fehlt der gemeinsame Raum für Austausch und Verständigung – mit der | |
| möglichen Folge wachsender gesellschaftlicher Spaltung. Medien sollten | |
| Kritik aus Publikum und Wissenschaft ernst nehmen und ihre Praktiken | |
| reflektieren und anpassen, um einer fragmentierten Informationslandschaft | |
| und der Gefährdung demokratischer Diskurse entgegenzuwirken. | |
| taz: Sie sprechen vom sogenannten „Neutralitätsfantasma“. Ist die Annahme, | |
| Journalismus könne vollkommen neutral sein, ein Trugschluss? | |
| Zaboura: Die Vorstellung einer vermeintlichen Neutralität findet sich | |
| weiterhin im deutschen Journalismus und verstellt den Blick auf die | |
| ureigene Positionalität und Perspektivität. Oftmals sind es | |
| Journalist:innen der weißen Mehrheitsgesellschaft, die diese | |
| vermeintliche Neutralität für sich beanspruchen, während sie | |
| journalistischen Kolleg:innen mit internationaler Geschichte oder | |
| Marginalisierungserfahrung diese Neutralität aktiv absprechen. Die | |
| US-amerikanische CNN-Journalistin Christiane Amanpour sagte einmal: „Be | |
| truthful, not neutral.“ Das fasst zusammen, dass dieses | |
| Neutralitätsfantasma an der Realität vorbeigeht. Gerade angesichts | |
| schwerster Massenverbrechen, fortlaufender und auch Dekaden langer Brüche | |
| des Völkerrechts, der Menschenrechte und der Menschenwürde, nimmt | |
| Journalismus hier eine andere Funktion ein. | |
| taz: Die wäre? | |
| Zaboura: [3][Der ideale Journalismus] wendet sich konsequent seinen | |
| Grundprinzipien zu und lässt sich nicht von ihnen abbringen: Er ist fest | |
| verankert im Völkerrecht, Menschenrecht und der Menschenwürde als | |
| zivilisatorische Errungenschaften. Es ist ein Dienst der Kontrolle von | |
| Macht – egal wer sie ausübt und ohne Doppelstandards. Er benennt furchtlos | |
| Machtmissbrauch, befähigt die Menschen zu Selbstwirksamkeit und | |
| demokratischer Gegenwehr und macht diejenigen sichtbar, die sonst keine | |
| Stimme haben. Auf diese Weise sichert ein Journalismus der Werte und der | |
| Würde seine eigene Legitimation und sein Überleben. Genauso wie das der | |
| Gesellschaft, der er dient. | |
| 20 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Elias Feroz | |
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