| # taz.de -- Mechanikerin über den männlichen Blick: „Ach, Sie sind also die… | |
| > Katrin Ludwig arbeitet seit fast 14 Jahren als Zweiradmechanikerin. Dass | |
| > sie die Technik beherrscht, können manche Kunden immer noch nicht | |
| > glauben. | |
| Bild: Sie schraubt gern: Katrin Ludwig in ihrer Werkstatt | |
| taz: Sind Sie als Zweiradmechanikerin immer noch eine Exotin, Frau Ludwig? | |
| Katrin Ludwig: Auf jeden Fall. Wobei ich keine ausgebildete | |
| Zweiradmechanikerin bin, ich bin eher Autodidaktin. | |
| taz: Wie haben Sie das Schrauben gelernt? | |
| Ludwig: Ich habe mein ganzes Leben immer an Fahrrädern geschraubt, durch | |
| meinen Vater angelernt in jungen Jahren. Und dann hat es mich einfach nicht | |
| losgelassen. Und weil ich immer nette Fahrradhändler getroffen habe, gute | |
| Kolleg:innen hatte und habe oder Leute kannte, die selber schraubten, | |
| ist mein Wissen weiter gewachsen. Bis heute lerne ich jeden Tag etwas dazu. | |
| taz: Ist Ihr technisches Interesse vor allem auf Fahrräder gerichtet oder | |
| auch auf Autos, Spülmaschinen und Flugzeuge? | |
| Ludwig: Unsere Spülmaschine habe ich tatsächlich repariert. Ich verstehe | |
| grundsätzlich gerne Vorgänge. Und beim Fahrrad ist das verbunden mit einer | |
| reduzierten Form von Technik, also einem relativ überschaubaren Bereich. | |
| Weil das Fahrrad für mich Unabhängigkeit bedeutet, liegt auch im Reparieren | |
| eine große Unabhängigkeit. | |
| taz: Hatte es etwas Programmatisches, dass Ihr Vater Ihnen als Mädchen so | |
| viel über Technik beigebracht hat? | |
| Ludwig: Mein Vater hat gerne etwas mit anderen zusammen gemacht, er hatte | |
| Freude am Weitergeben von Wissen. Die Tatsache, dass ich ein Mädchen war, | |
| hat keine große Rolle gespielt. | |
| taz: Sie sagten, Sie seien Autodidaktin. Warum haben Sie nicht eine | |
| Ausbildung als Zweiradmechanikerin gemacht? | |
| Ludwig: Ich habe Kunst und Englisch auf Lehramt studiert, und es kam damals | |
| nicht infrage, das aufzugeben. Zuvor hatte ich schon eine Banklehre | |
| abgebrochen, die zweite Ausbildung musste einigermaßen durchgezogen werden. | |
| Das Fahrradschrauben entwickelte sich nebenher, weil ich damit ein bisschen | |
| Geld verdient habe. Ich habe in Läden ausgeholfen, aber dass ich den Beruf | |
| ergreifen würde, das hätte ich selber nie gedacht. Als ich ernsthaft drüber | |
| nachgedacht habe, war ich bereits 35. Da war auch klar, dass ich nicht die | |
| Schulbank mit 17-jährigen Zweiradmechanikern drücken wollte. | |
| taz: Warum wurden Sie nicht Kunst- und Englischlehrerin? | |
| Ludwig: Es klingt ein bisschen bescheuert, aber ich stehe nicht gerne so | |
| früh auf. Die Schule als Arbeitsplatz hat da für mich einen Riesennachteil. | |
| Das Studium hat mich interessiert und fasziniert, aber ich habe dabei auch | |
| gemerkt, dass ich nicht besonders geduldig bin. Ich bin nicht gut geeignet, | |
| anderen Leuten leistungsorientiert etwas beibringen zu müssen. | |
| taz: Braucht man beim Schrauben nicht auch Geduld? | |
| Ludwig: Ja, und es dauert auch manchmal viel länger, als es mir lieb ist, | |
| weil ich Spezialteile bestellen muss oder auch Ersatzteile aus den 80er | |
| Jahren finden muss, die man nicht mehr einfach so bekommen kann. Oder weil | |
| ich jemanden fragen muss, ob er mir helfen kann oder eine Idee hat. „Mal | |
| eben“ funktioniert meistens überhaupt nicht und dann kann ich Geduld | |
| aufbringen. Mich fasziniert es, diesen Gegenstand, der nicht mehr so | |
| schnurrt, wie er mal geschnurrt hat, wieder in den alten Zustand zu | |
| versetzen. | |
| taz: Weil Sie von Ersatzteilen aus den 80er sprachen: Sind alte Räder Ihre | |
| Leidenschaft oder können Sie den E-Bikes auch etwas abgewinnen? | |
| Ludwig: Grundsätzlich finde ich es immer toll, wenn jemand Fahrrad fährt. | |
| Es ist mir völlig egal, ob es ein 40 Jahre altes Hollandrad ist oder ein | |
| Rennrad aus den 60ern oder ein nagelneues Gravelbike. Was ich im | |
| Zusammenhang mit den E-Bikes schwierig finde, ist die Bequemlichkeit, die | |
| immer größer wird bei den Menschen. Wenn die Leute eine 80- Kilometer Tour | |
| ohne E-Bike nicht schaffen würden, dann, finde ich, ist das ein gutes | |
| Argument. Wenn sie das Auto dafür stehen lassen, ist es ebenfalls ein gutes | |
| Argument. Wenn es ein schicker „Waldporsche“ wird, also ein E-Rad, das | |
| nichts kann, außer ein Spaßgerät zu sein, dann bin ich raus. | |
| taz: Von wegen Porsche: Ist das Rad als Statussymbol eigentlich etwas Neues | |
| oder war das schon so, als Sie angefangen haben, zu schrauben? | |
| Ludwig: Wie überall gibt es Moden. Das Rad als Statussymbol für bestimmte | |
| Gruppen ist sicher nicht neu, eher die Fahrradtypen, also zum Beispiel das | |
| Lastenrad für Familien oder das Faltrad für große Flexibilität. | |
| taz: Noch einmal einen Schritt zurück zu Ihrem Weg in den Laden. Ich finde | |
| es faszinierend in einem Land, wo Abschlüsse so viel bedeuten, dass Ihre | |
| Arbeitgeber sich auf Ihre praktische Kompetenz verlassen haben. | |
| Ludwig: Das ist letztendlich meinem ersten Fahrradhändler zu verdanken. Ich | |
| durfte ganz viel in seinem Laden einfach machen, er hat mir jeden Trick | |
| gezeigt, den er kannte. Das ist für mich nach wie vor ein unglaublich | |
| wichtiger Mensch in meinem Leben. Er ist mittlerweile Mitte 70 und arbeitet | |
| immer noch. Mein erster Chef, bei dem ich angestellt war, hat mich | |
| irgendwann mal gefragt, weil ich oft kleine Teile bei ihm besorgt habe, ob | |
| ich schraube und ob ich nicht bei ihm arbeiten möchte. Er hat mich richtig | |
| gebeten, bei ihm anzufangen. Es ist extrem selten, als Frau den Weg in den | |
| Fahrradladen auf diese Art und Weise zu finden, ohne dass es politisch | |
| motiviert wäre, weil man sagt: Ich mache einen feministischen Fahrradladen. | |
| Ohne ihn hätte ich mich gar nicht getraut, glaube ich. | |
| taz: Ist es im Berufsalltag Thema, dass Sie eine Frau sind? | |
| Ludwig: Es ist immer ein Thema. Es ist oft so, dass die vorrangig ältere | |
| Generation mich bittet, einen Mechaniker aus der Werkstatt zu holen, um ihr | |
| Fahrrad anzugucken. Oder dass jemand sagt: „Ach, Sie sind dann also die | |
| Frau vom Chef?“ Meine Lieblingsgeschichte ist von einer Kollegin aus | |
| Berlin. Die erzählte, dass sie alleine im Laden saß, die Tür geht auf, ein | |
| Kunde kommt rein, sieht sie hinterm Tresen und sagt: „Oh, heute keiner da?“ | |
| taz: Wann war das? | |
| Ludwig: Das ist ungefähr zehn Jahre her. Aber das ist eine sehr typische | |
| Reaktion. Wenn ich alleine im Laden stehe und meine männlichen Kollegen | |
| gerade nicht da sind, dann gucken sich Leute manchmal mit einem suchenden | |
| Blick um, vor allem Männer. Die sagen dann: „Ich hätte jetzt gern einen | |
| Mechaniker.“ Das ist immer noch wirklich tief verankert. Bei jüngeren | |
| Leuten geht’s. | |
| taz: Und wie nehmen Sie’s? | |
| Ludwig: Mittlerweile mit Humor. Weil mir gar nichts anderes übrig bleibt. | |
| Aber es ist anstrengend, immer wieder hinterfragt zu werden. | |
| taz: Zu Coronazeiten waren Fahrräder nahezu Luxusware, man wartete richtig | |
| lange. Wie ist die Situation jetzt? | |
| Ludwig: Es gibt immer noch Schwierigkeiten mit den Lieferungen. Das macht | |
| es schwierig, weil viele Kunden dafür kein Verständnis haben, weil Corona | |
| ja vorbei ist. Und was immer noch sehr in den Köpfen verankert scheint, | |
| ist, dass Fahrräder boomen und es den Fahrradhändlern wahnsinnig gut geht. | |
| Und das ist einfach überhaupt nicht mehr der Fall. Nach Corona hat es eine | |
| Welle gegeben, aber jetzt gibt es eine sehr vorsichtige Einkaufshaltung. | |
| taz: Inwiefern ist das für den Radhandel problematisch? Ist das Rad | |
| verkaufen wichtiger als das Rad reparieren? | |
| Ludwig: Das geht Hand in Hand. Es ist natürlich so, dass wir an einem | |
| Fahrradverkauf mehr verdienen als an einer einzelnen Reparatur. Aber der | |
| Service ist wahnsinnig wichtig. Die Leute kaufen das Rad auch deshalb bei | |
| uns, weil sie den Service möchten. Und die Werkstatt ist extrem | |
| ausgelastet. Auch das führt oft zu Unmut bei den Kunden, weil wir sehr | |
| unflexibel sind, mal eben schnell einen Platten zu reparieren, obwohl wir | |
| wirklich mit Hochdruck daran arbeiten. Gleichzeitig merken wir deutlich, | |
| dass sehr viel im Internet bestellt wird. Und da wird es dann oft | |
| problematisch. | |
| taz: Warum? | |
| Ludwig: Weil viele der im Internet gekauften Räder eine niedrige | |
| Qualitätsstufe haben, die schwierig zu reparieren ist. Und weil sie nicht | |
| endmontiert beim Kunden landen. Wenn wir dann mal eben eine Endmontage | |
| machen sollen, ist das eigentlich eine komplette Inspektion. Da weigern | |
| sich viele, das zu zahlen. Oft sind bei den E-Bikes oder Pedelecs Motoren, | |
| Antriebe oder Akkus verbaut, an denen wir nichts machen können. Denn wenn | |
| wir sie nicht an den Rechner anschließen können, haben wir keine Chance, | |
| Fehlermeldungen zu erkennen. | |
| taz: Der Preiskampf mit dem Onlinehandel ist vermutlich nicht zu gewinnen. | |
| Ludwig: Es kommen Menschen, die sagen: Das Rad, das hier steht, kriege ich | |
| im Internet für weniger. Und ich kann dann nur versuchen, ein Angebot zu | |
| machen. Aber irgendwo ist eine Grenze erreicht und wir Fahrradhändler | |
| können nicht jeden Internetpreis halten, weil wir eben beraten, die | |
| Angestellten und die Reparaturwerkstatt haben. Gestern hatte ich wieder | |
| eine Beratung zu einem Helm und merkte währenddessen, dass sie von mir nur | |
| wissen wollten, welche Größe sie brauchen, um ihn dann im Internet zu | |
| bestellen. | |
| taz: Was haben Sie dann gemacht? | |
| Ludwig: Nichts. Es ist für mich schwer, in solchen Fällen etwas zu tun. Ich | |
| habe es schon mit Erklärungen versucht, da wird man oft moralisch, das | |
| kommt nicht gut an. Es ist, glaube ich, ganz vielen Menschen nicht klar, | |
| dass Fahrradhändler sich nicht per se eine goldene Nase verdienen. | |
| taz: Obwohl man das annehmen könnte, wenn man lange warten muss, bis man | |
| einen Reparaturtermin bekommt. | |
| Ludwig: Es ist auf jeden Fall so, dass gerade auch wegen der etwas | |
| komplizierteren Technik bei den E-Bikes die Leute darauf angewiesen sind, | |
| dass die Technik ausgelesen wird – also das Rad an einen Rechner | |
| angeschlossen wird, um die Software zu aktualisieren und eventuelle Fehler | |
| zu finden. Trotzdem schließen viel alteingesessene kleine Läden, die im | |
| Stadtteil die Leute versorgt haben, weil sie im Konkurrenzdruck mit den | |
| großen Ketten oder den großen Läden, die auch Onlinehandel betreiben, nicht | |
| mehr mithalten können. Die Kunden kommen jetzt von wirklich weit zu uns. | |
| taz: Das heißt, sie laden das Rad ins Auto, um zu Ihnen zu kommen? | |
| Ludwig: Entweder das, oder sie versuchen es mit Bus und Bahn. Wenn ich den | |
| Hamburger Westen als Beispiel nehme: Es gibt in Rissen keinen Fahrradladen | |
| mehr, in Sülldorf nicht und in Iserbrook nicht. Es gibt in Blankenese | |
| diverse Neueröffnungen, aber bis auf die kleinen inhabergeführten Geschäfte | |
| reparieren sie nur noch die Räder, die sie selber verkaufen. Ich weiß | |
| nicht, wer in 20 Jahren die ganzen Fahrräder reparieren wird – und das ist | |
| wirklich eine Frage, wenn man über die Verkehrswende nachdenkt. | |
| taz: Und dann jammern alle den kleinen Fahrradläden hinterher. | |
| Ludwig: Ich habe neulich einen Zeitungsartikel gelesen, der die | |
| Fahrradhändler per se als arrogant und technikaffin und herablassend im | |
| Umgang mit den Kunden beschreibt. Und das ist grundsätzlich falsch, weil | |
| keiner einen Laden aufmacht, wenn er nicht Lust hat auf das Metier. Und zum | |
| Laden gehören Kunden. | |
| taz: Wie froh sind Sie selbst mit den Kund:innen? | |
| Ludwig: Ich komme jetzt in meinem zweiten Ladenjahrzehnt manchmal an den | |
| Punkt, dass ich denke, ich möchte bestimmte Dinge nicht mehr hören. Etwa | |
| wenn Leute sagen: Ich bin zu blöd zum Aufpumpen. Niemand ist zu blöd. | |
| Manche haben es noch nicht gezeigt bekommen. Natürlich ist es so, dass ich | |
| mehr über die Technik weiß als einige meiner Kunden. Aber deswegen bin ich | |
| nicht arrogant oder herablassend. Ich frage nur Dinge ab, die ich abfragen | |
| muss. Die haben ganz oft sicherheitsbedingte Gründe, und da müssen sie mir | |
| dann auch mit Geduld begegnen. | |
| taz: Wonach fragen Sie denn? | |
| Ludwig: Der Klassiker ist, dass jemand kommt und sagt: „Meine Kette ist | |
| gerissen, ich brauche eine neue.“ Dann muss ich fragen: „Wann haben Sie die | |
| zum letzten Mal gewechselt?“ – „Weiß ich nicht mehr“. – „Haben Sie… | |
| Kette mit?“ – „Nein. Die war so dreckig und die ist ja kaputt“. – „… | |
| haben Sie für eine Schaltung?“ – „Weiß ich nicht so genau.“ Dann arbe… | |
| wir uns da heran und finden heraus, was für eine Schaltung das ist. Und | |
| wenn bei einer Kettenschaltung die Kette reißt, tut sie das oft nicht nur | |
| so aus Spaß, sondern weil sie abgenutzt ist oder etwas reingeflogen ist | |
| oder sie falsch montiert war. Dann müsste das Rad eigentlich einmal | |
| angeguckt werden. | |
| taz: Und das bringt die Leute auf die Palme? | |
| Ludwig: Es geht nicht darum, dass ich etwas verkaufen will, sondern um die | |
| Kundensicherheit. Das glauben sie uns oft nicht, da klatsche ich regelmäßig | |
| gegen die Wand des Unverständnisses. Ich mache das nicht zum Spaß oder um | |
| meine Überlegenheit auszuspielen. Und ich glaube, dieser Unterstellung, der | |
| möchte ich nicht mehr begegnen. | |
| taz: Wie sieht die bestmögliche Kundschaft aus? | |
| Ludwig: Es sind Leute, die wissen, dass ich zugewandt bin. So wie die | |
| meisten Fahrradhändler auch. Und auch wir haben einfach manchmal einen | |
| schlechten Tag. | |
| 11 Oct 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Lesestück Interview | |
| wochentaz | |
| Fahrrad | |
| Handwerk | |
| Frauenbild | |
| Feminismus | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Vom taz-Drucker zum S-Bahn-Fahrer: „Wer liest heute schon noch gedruckte Zeit… | |
| Als Drucker hat Jürgen Rademacher die taz gedruckt. Dann schulte er um zum | |
| S-Bahn-Fahrer. Seitdem sieht er, wie Licht und Tageszeiten wechseln. | |
| Ein Gespräch über Geschlechterrollen: „Ich hätte gern Ballett getanzt“ | |
| Männlichkeitsbilder, Gewalt und Feminismus sind die Themen von Fikri Anıl | |
| Altıntaş. In der Schule spricht der politische Bildner und Schriftsteller | |
| darüber. | |
| Klimaaktivistin über langen Atem: „In diesem Sinn bin ich wohl eine Staatsfe… | |
| Hanna Poddig ist schon seit 20 Jahren Vollzeit als Aktivistin unterwegs. | |
| Sie kennt sich so inzwischen mit Knästen und auch Talkshows aus. |