| # taz.de -- Nachruf auf Filmemacher Hartmut Bitomsky: Es blieb der scharfe mate… | |
| > Für seine Filme stellte er keine neuen Bilder her, sondern sezierte die | |
| > bestehenden: Zum Tod des Essayisten und Dokumentaristen Hartmut Bitomsky. | |
| Bild: Regisseur Hartmut Bitomsky während des 66. Filmfestivals von Locarno am … | |
| Ein Mann am Schreibtisch. Er blättert Schwarz-Weiß-Fotos auf. Sie zeigen | |
| einen Mord. Man sieht das Messer, den Duschvorhang, den aufgerissenen Mund, | |
| schwarzes Blut, das in den Ausguss rinnt. Der Mord in Alfreds Hitchcocks | |
| „Psycho“ ist eines der berühmtesten Todesbilder der Filmgeschichte. Hartmut | |
| Bitomsky kommentiert dazu in dem Videoessay „Das Kino und der Tod“ von | |
| 1988: „Kein verletzter Körper, keine Wunden. Der Zuschauer glaubt, einen | |
| Mord gesehen zu haben – doch er hat nicht stattgefunden“. Hitchcock, der | |
| Meister der Täuschung, stelle sich in dieser Szene „die Frage: Was ist der | |
| Tod?“ Am Ende der Szene sieht man die dunklen Augen der Toten, die ins | |
| Nichts starren. „Das Nicht-Sehen ist die größte Annäherung an den Tod, die | |
| Hitchcock sich vorstellen kann“, [1][kommentiert Bitomsky]. | |
| „Das Kino und der Tod“ ist ein kleiner Film über große Fragen: Was ist das | |
| Kino? Was sehen wir? Was glauben wir? Es ist ein Film mit minimalistischen | |
| Mitteln, typisch für den Dokumentarfilmer, Filmlehrer, Kritiker und | |
| Essayisten Bitomsky. Schreibtisch, Fotos, Text, manchmal Musik. Keine | |
| Filmausschnitte. Die Bewegungen der Filme, von Griffith bis Godard, sind | |
| auf Fotos eingefroren. Das ergibt einen seltsamen, verfremdenden Effekt. | |
| Die Bilder wirken in der Bewegungslosigkeit der Fotos intensiver, so wie | |
| die Verlangsamung der Bilder in Filmen von Sam Peckinpah wie „The Wild | |
| Bunch“ die Effekte der Gewalt intensivieren. Gleichzeitig schafft die | |
| Reduzierung auf Foto und Text Distanz. Man beginnt die Bilder des Todes zu | |
| lesen, so wie man einen Text entziffert. | |
| Man muss keine neuen Bilder herstellen, sondern die Bilder, die es gibt, | |
| bearbeiten. Das hat [2][Harun Farocki], ein Freund und Weggefährte von | |
| Bitomsky, mal gesagt. Das war ein programmatischer Satz auch für die Arbeit | |
| von Bitomsky. Dessen Essayfilme waren Bilderbefragung, Versuche, in Details | |
| vergrabene historische Zusammenhänge zum Vorschein zu bringen. In | |
| „Deutschlandbilder“ (1983) sezierte Bitomsky NS-Kulturfilme. | |
| „Reichsautobahn“ (1986) ist die Entzifferung eines NS-Mythos. Man sieht | |
| Adolf Hitler, der am 23. September 1933 in Frankfurt beim ersten | |
| Spatenstich für den ersten Autobahnabschnitt gar nicht mehr aufhören kann, | |
| Sand zu schippen. Es sollte, kommentiert Bitomsky, unbedingt nach | |
| Anstrengung aussehen. Die neuen Straßen waren Zeichen, dass „Deutschland | |
| modern war“. Für LKWs war der Belag zu dünn, Autos gab es in den 30er | |
| Jahren auch kaum. Und die gingen kaputt, wenn sie schnell fuhren. | |
| Autobahnen, so Bitomskys mit lässiger knarzig-tiefer Stimme gesprochener | |
| Kommentar, waren im NS eher dazu da, gefilmt und bewundert als benutzt zu | |
| werden. Bitomsky war ein marxistischer Linker. Nachdem der Glaube an den | |
| Sozialismus versickert war, blieb der scharfe materialistische Blick. | |
| [3][Bitomsyks Kunst, schrieb der Filmkritiker Michael Althen,] war, etwas | |
| zu sehen, „was so noch keiner gesehen hat, obwohl es für alle sichtbar | |
| wäre.“ | |
| ## Westberlin, Kalifornien, Berlin | |
| Bitomsky gehört zum ersten Jahrgang der 1966 in Westberlin gegründeten | |
| Filmschule DFFB, zusammen mit dem späteren RAF-Terroristen Holger Meins und | |
| dem späteren Hollywoodregisseur Wolfgang Petersen. Er schrieb in den 70er | |
| Jahren, wie Farocki, für die Zeitschrift Filmkritik, und arbeitete als | |
| Dokumentarist, viel für den WDR. Nach 1993 war er für zehn Jahre in | |
| Kalifornien Dekan an einer Kunsthochschule. 2006 kehrte er nach Berlin | |
| zurück, drei Jahre lang als Direktor der DFFB. Zentrale dokumentarischen | |
| Arbeiten befassten sich mit der Geschichte des US-Bombers B52 (2001), | |
| [4][dem Architekten Hans Scharoun] (1993) und Staub (2007). Sein Werk | |
| lagert in öffentlich-rechtlichen Archiven. Zugänglich ist es nicht. | |
| Bitomsky hatte ein Talent für sprachliche Miniaturen und Verdichtungen. Der | |
| Titel seines 1972 erschienenen Buches über Produktion und Ästhetik des | |
| Films lautete „Die Röte des Rots von Technicolor“. Bitomsky konnte Bilder | |
| lesen und Worte zu Bildern machen. Am letzten Mittwoch ist er im Alter von | |
| 83 Jahren gestorben. | |
| 29 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.youtube.com/watch?v=Act2sv1IKTA | |
| [2] /Ausstellung-Control-No-Control/!5517982 | |
| [3] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/sachbuch/ich-sehe-was-was-du… | |
| [4] /Kultur-in-der-Berliner-Grosssiedlung/!5694485 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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