| # taz.de -- Fotografin Jitka Hanzlová: Das Fantastische ihrer Bilder verbirgt … | |
| > Man muss ihre Bilder betrachten wie mittelalterliche Illuminationen: Die | |
| > erstaunliche Fotografie Jitka Hanzlovás ist in der Albertina Wien zu | |
| > sehen. | |
| Bild: Jitka Hanzlová: Untitled, 1996, aus der Serie „Bewohner“ und „Joy … | |
| Vor dreißig Jahren war Jitka Hanzlová Teil einer Kohorte von Fotografen, | |
| für die das Farblabor im Studium selbstverständlich geworden war. Rein | |
| äußerlich, durch das Hochformat und eine gewisse Blässlichkeit der Farben | |
| war sie damals Mainstream, und Leute auf der Straße in ein Porträt zu | |
| verwickeln, war geradezu in Mode. Die letzte lebendige Verbindung zum | |
| Printjournalismus waren die Strecken für das Magazin der Süddeutschen | |
| Zeitung, ansonsten waren alle unterwegs in Richtung Kunst und Lehre. | |
| Jetzt aber, wo die Albertina in Wien ihr eine Retrospektive ausrichtet, | |
| auch wenn sie nicht so heißt, steht Hanzlová als Künstlerin höchst eigen, | |
| wenn nicht allein in der fotografischen Landschaft. Ihre Beharrlichkeit ist | |
| betörend, ihr Erfindungsgeist enorm. Am schwierigsten zu verstehen ist ihre | |
| Arbeit über Rassepferde in Nordafrika, weil sie diese so wild anschaut, als | |
| wäre sie selber ein Pferd. | |
| Der Titel der Ausstellung in der „historischen Pfeilerhalle“, dem | |
| Premiumplatz [1][für Zeitgenossen in der Albertina], heißt „Identities“, | |
| der auf dem Cover des Katalogs allerdings nicht auftaucht. Vielleicht war | |
| sich der Kurator Walter Moser nicht ganz sicher, ob es zulässig ist, das | |
| Modewort einem solchem leisen und eleganten Werk überzustülpen. Zwar bringt | |
| Jitka Hanzlová (vor allem) Frauen und (einige) Männer dazu, in ihrem | |
| geschäftigen Leben eine Auszeit zu nehmen, die eine Art Spiegelfunktion | |
| hat. Insofern ist schon die Frage, wer diese Menschen sind, wo sie | |
| herkommen und was sie umtreibt, aber es kann kein Zufall sein, dass sie als | |
| Abgebildete namenlos bleiben. Hanzlová bestätigt nichts und bezweifelt | |
| nichts. Die Bilder sind transitorisch, aber nicht deshalb, weil Fotografien | |
| das „immer“ wären, sondern weil die Porträtierten durch Hanzlová quasi | |
| hindurchgehen. Man muss nur daneben halten, wie [2][Rineke Dijkstra] ihr | |
| Gegenüber ikonisch herausputzt, um zu erkennen, wie persönlich Hanzlovás | |
| Blick ist. | |
| Sie entkam mit 24 dem spätstalinistischen Regime in Prag, fand sich wieder | |
| als disprivilegierte Exilantin in Essen und entdeckte dort, relativ spät, | |
| die Fotografie. Einige Jahre später sah sie ihre Familie wieder und | |
| verzauberte deren Dorf in ein hinreißendes postsozialistisches Idyll, nicht | |
| ohne eine gewisse Rohheit. Später verwandelte sie den böhmischen Wald zu | |
| einem archaischen „Forest“, megagrün und gruselig schwarz. Diese Fotografin | |
| hat keine Angst vor Seele. | |
| ## Mit den Waldgeistern auf gutem Fuß | |
| Während sie mit Waldgeistern ganz offensichtlich auf gutem Fuß steht, hat | |
| sie einen großartigen Sinn dafür entwickelt, wie schwierig es ist, in der | |
| Zivilisation Wurzeln zu schlagen. Man könnte es zuspitzen und sagen, dass | |
| ihre große Erzählung der Fremdheit nicht eigentlich die Metropole meint, | |
| sondern den Westen, während ihr Naturbegriff dem Staunen eines Kindes | |
| entstammt. Oder eben dem Staunen einer Exilantin, die an den Ort der | |
| Kindheit zurückkehrt. Insofern ist ihr Naturbegriff schon wieder | |
| Geschichte. | |
| Eigentümlicherweise ist Jitka Hanzlová beim Hochformat geblieben, selbst | |
| wenn sie tief in blaue Wasser starrt oder Wolken katalogisiert. Für eine | |
| umfassende Retro stellt das im Lay-out ein gewisses Problem dar. Man muss | |
| ihre Fotografien betrachten wie mittelalterliche Illuminationen, dann | |
| bemerkt man auch die farbliche Feinschraffur ihrer Bilder: Symbole, | |
| Zeichen, Schriften; krumme Dinger im Himmel und Löcher in der Wirklichkeit. | |
| Ihre Fähigkeit, zu beobachten, grenzt ans Fantastische. Sie stellt das | |
| nicht aus, im Gegenteil, sie verbirgt es fast. | |
| Das Einzige, was vergessen wurde, sind Jitka Hanzlovás Bücher. Denn | |
| fotografische Bücher haben als Medium die Magazine abgelöst. Sie geben den | |
| Projekten ihre Namen: „Rokytník“, „Hier“, „Bewohner“, „Female“… | |
| „Horse“. Das hätte in der Ausstellung zwei schöne, lange Vitrinen ergeben. | |
| Und die Buchhandlungen der Museen, mit wenigen Ausnahmen, helfen auch nicht | |
| mehr weiter. | |
| 1 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulf Erdmann Ziegler | |
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