| # taz.de -- Parlamentswahl in Tschechien: Der tschechische Trump ist wieder da | |
| > Andrej Babiš und seine rechtspopulistische Partei ANO gewinnen die | |
| > Parlamentswahlen in Tschechien. In der Hauptstadt Prag ist die Freude | |
| > überschaubar. | |
| Bild: Zerrissenheit in Tschechien: Konfettiregen während der Rede von Andrej B… | |
| Prag taz | Am Moldau-Ufer in Prag pulsiert am Wahlwochenende das Leben. In | |
| der Luft hängt Glühweinduft. Zwischen Marktständen mit Most, | |
| Fleischspezialitäten und handgemachten Seifen spricht ein | |
| Papierwaren-Unternehmer über seine Enttäuschung: Sieben Mitarbeiter | |
| beschäftigt er, produziert wird alles selbst. Doch staatliche | |
| Unterstützung? Fehlanzeige. „Ich fühle nicht, dass uns jemand unterstützt�… | |
| sagt der Mann. Die zentristische Regierung habe ihn enttäuscht. Andrej | |
| Babiš, der „tschechische Trump“, komme für ihn aber auch nicht in Frage. | |
| Dem gehe es nur um sich selbst. | |
| Ein paar Meter weiter verkauft eine junge Frau belegte Brote. Auch sie | |
| lehnt Babiš ab. „Unsere Verwandten haben für diese Freiheit gekämpft. Es | |
| wäre dumm, das aufzugeben, nur weil Menschen nicht informiert genug sind | |
| und sich kaufen lassen.“ Besonders ältere Wähler, kritisiert sie, fielen | |
| auf Babiš’ Geldversprechen herein, ohne zu fragen, wer das bezahlen soll. | |
| Doch die Entscheidung ist gefallen. Tschechien hat ein klares Votum | |
| abgegeben: ANO, die Partei des 71-jährigen Unternehmers Andrej Babiš, | |
| übertraf alle Erwartungen und kam auf 34,5 Prozent. [1][Die regierende | |
| Spolu-Koalition von Premier Petr Fiala] stürzte auf gut 23 Prozent ab. Mit | |
| hochgereckten Armen feierte Babiš am Wahlabend seinen „historischen | |
| Erfolg“. Fiala gratulierte: „Das Ergebnis ist klar, und man muss es als | |
| Demokrat akzeptieren.“ Die Wahlbeteiligung stieg auf fast 69 Prozent, den | |
| höchsten Wert seit den 1990er Jahren. | |
| Überraschend schwach schnitten die politischen Ränder ab. Die | |
| rechtsradikale SPD blieb mit knapp 8 Prozent hinter den Erwartungen. Die | |
| kommunistisch-nationalistische Stačilo (4,3 Prozent) scheiterte an der | |
| Fünfprozenthürde. „Babiš hat diese Stimmen abgesaugt“, analysiert Rikard | |
| Jozwiak, Journalist von Radio Free Europe in Prag. „Insgesamt war es ein | |
| Sieg der etablierten Parteien.“ Das bürgerliche Regierungsbündnis Spolu, | |
| die linken Piraten und die Bürgermeisterpartei Stan kamen zusammen auf | |
| ähnlich viele Stimmen wie vor vier Jahren. Viele Wähler, die zuvor | |
| Kleinparteien unterstützt hatten, entschieden sich diesmal anders. | |
| ## Junge Wähler hatten nicht viele Alternativen | |
| Babiš profitierte von der Unzufriedenheit im Land. Die Preise stiegen | |
| zuletzt stark, während die Reallöhne stagnierten. Premier Fiala konnte | |
| zentrale Wahlversprechen wie die Lösung der Wohnungskrise nicht einhalten. | |
| Babiš nutzte das im Wahlkampf geschickt aus und versprach billige Energie | |
| sowie finanzielle Hilfen für Familien und Bedürftige. | |
| Im Viertel Kleinseite, im Metro Comedy Club nahe der Karlsbrücke, bleibt | |
| die Politik am Wahlabend Randthema. Das Publikum besteht vor allem aus | |
| Expats und Touristen. Kristýna Haklová, Gründerin des Clubs und selbst auf | |
| der Bühne, blickt trotz der ungewissen Aussichten optimistisch in die | |
| Zukunft. Sorgen um die Meinungsfreiheit hat sie nicht. „Es gibt | |
| funktionierende Korrektive, selbst wenn die Regierung nach rechts außen | |
| ausscheren würde.“ | |
| Der 34-jährige Stand-up-Comedian Dominik Dabrowski sieht das kritischer: | |
| „Babiš ist nicht wie Orbán ein Ideologe. Er ist machtgierig und will Geld. | |
| Aber wenn ihm eine verrückte Partei Macht gibt, würde er wichtige | |
| Ministerien an Rechtsradikale vergeben.“ | |
| Der Tscheche sieht ein strukturelles Problem für junge Wähler: Wer weder | |
| Babiš noch die extremen Ränder wählen wolle, habe nur drei Alternativen. | |
| Die konservativ-bürgerliche Spolu-Regierung, die aber progressive Themen | |
| wie Homo-Ehe oder Umweltschutz nicht vorantreibe. Die zentristische | |
| Bürgermeisterpartei Stan. Oder die Piraten. Letztere seien zwar eine | |
| moderne progressive Partei, doch als Juniorpartner in der Regierung hätten | |
| sie keine echte Chance, ihre Prioritäten durchzusetzen. Das erkläre, warum | |
| viele junge Menschen gar nicht zur Wahl gingen. | |
| Eine Zusammenarbeit mit ANO haben Piraten und Stan ausgeschlossen. Auch | |
| zwischen ANO und Spolu herrscht Funkstille. Beide Seiten lehnen eine | |
| Koalition ab. Bleiben die rechtsradikale SPD und die EU-kritischen | |
| Motoristen, die mit knapp 7 Prozent erstmals ins Parlament einzogen. Sie | |
| fordern vor allem eine Rückabwicklung des [2][Green Deal]. | |
| ## Die Verhandlungen zur Regierungsbildung werden schwierig | |
| Für eine Mehrheit müsste Babiš beide Parteien ins Boot holen. Das gilt als | |
| unwahrscheinlich, da die SPD einen Austritt aus Nato und EU fordert – für | |
| Babiš ein No-Go. Er strebt daher eine ANO-Minderheitsregierung an. | |
| Journalist Martin Ehl von der Wirtschaftszeitung (HN) rät ihm, Teile von | |
| Spolu einzubinden, um die Beziehungen zum Westen zu wahren, auf die Babiš | |
| schon aufgrund seiner Unternehmen Wert legt. | |
| Die Verhandlungen werden schwierig. Präsident Petr Pavel hat klargestellt, | |
| keine Regierung aus Systemgegnern zu akzeptieren. Auch die Mitgliedschaft | |
| Tschechiens in EU und Nato sei nicht verhandelbar. Möglich, dass Pavel am | |
| Ende jemand anderen aus ANO zum Premier macht. Gegen Babiš laufen | |
| Korruptionsermittlungen, zudem gibt es Interessenkonflikte zwischen seinem | |
| Unternehmertum und der Politik. | |
| Auch der internationale Kurs Tschechiens bleibt unklar. Babiš gilt als | |
| Fahne im Wind und weitgehend ideologiefrei. Sein Vermögen baute er mit | |
| Agrofert auf, einem Mischkonzern für Chemie und Agrarhandel. [3][Immer | |
| wieder gab es Korruptionsvorwürfe], ein Verfahren läuft noch. | |
| Seit letztem Jahr sitzt ANO mit Orbáns Fidesz und Kickls FPÖ in der | |
| EU-Fraktion „Patrioten für Europa“. Im Wahlkampf kündigte Babiš an, die | |
| Ukrainehilfen zu kürzen. Die tschechische Munitionsinitiative für die | |
| Ukraine will er in die Nato überführen. Journalist Ehl erwartet dennoch | |
| Pragmatismus: Rhetorisch werde eine ANO-geführte Regierung weiter gegen die | |
| Ukrainehilfen sein. Aber unter der Oberfläche wird es pragmatisch | |
| weitergehen – „wegen des Geschäfts“. | |
| Im Comedy-Club bleibt Kleinkünstlerin Haklová optimistisch: „Tschechen | |
| hassen Extreme. Wir mögen unsere zentrale Position in Europa. Babiš wird | |
| reicher, die Korruption könnte wieder zunehmen – aber ich glaube nicht, | |
| dass wir die Nato oder die EU verlassen.“ Auch Journalist Jozwiak sieht ANO | |
| differenziert: „Über Babiš hinaus ist die Partei nicht so toxisch. Sie | |
| hatten moderate Gesichter, als sie vor vier Jahren regierten. Der Diskurs | |
| wird rauer, aber ich glaube nicht, dass Tschechien die Richtung von | |
| Bratislava oder Budapest einschlägt.“ | |
| 5 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Florian Bayer | |
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