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# taz.de -- Refugee-Karawane Tagebuch (2): Wie ein Gefängnis im Wald
> 600 Geflüchtete leben isoliert in einem abgelegenen Lager im
> thüringischen Obermehler. Am Samstag protestierten sie gegen die
> Unterbringungsbedingungen.
Bild: Das Lager befindet sich in alten Militärbaracken, mitten im Nirgendwo
Heute ist ein guter Morgen für mich – es ist der erste Tag, die Karawane
beginnt. Ich bin etwas früher aufgewacht, habe mich auf den Samstag
vorbereitet. Die Sonne geht gerade auf, das Wetter ist angenehm. Einige
haben in Zimmern schlafen können, viele andere kommen nun aus den Zelten,
in denen sie in der vergangenen Nacht gecampt haben. Es gibt Kaffee,
Umarmungen, alle fragen sich gegenseitig, ob sie gut geschlafen haben.
Nach dem Frühstück steigen wir in Autos und fahren nach Mühlhausen, im
Westen von Thüringen. Dort findet heute die Auftaktveranstaltung statt.
Gleichzeitig startet ein Bus mit einigen Aktivist:innen nach
Obermehler. In dem Dorf leben 600 Flüchtlinge in einem abgelegenen Lager
unter schwierigen Bedingungen.
20 Kilometer trennen die Menschen dort von Mühlhausen. Unter ihnen sind
Frauen und Kinder ohne Integrationschancen, die vor Krieg, Hunger oder
Verfolgung geflohen sind. Das Lager befindet sich in alten Militärbaracken,
mitten im Nirgendwo. Kinder und Jugendliche leiden sehr unter der
Isolation. Seit einiger Zeit gibt es Forderungen, dieses Lager zu
schließen. Es gibt nur wenige Busverbindungen am Tag, der letzte fährt um
16:30 Uhr zurück. Manchmal stranden Menschen deshalb selbst im Winter am
Bahnhof in Mühlhausen, wenn sie den Bus zurück ins Lager verpassen. Dass
die Menschen dort so leben müssen, ist eine Missachtung ihrer Würde.
Auf dem Marktplatz von Mühlhausen beginnen alle Gruppen, ihr Material
aufzubauen. Ich helfe dem Team, das einen Stand zur Bezahlkarte macht, und
der Gruppe, die sich um die Social Media-Postings von der Tour kümmert. Als
wird fertig sind, kommt der Bus aus Obermehler. Es gibt Applaus und Pfiffe,
die Flüchtlinge aus dem Lager werden willkommen geheißen.
## Schwierige Lebensbedingungen in den Lagern
Leo ist eine der Aktivist:innen, die mit dem Bus beim Lager waren, um die
Menschen abzuholen. „Als wir ankamen, nahm einer der Bewohner das Megafon
und informierte die Menschen in verschiedenen Sprachen“, berichtet sie. Sie
fragten die Menschen, ob sie mit dem Bus mitkommen wollten, viele waren
bereit, sich der Demo anzuschließen. „Sie freuten sich sehr, an der Aktion
teilzunehmen“, sagt Leo.
Die geht nun los und es gibt Reden. Einige der Sprecher:innen forderten
die [1][Abschaffung der rassistischen Bezahlkarte], andere berichten von
den Herausforderungen im Asylverfahren. Die meisten Beiträge aber handeln
von den schwierigen Lebensbedingungen in den Lagern.
Einer der Sprecher:innen ist Hussein aus Syrien: „Zuerst war ich in
Suhl, dann sechs Monate in Hermsdorf. Viele Menschen hier wissen, was das
bedeutet“, sagt er. Es sei das Erstaufnahmelager in Thüringen mit den
schlimmsten und wirklich unmenschlichen Bedingungen gewesen. Die Bewohner
dort protestierten, danach wurde das Lager im Juni 2024 zunächst
vorübergehend geschlossen.
„Nachdem wir in Hermsdorf Erfolg hatten, musste ich ein ganzes Jahr
isoliert in Obermehler verbringen“, sagt Hussein nun. „Wir wurden dort uns
selbst überlassen, und das schadet wirklich der Gesundheit. Wir brauchen
eine Lösung, die dem wirklich ein Ende setzt.“ Und die einzige Lösung dazu
sei die Schließung solcher Lager. „Die Menschen dort brauchen einen
besseren Ort zum Leben. Beendet ihre Diskriminierung.“
## Ein Gefängnis im Wald
Mit dieser Rede zieht Hussein auch eine Linie zu den Anfängen der Idee der
Karawane: Im Sommercamp von We’ll Come United, 2024, hatten die
Freund:innen, die da gerade erfolgreich für die Schließung des Lagers in
Hermsdorf gekämpft hatten, vorgeschlagen, zu den anderen Unterkünften der
Region zu fahren, um den Menschen zu zeigen, dass man gemeinsam
Veränderungen erreichen kann. Und so sind wir nun heute hier, in
Mühlhausen, mit den Menschen aus Obermehler.
„Ich bin jetzt seit mehr als drei Jahren an diesem Ort“, sagt ein Bewohner
namens Yusuf. „Man kann sich niemals in die Gesellschaft integrieren, wenn
man wie in einem Gefängnis im Wald lebt.“ Er hat einen Freund mitgebracht.
Der könne nicht gut laufen. „Aber er muss Wasser kaufen und mit dem Bus
transportieren, weil das Wasser im Lager nicht trinkbar ist.“ Die
Ausländerbehörde behandle die Menschen unfreundlich, klagt Yusuf. „Wir
finden keine Arbeit. Für 80 Cent pro Stunde bieten sie uns an, freiwillig
zu arbeiten.“ Die Kinder in Obermehler hätten keinen guten Zugang zu Schule
und Kindergarten. „Wir sind wirklich müde und haben genug davon.“
Ein anderer Bewohner, sein Name ist Abdulhadi, berichtet vom vergangenen
Winter.„Wir hatten vier Tage mit Schnee und haben versucht, mit dem Bus zu
fahren, um uns aufzuwärmen, weil die Heizung im Lager nicht ausreichte“,
sagt er. Das Wasser sei nicht trinkbar, die öffentlichen Verkehrsmittel
unzureichend. „Wir wollen, dass ihr das Lager schließt. Wir wollen Zugang
zu Bildung und Arbeit“, schließt Abdulhadi seinen Beitrag.
Für mich war es bewegend und traumatisierend zugleich, die Reden der
Menschen aus diesem Lager anzuhören.
Hassan, einer der Aktivist:innen von unserem Netzwerk Welcome United,
nimmt das Mikrofon: „Ihr seid nicht allein. Wir kommen aus vielen Städten
hierher, um Euch in eurem Kampf zu unterstützen“, sagt er. „Solidarität
wird siegen.“
Das Tagebuch [2][wird fortgesetzt].
21 Sep 2025
## LINKS
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[2] /Refugee-Karawane/!t6114589
## AUTOREN
Muna Abdi
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