| # taz.de -- Glamuröse Ausstellung in Hannover: Ein Trost für die Schmach | |
| > Kulturhaupstadt ist Hannover nicht geworden. Zum Trost vereint das | |
| > Sprengel-Museum Niki de Saint Phalle, Yayoi Kusama und Takashi Murakami. | |
| Bild: Yayoi Kusama: Infinity Mirrored Room | |
| Die Schmach, nicht europäische Kulturhauptstadt 2025 geworden zu sein, | |
| sitzt in Hannover tief. Der Direktor des Sprengel-Museums, Reinhard | |
| Spieler, kam mehrfach darauf zu sprechen, als er den Medien die große | |
| Ausstellung zu Niki de Saint Phalle, Yayoi Kusama und Takashi Murakami | |
| vorstellte. | |
| „Love You for Infinity“, so der einem Pop-Song von Jaymes Young entnommene | |
| Titel, erreiche einen neuen, die internationale Wahrnehmung garantierenden | |
| Standard für das Museum – und die Stadt Hannover. „Wir sind | |
| Kulturhauptstadt“, lautet Spielers selbstbewusstes wie knappes Resümee. | |
| Aber was ist da nun in den zwölf thematisch gegliederten Räumen, inklusive | |
| der großvolumigen Wechselausstellungshalle, auf rund 2.000 Quadratmetern | |
| Fläche zu sehen? Von den rund 120 Exponaten aus Malerei, Plastik und | |
| Installation, angewandter Kunst sowie Video stammt rund die Hälfte aus dem | |
| hauseigenen Fundus von Niki de Saint Phalle (1930–2002). Denn sie vermachte | |
| vor 25 Jahren dem Sprengel-Museum rund 450 Arbeiten. | |
| Es war ihr Dank für die Loyalität der Stadt und deren Liebe zu ihrem Werk. | |
| Hier konnte sie 1974 ihr wohl erstes großes Kunstprojekt im öffentlichen | |
| Raum realisieren: drei üppige, bunte Nanas am Hohen Ufer. Zur Expo 2000 | |
| durfte sie noch eine ruinöse Grotte im Herrenhäuser Barockgarten mit | |
| Farbglas- und Spiegelmosaik sowie einzelnen Figuren in ein fantastisches | |
| Biotop verwandeln. Hannover wiederum zeigte sich für die Schenkung mit der | |
| Ehrenbürgerschaft erkenntlich – für, beschämenderweise, die bislang einzige | |
| Frau. | |
| ## Tausende Herzchen und Lebensfreude | |
| Wenn Niki de Saint Phalle jetzt mit der etwa gleichaltrigen Yayoi Kusama, | |
| geboren 1929, und dem wesentlich jüngeren [1][Takashi Murakami], Jahrgang | |
| 1962, in den künstlerischen Trialog tritt, erscheint das auf den ersten | |
| Blick stimmig. Es strotzt in den Werken der drei nur so vor optimistischer | |
| Farbigkeit, Liebesbekundungen mit Tausenden Herzchen und Lebensfreude | |
| inklusive Konsumverlangen. | |
| Nikis üppige Nanas gesellen sich also zu Kusamas bunten Polka Dots und | |
| ihren Spiegelwelten oder Murakamis Emoji-Flower-Tapeten und seiner | |
| Männerfantasie eines Drei-Meter-Girls, das nur aus Po und Riesenbrüsten zu | |
| bestehen scheint. Und das alles ist appetitlich inszeniert in farblich | |
| passend gefassten Räumen: Pink, Orange, Türkis, Tiefblau. | |
| Aber bei [2][Niki, wie sie sich selbst als Marke benannte], bricht dieser | |
| Anschein sofort. Man muss ihre zwischen 1961 und 1963 entstandenen | |
| spektakulären Schießbilder – halbplastische Objekte, in die Farbbeutel oder | |
| Eier eingearbeitet wurden, um beim Beschuss auszubluten und sich über die | |
| Oberfläche zu ergießen – nicht küchenpsychologisch als Aufbegehren gegen | |
| Patriarchat, männlich dominierten Kunstmarkt oder eine verklemmte | |
| Nachkriegsgesellschaft deuten. | |
| In ihrer Auseinandersetzung mit den zeitgeistigen Kunstformen des | |
| partizipativen Happenings oder des US-amerikanischen Action Painting | |
| beschritt die Autodidaktin Niki radikal individuelle Wege. Im Nachhinein | |
| empfand sie diese als Therapie und Sinnstiftung nach einer Lebenskrise. Von | |
| manch Seelentiefen hatte man bereits erfahren, seit Jahren bilden einzelne | |
| Arbeiten Kristallisationspunkte in Themenausstellungen [3][des | |
| Sprengel-Museums]. | |
| 2013 etwa war ihr Schießbild „Old Master (Petit Tir)“ eine fundamentale | |
| Position in der Betrachtung des kalkulierten Zufalls in der Kunst der | |
| Moderne. 2017 gewährten rund 25 Zeichnungen und Grafiken als fiktive Briefe | |
| Einblicke in ihr problematisches Privat- und Liebesleben. 2016 galt ihr | |
| eine Einzelausstellung, die auch die düsteren Seiten ihres Schaffens | |
| betonte, etwa die Bewältigung sexualisierter Gewalt durch die Kunst. | |
| Auch [4][Yayoi Kusama] startete mit einem Eklat in den Kunstbetrieb. Ohne | |
| Einladung zur Venedig-Biennale präsentierte sie sich 1966 dort inmitten | |
| 1.500 spiegelnder Kugeln: Ihr „Narcissus Garden“ war eine Kritik an der | |
| Selbstgefälligkeit der Branche. Fortan florierte ihre Marke, unübersehbar | |
| mit Hang zum Dekorativen. | |
| Sie lebt seit Langem, auf eigenen Wunsch, in einer psychiatrischen Klinik, | |
| ist dennoch wohl die bekannteste gegenwärtige Künstlerin Japans. Sie | |
| scheute, ebenso wenig wie ihr Landsmann Murakami, vor der Zusammenarbeit | |
| mit dem französischen Luxuslabel Louis Vuitton zurück. Kusamas bunte Punkte | |
| überlagern das traditionelle Monogramm auf braunem Grund. | |
| Murakami überführt die zwei Buchstaben in fröhliche Farbigkeit und | |
| Ornamentik und vermengt Hoch- und [5][Populärkultur] sowie Kommerz. Aber | |
| aus seinen Blumen mit lustigem Gesicht kann auch eine Ansammlung von | |
| Totenschädeln werden, wie er 2012 in seiner Malerei „Blue Life Force“ | |
| demonstrierte. Abgründe, so lernt man, lauern selbst unter der | |
| optimistischsten Oberfläche. | |
| 19 Oct 2025 | |
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| [3] https://www.sprengel-museum.de/ | |
| [4] /Die-Helsinki-Biennale/!6090072 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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