# taz.de -- Personalkarussell bei der Grünen Jugend: Der nächste Versuch | |
> Die bisherige Spitze zieht sich zurück, Nachfolger*innen stehen | |
> bereit. Ein Besuch an der Ostsee bei Henriette Held. Sie will die Grüne | |
> Jugend führen. | |
Bild: Henriette Held am Hafenbecken in Greifswald | |
Greifswald taz | Am Dienstagmittag sitzt Henriette Held, Landeschefin der | |
Grünen Jugend in Mecklenburg-Vorpommern, am alten Stadthafen von | |
Greifswald. Es ist ihr Lieblingsplatz in der Stadt. Vor der Studentin liegt | |
das Hafenbecken. Wenn alles klappt, wird sie in den nächsten Wochen noch | |
mal reinspringen – das mache man hier so, wenn man wegzieht. Ein paar Meter | |
hinter ihr liegen alte Gleise, sie führen zum Bahnhof und von dort in einer | |
langen Kurve zum Strand von Lubmin. Auch dank Held rollen dorthin in | |
Zukunft wieder Züge. Wenn alles klappt, ist sie aber nicht da, wenn im | |
nächsten Jahr der Probeverkehr startet – 2026 will sie in Berlin sein. | |
Am Donnerstag [1][wird sie auf Instagram publik machen], dass sie als | |
Bundesvorsitzende der Grünen Jugend kandidiert. Genauer gesagt, wie es im | |
Verband offiziell heißt, als Bundessprecherin. Es ist kein einfaches Amt: | |
[2][weil den Grünen die jungen Wähler*innen weglaufen], weil das | |
Verhältnis zwischen der Partei und ihrer Nachwuchsorganisation angeknackst | |
ist und weil die Grüne Jugend selbst seit einer Weile für personelle Unruhe | |
steht. | |
Vor einem Jahr schmissen die damaligen Bundessprecherinnen hin und | |
verließen auch gleich die grüne Partei. Eine ihrer Nachfolgerinnen, Jette | |
Nietzard, verkündete im Juli, nach nur einer Amtszeit wieder aufzuhören. | |
Sie hatte es sich mit führenden Grünen verscherzt. In dieser Woche [3][gab | |
dann auch ihr Co-Vorsitzender Jakob Blasel bekannt], nicht wieder zu | |
kandidieren. | |
Die Öffentlichkeit überraschte er mit diesem Schritt, intern war er aber | |
abzusehen. Zwei Nachfolgekandidat*innen stehen schon bereit. Der | |
eine ist Luis Bobga aus Nordrhein-Westfalen, aktuell Beisitzer im | |
Bundesvorstand. Am Donnerstag macht auch er seine Bewerbung öffentlich. Die | |
andere ist eben Henriette Held. Beide werden im Verband breit unterstützt. | |
Ihre Chancen, auf dem Bundeskongress Mitte Oktober zur neuen Doppelspitze | |
gewählt zu werden, stehen gut. | |
Die Anfänge: Zwei Tage, bevor die Kandidatur offiziell wird, sitzt Held am | |
Hafen zwischen Sonnenschirmen und Liegestühlen, um sich der taz | |
vorzustellen. Im ersten Satz erzählt Held, dass sie 23 Jahre alt ist und in | |
Pankow aufwuchs. „Ostberlin“, wie sie sagt, auch wenn die Mauer bei ihrer | |
Geburt schon lange nicht mehr stand und ihre Eltern aus dem Westen | |
zugezogen waren. Im zweiten Satz kommt sie auf Greta Thunberg zu sprechen: | |
Held ist 16, als die Schwedin in Stockholm den ersten Klimastreik startet | |
und bald darauf Nachahmer*innen in Deutschland findet. | |
„Das hat mein ganzes Leben verändert“, sagt sie. „Mir wurde klar: Die da | |
oben regeln die Klimakrise nicht. Wir müssen das irgendwie selber machen.“ | |
Freitags geht sie selbst nicht mehr zur Schule, in Pankow organisiert sie | |
Aktionen von Fridays for Future mit, an ihrem Gymnasium gründet sie eine AG | |
Klimagerechtigkeit. | |
Der Umzug: Nebenbei macht Held Kunst, sie hätte auch gerne etwas in die | |
Richtung studiert, aber vor dem Abitur kommt sie zum Schluss: Für das Klima | |
reicht es nicht, Druck auf der Straße zu machen. Wer etwas verändern will, | |
muss alle Hebel nutzen. Der eine ist das Recht. Beeindruckt ist sie zum | |
Beispiel von der Klage, die dazu führt, dass das Bundesverfassungsgericht | |
den Klimaschutz 2021 zum Staatsziel erklärt. Deswegen der Umzug aus Berlin | |
in die 56.000-Einwohner*innen-Stadt Greifswald: Sie studiert dort Jura mit | |
einem Schwerpunkt auf Umwelt- und Klimarecht. | |
Der andere Hebel sind die Parlamente, deswegen die Grüne Jugend. Schon in | |
Pankow geht sie ein paar Mal zur Ortsgruppe, in Greifswald steigt sie | |
richtig ein. Das hat noch einen zweiten Grund: Ihr Studienbeginn fällt in | |
die Zeit von Corona, die Vorlesungen finden digital statt, in der neuen | |
Stadt sitzt sie alleine in ihrer Wohnung. Die Parteijugend trifft sich aber | |
regelmäßig, per Zoom oder mit Abstand im Freien. „Die Grüne Jugend war der | |
einzige soziale Raum, wo ich Leute kennenlernen konnte.“ | |
Der Horizont: Parteien decken mehr Themen ab als Bewegungen und Greifswald | |
ist anders als Berlin. Helds Interessen werden breiter. Soziale | |
Gerechtigkeit, sagt sie, war ihr neben dem Klima zwar schon früher wichtig. | |
Auch wegen ihrer Mutter, die sich in der Kirche engagierte. Anderes rückt | |
aber erst an der Ostsee richtig in ihren Fokus: Antifaschismus, der Osten | |
und seine Sichtbarkeit oder der schwache öffentliche Nahverkehr auf dem | |
Land. | |
Und eben: „soziale Räume“. Den Begriff lässt sie am Stadthafen immer wied… | |
fallen, nicht nur, als es um ihren Start in Greifswald während der Pandemie | |
geht. Auch als sie von ihrer Arbeit an der Spitze des kleinen | |
Landesverbands mit seinen rund 200 Mitgliedern erzählt. Es gehe dort nicht | |
nur um harte Politik. Man organisiere auch Partys und Hausaufgabenhilfen | |
oder mache zusammen Sport. „Solche Angebote fehlen sonst in | |
Mecklenburg-Vorpommern an vielen Orten, oder es herrschen dort rechte | |
Narrative“, sagt sie. „Politik muss auch Spaß machen und Leute | |
zusammenbringen, sonst können wir auch keine Mehrheiten organisieren.“ | |
Die Bahn: Am prägendsten in ihren Greifswalder Jahren ist aber die Sache | |
mit dem Zug zum Strand. 2022 macht die Grüne Jugend eine Umfrage in der | |
Stadt. Nicht nur am Campus, sondern auch in den Stadtteilen, in denen der | |
Frust tief sitzt und die Grünen einen schlechten Ruf haben. Die | |
Parteijugend will von den Leuten wissen, was sie an Greifswald stört, und | |
immer wieder hört sie: Schade, dass die Bahn nach Lubmin seit einem | |
Vierteljahrhundert nicht mehr fährt. „Es gibt hier Kinder, die 20 Kilometer | |
von diesem Strand entfernt wohnen, aber noch nie dort waren, weil sich ihre | |
Eltern kein Auto leisten können“, sagt sie. | |
Die Grüne Jugend startet eine Kampagne, sammelt Unterschriften. Jetzt plant | |
die Bahn für das nächste Jahr tatsächlich, probeweise Züge von Greifswald | |
nach Lubmin verkehren zu lassen. Die Resonanz, sagt Held, sei nur positiv | |
gewesen. „Wir waren nicht mehr irgendwelche Grünen, die das Dieselauto oder | |
das Steak verbieten wollen. Sondern wir haben gezeigt, wie positiv | |
Veränderung aussehen kann.“ Best practice, aber was kann die Partei im Bund | |
davon lernen, wo die Probleme größer sind als ein paar Kilometer Eisenbahn? | |
An der Stelle klingt Held noch wolkig: „Die Grünen müssen weg vom weißen, | |
akademischen Hauptstadtklientel und hin zu den 99 Prozent, die sich nicht | |
gehört fühlen.“ | |
Der Bruch: Die Nachricht vor knapp einem Jahr überrascht sie: Die | |
Bundesspitze um Svenja Appuhn und Katharina Stolla [4][tritt aus der Partei | |
und der Grünen Jugend aus], mit ihr die Führungsebene vieler | |
Landesverbände. Mit diesen Leuten verbindet Held eigentlich vieles. Auch | |
sie wollen zu den Frustrierten, [5][auch sie setzten auf niedrigschwellige | |
Angebote wie Hausaufgabenhilfe]. Die Enttäuschung über den Mitte-Kurs der | |
Grünen in der Ampel ist beim Parteinachwuchs ohnehin Konsens. „Ich teile | |
die Kritik an politischen Entscheidungen der Grünen in der Asylpolitik oder | |
zum Kohleabbau in Lützerath“, sagt Held. | |
Dennoch bleibt sie, wie die meisten anderen aus Mecklenburg-Vorpommern. Das | |
hat vor allem zwei Gründe: Erstens bricht man in Greifswald nicht so leicht | |
mit den eigenen Leuten wie in Berlin, Hamburg oder Frankfurt am Main. Man | |
findet nämlich nicht so leicht neue. Zweitens bleibt für Held das Klima | |
zentral, während die Abtrünnigen am Ende lieber über den Klassenkampf | |
redeten – und der ist mit den Grünen wirklich nicht zu führen. „Ich bin | |
geblieben, weil ich noch Hoffnung habe in die Partei“, sagt Held. „In der | |
Opposition gibt es die große Chance, dass die Grünen zu ihren Grundwerten | |
zurückkehren.“ | |
Der Vergleich: Ruhe kehrt bekanntlich auch nach dem Bruch nicht ein. Bei | |
den Grünen ärgern sich die einen [6][über provokante Posts der neuen | |
Nachwuchschefin Jette Nietzard], die anderen über die teils brachiale | |
Kritik an ihr, wieder andere über beides. Auch innerhalb der Grünen Jugend | |
gibt es Debatten, selbst innerhalb der Doppelspitze: Nietzards | |
Co-Vorsitzender Blasel war mit ihren Auftritten nicht glücklich, heißt es | |
in der Partei. Dass er sich nun ebenfalls zurückzieht, habe auch mit diesem | |
Konflikt zu tun. Eine Mehrheit hätte er für eine zweite Amtszeit wohl | |
bekommen. Er habe aber einen klaren Schnitt machen wollen, damit der | |
Verband den Konflikt hinter sich lassen kann. | |
Das Anliegen teilt offenbar auch Held. Sie hat eigentlich eine freundliche | |
Art, am Hafen in Greifswald spricht sie fröhlich und laut. Als es aber um | |
Nietzard und die Debatten der letzten Monate geht, antwortet sie nur noch | |
knapp. „Es ist legitim, inhaltlich anderer Meinung zu sein als Jette. Die | |
Grüne Partei hätte sich aber solidarisch verhalten müssen“, sagt sie. Ob | |
sie Nietzards Stil richtig oder falsch fand, will sie nicht sagen. Auf die | |
Frage, was sie anders machen wolle, antwortet sie, lieber über ihre eigenen | |
Ziele sprechen zu wollen: „Ich werde mit Jette verglichen, weil wir beide | |
junge blonde Frauen sind. Das ist auch eine Frage von Sexismus: Als Mann | |
gäbe es diesen Vergleich wohl nicht.“ | |
Der Stil: In Parteikreisen jedenfalls spricht man über Held wesentlich | |
wohlwollender als über die Amtsinhaberin. Ein angenehmer Mensch sei sie, | |
bei den Grünen in Mecklenburg-Vorpommern genieße sie einen guten Ruf. Es | |
gehe ihr um die Sache, mit ihr könne man reden. Menschen aus der Grünen | |
Jugend, die es gut mir ihr meinen, beschreiben sie als verbindende Person. | |
„Mein Ziel ist es nicht, bequem zu sein. Mein Ziel ist es, in der Politik | |
etwas zu verändern“, sagt Held selbst zwar am Hafen noch. Aber auch, dass | |
sie auf die Parteiführung zugehen möchte. „Es wäre meine Aufgabe als | |
Bundessprecherin, da in einen konstruktiven Austausch zu kommen.“ | |
Vielleicht passt es also und der Grünen Jugend steht zur Abwechslung mal | |
wieder ein bisschen Kontinuität bevor. Falls nicht: Irgendwann will Held | |
sowieso noch ihr Studium beenden. Ihre Wohnung in Greifswald kündigt sie | |
nicht, sie vermietet sie nur unter. | |
11 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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