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# taz.de -- Jakob Blasel und Grüne Jugend: Provokant bedächtig
> Grüne Jugend, da hat man Jette Nietzard auf dem Schirm. Und der
> Co-Vorsitzende? Der arbeitet nicht ganz ungern im Hintergrund, wo auch
> viel los ist.
Bild: Provokation ist ihm auch nicht fremd: Jakob Blasel in der Bundesgeschäft…
Berlin taz | Vom Erdgeschoss der Grünen-Zentrale, wo die Grüne Jugend ihre
Büros hat, steigt Jakob Blasel hoch zur Dachterrasse. Die Partei hatte die
Terrasse lange an ein Hotel vermietet, zusammen mit den oberen Etagen. Aber
dann machte das Hotel dicht, und die Flure, die an die frische Luft führen,
wurden zum Lost Place: Kreuz und quer steht die Einrichtung, die der Optik
zufolge seit den Siebzigern im Einsatz war. Hier müsste man auch mal was
machen. Immerhin, das ist nicht Blasels Problem.
Im Oktober 2024 wurde der 24-Jährige aus Schleswig-Holstein Chef der Grünen
Jugend. Die Öffentlichkeit hat davon bislang nicht viel mitbekommen. Taucht
Blasel mal in den Medien auf, dann oft im Nebensatz: als Kollege von Jette
Nietzard, der Co-Vorsitzenden, die in letzter Zeit mit ihrem
„ACAB“-Pullover (Kürzel für „All cops are bastards“) Schlagzeilen mac…
Ein Foto des Pullis postete sie auf Instagram; [1][prominente Grüne
distanzierten sich tagelang] von derlei Benehmen. Im Hintergrund bescherte
die Sache auch Blasel ordentlich Extraarbeit. Beim Dachterassentreffen
Mitte Juni hat sich zumindest der größte Wirbel gelegt. Er wirkt halbwegs
entspannt, als es losgeht mit dem Gespräch über seine Baustellen.
Baustelle 1: Er muss seinen Verband wieder zum Laufen bringen. Deswegen ist
er überhaupt hier. Vor einem Jahr sahen seine Pläne für die nähere Zukunft
ausnahmsweise mal übersichtlich aus: eine Reise nach Südamerika, dann das
Studium beenden. Bis er an einem Septemberabend mit einer Bekannten in der
Kneipe saß und die Nachricht las: Der [2][amtierende Vorstand der Grünen
Jugend tritt geschlossen zurück] und verlässt die Partei. „Scheiße“, habe
er gesagt. „Kann es sein, dass ich das jetzt machen muss?“ Blasel hatte
Erfahrung, war seit der Schulzeit politisch hyperaktiv. 2018, da war er
schon Mitglied bei den Grünen und bei Greenpeace, organisierte er in Kiel
einen der ersten Schulstreiks von Fridays for Future in Deutschland. Er
wurde einer der führenden Aktivisten der Bewegung, machte nach dem Abi aber
auch ein Praktikum bei einer Grünen im Bundestag und kandidierte 2021
selbst fürs Parlament. Als er damit scheiterte, arbeitete er im Hintergrund
weiter bei den Fridays und beim Parteinachwuchs mit.
Nach dem Knall im Herbst 2024 gab es bei der Grünen Jugend kaum noch Leute
mit seinem Know-how. Der abtrünnige Vorstand hatte mit seinem Abgang zwar
keinen Massenexodus ausgelöst. Insgesamt gingen laut Verband nur rund 200
von 16.000 Mitgliedern. Unter ihnen waren aber fast alle Kader der
Parteijugend. Allein von 50 Teilnehmer*innen eines Schulungsprogramms
für die interne Bildungsarbeit traten 49 aus. Einer blieb zwar, aber der
hatte nur als Fotograf an den Workshops teilgenommen. „Es ist krass, was an
Verbandsentwicklung verloren gegangen ist“, sagt Blasel. „Wir haben jetzt
immer noch ganz schön viel Aufbauarbeit.“
## Entfremdung in der Ampelzeit
Baustelle 2: Er muss den Nachwuchs und die Partei wieder zusammenbringen.
Bei denen, die voriges Jahr gegangen sind, war die Entfremdung zwar am
ausgeprägtesten. Sie lasen Marx und folgten irgendwann nicht mehr der
klassischen Logik, Forderungen des linken Parteiflügels einfach etwas
vehementer vorzutragen. Sie entwickelten Forderungen, die mit den Grünen
nicht mehr viel zu tun hatten. Am Ende beteiligten sie sich nicht einmal
mehr an parteiinternen Debatten. Aber: Auch viele von denen, die geblieben
sind, misstrauen ihrer Partei. In der Ampel trugen die Grünen zig
Kompromisse mit, die gegen grüne Überzeugen verstießen. Die
Asylrechtsverschärfungen, die Räumung von Lützerath, die Abkehr von der
Kindergrundsicherung. „Insgesamt hat man auf eine Mitte abgezielt, die es
so gar nicht mehr gibt. Das hat viele Leute, auch viele junge Leute,
abgeschreckt“, sagt Blasel.
In Teilen hat sich die Entfremdung nach dem Ampelbruch fortgesetzt. Im
Bundestagswahlkampf hat Robert Habecks Zehnpunkteplan zur
Sicherheitspolitik, der noch mehr Abschiebungen vorsah, das Misstrauen der
Grünen Jugend verstärkt: Denen da oben ist egal, was wir an der Basis
wollen. Umgekehrt sah sich die andere Seite durch den öffentlichen Protest
der Jungen in ihren Vorbehalten bestätigt: Unverschämt, den eigenen
Kandidaten zu beschädigen.
Und doch gibt es Bemühungen, die Kluft zu verkleinern. Bei Blasel und
Nietzard war zu Beginn ihrer Amtszeit der Vorsatz zur Versöhnung klar
vernehmbar. Auch jetzt sagt Blasel: „Wir suchen immer wieder das Gespräch
und rufen im Verband dazu auf.“ Es laufe sogar schon besser. „In
verschiedenen Kreis- und Landesverbänden merkt man, dass auch Leute auf uns
zugegangen sind, die eigentlich nicht viel mit der Grünen Jugend anfangen
können.“ Über Nacht löse sich das Problem aber nicht. Schon gar nicht,
könnte man hinzufügen, nach Tagen, an denen Jette Nietzard etwas gepostet
hat.
Baustelle 3: Bessere Drähte in die Partei sind für Blasel kein Selbstzweck.
Anders als seine Vorgängerinnen glaubt er noch, die Zukunft der Grünen
beeinflussen zu können. Und die ist im Moment vollkommen offen.
Nachdem Habeck und Baerbock die erste Reihe verlassen haben, liegt die
Partei zwar nicht dermaßen am Boden wie vorigen Herbst die Grüne Jugend.
Aber sie steckt so tief in der Krise wie seit Jahren nicht. Die
Umfragewerte stagnieren auf Bundestagswahlniveau. Wer künftig den Ton
angibt, ist unklar. Und auch, [3][welche Strategie die Grünen einschlagen
werden].
## Wer wollen die Grünen sein?
Die Grünen müssten sich so langsam entscheiden, wer sie in den nächsten
Jahren sein wollen, sagt Blasel. Wofür wirbt er? „Was ich echt feiere an
den Grünen, sind der Weitblick und die Ausgewogenheit“, sagt er. „Manchmal
übertragen sie ihre Differenziertheit aber auf Bereiche, in denen das
überhaupt nicht angebracht ist.“ Wo es in der Gesellschaft klare
Interessenkonflikte gebe – bei den ungleichen Einkommen oder der Frage, wer
für die Klimakrise zahlt –, müssten sich die Grünen für eine Seite
entscheiden.
Den Standpunkt hat Blasel clever eingeleitet. So läuft der gängige Einwand
aus dem rechten Flügel, der linke Flügel wolle wohl die Linkspartei
kopieren, ins Leere. Bei manchen Realos findet Blasel mit seiner Art auch
Gehör. Aber es ist nicht so, dass seine Strategiebeiträge schon in der
Breite der Partei wahrgenommen würden – oder gar darüber hinaus. Das Bild
der Grünen Jugend prägt eben seine Co-Vorsitzende.
Baustelle 4: Ihren „ACAB“-Pullover postete Nietzard an einem Freitag. Der
Shitstorm gegen sie nahm zwei Tage später Fahrt auf. Blasel saß zu Hause
auf der Couch und wollte mit Freunden Karten spielen, als er die Reaktionen
sah. Ab da sei der freie Sonntag vorbei gewesen, und er habe am Telefon
gehangen.
Im Gespräch vermeidet Blasel direkte Kritik an Nietzard und ihren
provokanten Social-Media-Auftritten – der „ACAB“-Post war nicht ihr erste…
Den Eindruck vieler Grüner, es gebe einen Spalt zwischen ihnen beiden, will
er nicht befeuern. „Die Reaktionen auf den Post waren komplett absurd“,
sagt Blasel. Mit Austrittsforderungen an Nietzard hätten die Grünen „tiefe
Spießigkeit“ demonstriert.
## Provokation ist ihm nicht fremd
Auch ihm ist das Prinzip, im Sinne von mehr Aufmerksamkeit zu provozieren,
nicht fremd: für Demos die Schule schwänzen, das Fridays-Kozept. In einem
Interview erzählte Blasel einmal, dass er die Lautsprecheranlage seines
Gymnasiums gekapert habe, um für den ersten Schulstreik zu werben. Auch so
was macht man nicht, um dem Rektor zu gefallen.
Dass es zwischen ihm und Nietzard Unterschiede im politischen Stil gibt,
bestreitet er aber nicht. Auf die Frage nach seinem radikalsten
Kleidungsstück fällt ihm keins ein. Und für künftige Provokationen
formuliert er diplomatisch den Vorsatz: „Wir müssen die Aufmerksamkeit, die
wir dadurch bekommen, stärker in eine politische Debatte lenken und solche
Debatten dann auch besser vor- und nachbereiten.“
Kalkulierter provozieren, damit es auch was bringt. Das passt zum Bild, das
sein Vorvorgänger Timon Dzienus über ihn zeichnet: „Jakob durchdenkt alles,
er bricht nichts übers Knie.“
Baustelle 5: Für jemanden in seiner Position ist Blasel erstaunlich
uneitel, vielleicht zu uneitel. „Für sich genommen nicht“, antwortet er auf
die Frage, ob es ein Problem für ihn sei, dass sich seine Co-Vorsitzende so
viel bekannter gemacht hat als er.
Vielleicht hat das mit seinen Bewegungswurzeln zu tun. Für die Fridays saß
er zwar auch in Talkshows, doch schon dort gab es mit Luisa Neubauer eine
Frau, die mehr Beachtung fand. Generell galt bei den Fridays: Gesichter
sollen nicht wichtiger werden als Argumente.
## Den Uniabschluss will er nachholen
Wer als Person nicht auffällt, dringt aber auch mit seinen Argumenten nicht
durch. Blasel ahnt das, selbst wenn er bislang die anderen Baustellen
wichtiger nahm. „Ich habe schon das Bedürfnis, auch als politischer Mensch
mehr in Erscheinung zu treten“, sagt er. „Aber das ist jetzt nichts, was
mich Tag und Nacht beschäftigt, sondern etwas, das ich für mich vorbereite
und dann mache.“ Ein Thema, das er demnächst setzen möchte, hat er immerhin
schon: der Kampf gegen Gaskonzerne wie RWE und Shell. „Die ruinieren
unsere Zukunft, mit denen will ich mich anlegen“, sagt er.
Vier Monate bleiben ihm dafür bis zum Ende der ersten Amtszeit. Wird er
wiedergewählt, bekommt er noch mal zwölf. Für ein drittes Jahr darf er laut
Satzung nicht mehr kandidieren. Das sei ihm aber auch ganz recht, sagt er.
Es gibt ja auch noch die beiden alten Baustellen, die er nach dem
Kneipenabend im September unvollendet ließ. Zumindest den
Universitätsabschluss will er nachholen.
30 Jun 2025
## LINKS
[1] /ACAB-Gate-von-Jette-Nietzard-/!6087138
[2] /Nach-Ruecktrittswelle-bei-den-Gruenen/!6035815
[3] /Ricarda-Lang-ueber-Strategie-der-Gruenen/!6074555
## AUTOREN
Tobias Schulze
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