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# taz.de -- Nazi-Symbole in Göttinger Wohnhaus: Übermalen gestattet
> Das Göttinger Amtsgericht kassiert einen Strafbefehl: Die
> Staatsanwaltschaft hatte das Übermalen von Nazi-Symbolen als
> Sachbeschädigung bewertet.
Bild: Antifa ist Handarbeit: Übermalung eines Hakenkreuzes 2016 in Berlin
Göttingen taz | Nach einem Beschluss des Amtsgerichts Göttingen ist das
unbefugte Übermalen von Hakenkreuzen nicht zwangsläufig eine Straftat. Im
konkreten Fall lehnte das Gericht den Erlass eines Strafbefehls gegen Ezra
Rudolph vom Göttinger Bündnis gegen rechts ab (Az. 37 Cs 301 Js 8329/25).
Die Staatsanwaltschaft hatte die nonbinäre Person beschuldigt, „unbefugt
das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht
nur vorübergehend verändert zu haben“ und gegen sie wegen Sachbeschädigung
eine Geldstrafe in Höhe von 500 Euro beantragt.
Anlass für die Strafverfolgung war eine zuvor angekündigte Aktion des
Bündnisses gegen rechts im vergangenen Dezember. Mehrere Dutzend
Aktivist:innen, unter ihnen auch Rudolph, hatten [1][im Treppenhaus des
Göttinger Wohnkomplexes Iduna-Zentrum] Hakenkreuze mit lila Farbe
überstrichen.
Rund 80 dieser Nazi-Symbole waren wenige Monate zuvor mutmaßlich von einem
41-jährigen Mann an die Wände geschmiert worden. Das Iduna-Zentrum ist eine
von drei Göttinger Immobilien, die es in den vergangenen Jahren wegen
äußerst schlechter Wohnbedingungen immer wieder auch in die bundesweiten
Schlagzeilen geschafft haben.
## Verwaltung ließ nur provisorisch übermalen
Das Bündnis gegen rechts hatte die in Hannover ansässige Hausverwaltung
aufgefordert, die Hakenkreuze zu entfernen. Die Firma ließ die Symbole
jedoch nur provisorisch und in ihrer Form übermalen, wenn auch mit weißer
statt schwarzer Farbe. Sie blieben als solche sichtbar.
Gegenüber dem Göttinger Tageblatt hatte die Hausverwaltung seinerzeit
erklärt, dass für die vollständige Entfernung der Hakenkreuze ein Beschluss
der Eigentümer notwendig sei: „Eine endgültige und fachgerechte Beseitigung
der Schäden erfordert umfangreiche Sanierungsarbeiten, die mit erheblichen
Kosten verbunden sind.“ Eine so aufwendige Maßnahme müsse bei einer
Eigentümerversammlung abgestimmt werden.
Im Dezember schritt das Bündnis gegen rechts zur Tat. Mehr als 60 Tage habe
man abgewartet, dass die Hausverwaltung die rund 80 Symbole fachmännisch
entfernen würde, so Ezra Rudolph. „Wir sind dann zu dem Entschluss
gekommen: Am Ende muss man es doch selber machen.“
Die Hausverwaltung stellte nach der Aktion des Bündnisses Ende Januar
Strafanzeige gegen Rudolph wegen Sachbeschädigung. Die Staatsanwaltschaft
erließ den Strafbefehl – und benannte gleich vier Polizeizeugen, welche die
übermalten Hakenkreuze begutachtet und als Sachbeschädigung identifiziert
hätten: „Aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatentschlusses überstrichen
Sie diverse Wände mit deckender violetter Wandfarbe. Dieses war Ihnen
seitens der Hauseigentümer nicht gestattet.“
## Kein hinreichender Tatverdacht
Das kam beim Bündnis gegen rechts nicht gut an: „Wir waren irritiert, dass
es der Hausverwaltung angesichts der offensichtlich prekären Zustände im
ihr anvertrauten Wohnkomplex nicht unangenehm war, über Monate an der
Anzeige festzuhalten“, sagt Ezra Rudolph. „Ebenso irritiert waren wir, dass
die Staatsanwaltschaft augenscheinlich weder Kosten noch Mühen gescheut
hat, den Vorwurf zu verfolgen.“
Nach Auffassung des Amtsgerichts lag hinsichtlich des Vorwurfs kein
hinreichender Tatverdacht vor. Rudolph habe lediglich bereits bestehende
Beschmierungen an den Wänden übermalt, heißt es im Gerichtsbeschluss. Wenn
sich wie im vorliegenden Fall das Gesamterscheinungsbild aber nicht „im
rechtsgutspezifischen Sinne“ verändere, sei natürlich auch der Tatbestand
der Sachbeschädigung nicht verwirklicht.
Dies gelte umso mehr, wenn „offensichtlich verfassungswidrige Inhalte, die
vom Eigentümer zu entfernen waren, Gegenstand der (ersten) Beschmierung
sind“. In einem solchen Fall sei auch das Recht der Angeschuldigten auf
freie Meinungsäußerung betroffen.
Das Bündnis gegen rechts begrüßt den Richterspruch. Die Entscheidung des
Amtsgerichts stärke nicht nur das eigene Vertrauen in den Rechtsstaat und
seine Kontrollinstanzen, so Rudolph. „Sie stärkt auch alle Menschen, die
Verfassungsfeindlichkeit im öffentlichen Raum nicht dulden und Zivilcourage
zeigen. Wir hoffen, dass die Entscheidung des Göttinger Amtsgerichts auch
in ähnlichen Fällen richtungsweisend sein wird.“
Rudolphs Anwalt Sven Adam findet es „fast ein bisschen bedauerlich, dass
das Amtsgericht diese natürlich richtige Entscheidung getroffen hat“. Er
hätte in einer mündlichen Verhandlung „viele Fragen an die Hausverwaltung,
die Wohnungseigentümergemeinschaft und die Staatsanwaltschaft gehabt“,
sagte Adam der taz: „Wer in einem Haus, in dem viele Menschen mit
Migrationshintergrund leben, metergroße Hakenkreuze nicht entfernt und
stattdessen Menschen verfolgen lässt, die [2][die Hakenkreuze] übermalen,
gehört selbst auf die Anklagebank.“
14 Sep 2025
## LINKS
[1] /Polizeieinsatz-in-Goettinger-Wohnkomplex/!6000718
[2] /SPD-Politiker-gesteht-Schmiererei/!6103730
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Göttingen
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Kolumne Der rechte Rand
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