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# taz.de -- Klimafreundlich bauen: Wie ein Münchner Architekt den Holzbau vora…
> Sein Fach kümmere sich nicht genug darum, ob ihre Ideen auch
> funktionieren, ärgert sich ein Münchner Architekt. Also organisiert er
> ein Experiment.
Bild: Die Holzfassade wird komplett auseinander- und dann wieder zusammengebaut…
14 Leute, ein bisschen Werkzeug, ein Tag Zeit und die Attrappe einer
hölzernen Fassade mit Fenster – mehr braucht Rainer Vallentin nicht, um der
Zukunft des Bauens einen Schritt näherzukommen. Kein Forschungsantrag,
keine Berichtspflichten, keine Abrechnung von Forschungsgeldern. „Es geht
einfach schneller“, sagt Vallentin, sie hätten durch diese schlanke
Organisation den Aufwand mehr als halbiert.
„Zirkuläres Bauen“ nennt sich das, was der Münchner Architekt Vallentin
einfach mal ausprobiert hat. Dabei soll so gebaut werden, dass sich die
Bestandteile eines Gebäudes weiterverwenden lassen, wenn es saniert oder
abgerissen werden muss. Das spart Ressourcen und Energie. Der Bau von
Gebäuden hat im Jahr 2020 – neuere Daten gibt es nicht – den Ausstoß von
44,6 Millionen Tonnen CO2 verursacht, etwa sechs Prozent der deutschen
Gesamtemissionen.
Um diesen Anteil zu verringern, müsste insgesamt weniger gebaut werden, vor
allem aber muss die Nutzung von Beton reduziert werden, denn bei dessen
Herstellung entsteht viel CO2. Dafür ist zirkuläres Bauen nützlich: Kann
man gebrauchte Gebäudeteile wiederverwenden, muss man weniger neuen Beton
gießen.
Vallentin treibt es noch etwas weiter: Er will zirkulär bauen, aber aus
Holz. „Ist doch klar, dass wir aufhören müssen, das Holz in schnöden
Heizungen zu verbrennen“, sagt er. „Holz sollte stattdessen in möglichst
langlebigen Konstruktionen und damit als Kohlenstoffspeicher eingesetzt
werden.“
Für sein Experiment habe er eine einfache Konstruktion gewählt, sagt er.
Bei bis zu drei Geschossen könnte man die Fassade als tragende Wand nutzen,
bis zur Hochhausgrenze als nicht tragende Fassade.
## „Damit hatte ich den Salat“, erinnert sich Vallentin
Vallentin arbeitet als Architekt in München. Er war frustriert davon, dass
Architekt*innen zwar viel über „kreislaufgerechte Architektur“
sprechen, aber „wenn dann nachgefragt wird: Habt ihr einmal ausprobiert
eure Konstruktionen zu zerlegen und wieder aufzubauen, dann kam nur die
Antwort: nein, haben wir nicht.“ Also beschloss er, [1][das Experiment zu
organisieren].
Die Suche nach Unterstützung erwies sich deutlich einfacher als gedacht,
berichtet er. „Völlig überraschend haben alle angefragten Firmen,
Handwerker und Fachplaner spontan ja gesagt und dass sie das Ganze als
Eigenleistung finanzieren würden“, erinnert er sich. „Damit hatte ich den
Salat.“
Als Versuchsobjekt ließ er von einem Handwerksbetrieb ein 1:1-Modell einer
Fassade mit Fenster anfertigen, ein sogenanntes Mockup. „Wenn das Bauteil
zirkulär konzipiert ist, kann zum Beispiel der Fenstertausch gut ausgeführt
werden, ohne viel kaputtzumachen“, erklärt er.
Das Fassadenteil besteht aus Holz und ist mit Stroh gedämmt. Und dieses
Fassadenteil sollten die Handwerker*innen dann auseinander- und wieder
zusammenbauen.
## Das Problem mit den Klammern
Aber schon bei der Entwicklung der Fassade ergaben sich Probleme.
Normalerweise werden Klammern verwendet, um die Hölzer in der Fassade mit
der Bekleidung zu verbinden. Klammern lassen sich aber nicht problemlos
wieder lösen.
Also hat Vallentin für das Mockup Schrauben verwendet. „Dadurch braucht man
für die Verbindungen zehn- bis 20-mal länger“, sagt er. In der Vorfertigung
könne man dafür Schraubautomaten einsetzen. Aber das zeige eben auch, wie
wichtig es ist, bloße Konzepte in der Praxis auszuprobieren.
„Für mich war das alles neu“, erzählt Benedikt Schwarz. Er wurde bei der
Firma Huber & Sohn zum Zimmerer ausgebildet und hat noch während der Lehre
beim Experiment mitgemacht. „Es war sehr interessant, man hat gemerkt, dass
es keinen ganz genauen Fahrplan gab“, berichtet er. „Das Experiment hat mir
auf jeden Fall einen Denkanstoß gegeben.“
Zuerst entfernten die Handwerker mit bloßen Händen, Akkubohrern und Messern
die Fenster aus dem Fassadenteil und legten die Dämmung frei. Das Stroh
sogen sie dann mit einer Art umgedrehtem Laubbläser aus der Form und
sammelten es in einem riesigen Plastiksack.
## Stroh als Dämmmaterial besonders klimafreundlich
Die Dämmung macht Vallentins Entwurf besonders klimafreundlich: Stroh ist
leicht zu kriegen, wächst schnell nach und bindet währenddessen CO2.
[2][Als Dämmmaterial] bleibt dieses CO2 gespeichert und gelangt nicht
wieder in die Atmosphäre. „Zudem kann das Stroh immer wieder verwendet
werden, sofern es nicht feucht wird“, sagt Vallentin.
Bei Vallentins Experiment mussten Fachleute [3][das Stroh entfernen]. Zum
Schluss zerlegten die Handwerker den Rahmen der Fassade vollständig. Und
dann fügten sie alles wieder zusammen: den Rahmen, per „Einblasung“ die
Strohdämmung, später Verkleidung und Fenster. Alles in allem dauerte das
Experiment etwa acht Stunden.
## Platzproblem noch nicht gelöst
„Wir wollten zeigen, dass man die Fassade wirklich komplett
auseinanderbauen kann“, sagt Vallentin. Das habe geklappt. Vor allem hätten
sie gemerkt, wie viel Platz sie beim Auseinanderbauen brauchen. „Die
Logistik des zirkulären Bauens und der Zeitbedarf für das Zerlegen,
Zwischenlagern und Aufbereiten sind daher definitiv kostenrelevant“, sagt
Vallentin.
Sein Experiment hat der Architekt aufwendig dokumentiert: mit Protokollen,
Fotoreihen und einem Film. An einem Bericht sitzt er noch, auch zwei
Fachartikel sollen entstehen. Anhand der Auswertung will Vallentin unter
anderem eingrenzen, wie viel Förderung nötig wäre, um ein ganzes Haus so zu
bauen.
Denn das ist ein Problem, das so ein Experiment nicht lösen kann:
Zirkuläres Bauen mit Holz ist teuer. „Am Ende entscheidet sich alles an der
Frage: Welches Preisschild hängt da dran?“, sagt Vallentin. Schrauben
dauere länger als Klammern, Stroh sei teurer als die übliche
Mineralwolldämmung, teilweise erforderten Elektroanschlüsse Umstellungen.
Gegenrechnen müsse man Einsparungen beim Material, die erst in 100 Jahren
anfallen. „Damit da etwas in Gang kommt, bräuchte es wahrscheinlich doch
Anreize in Form von Förderungen oder klare Vorschriften“, sagt der
Architekt.
## Zirkuläres Bauen ist auch Anpassung an den Klimawandel
Wenn Vallentins Entwurf bei Bauprojekten zum Einsatz kommen würde, wäre
viel gewonnen: Im Gegensatz zu konventionellem Holzbau hat er kein massives
Bauelement entworfen, sondern ein Holzgerippe, in dessen Hohlräume Dämmung
eingebaut wird. Holz wurde so teilweise mit Stroh ersetzt. Das verbessere
den Wärmeschutz, sagt Vallentin, und spare Rohstoffe.
Wenn das Haus nach Passivhaus-Standards gebaut und mit einer Wärmepumpe
geheizt werde, seien die Bauteile „ingesamt klimapositiv“, sagt Vallentin.
Das heißt, das Gebäude bindet mehr CO2, als Bau und Betrieb ausstoßen.
„Überhaupt ist doch klar, dass wir über kurz oder lang auch aufhören
müssen, das Holz in schnöden Heizungen zu verbrennen“, ärgert sich
Vallentin. „Holz sollte stattdessen in möglichst langlebigen Konstruktionen
und damit als Kohlenstoffspeicher eingesetzt werden.“ Denn echte CO2-Senken
sind die Gebäude erst, wenn das verbaute Holz und Stroh nachgewachsen ist –
je langlebiger die Gebäude sind, desto besser ihre CO2-Bilanz also.
Das schützt nicht nur das Klima, es ist auch eine Anpassung an die
fortschreitende Erderhitzung. Denn: „Wegen des Klimawandels muss der Wald
umgebaut werden. Es ist völlig unsicher, wie die künftige Verfügbarkeit von
Bauholz aussieht.“
14 Dec 2025
## LINKS
[1] /Tiny-Forest-in-Berlin/!6049499
[2] /Ausstellung-ueber-klimagerechtes-Bauen/!6050907
[3] /Wiederaufbau-in-der-Ukraine/!6092662
## AUTOREN
Jonas Waack
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