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# taz.de -- Grüner Stahl: „Nicht jede Firma braucht grünen Wasserstoff“
> Das Aus für grünen Stahl aus Bremen und Eisenhüttenstadt ist nicht das
> Ende der Öko-Transformation der Branche, sagt der Transformationsforscher
> Philipp Verpoort.
Bild: Der Stahlkonzern ArcelorMittal hat in Eisenhüttenstadt 40 Millionen Euro…
taz: Herr Verpoort, der Stahlkonzern ArcelorMittal hat entschieden, seine
[1][deutschen Werke in Bremen und Eisenhüttenstadt nicht auf grünen Stahl
umzurüsten] und damit auf Subventionen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zu
verzichten. Überrascht Sie das?
Philipp Verpoort: Nein. ArcelorMittal hatte sich bereits kritisch zu
wasserstoffbasiertem Stahl in Deutschland geäußert. Der zweitgrößte
Stahlproduzent weltweit ist international breit aufgestellt und will jetzt
Anlagen in Frankreich bauen, wo Strom aus Kernkraft dank Subventionen
billiger ist. Auch in den USA hat ArcelorMittal bereits in Direktreduktion
investiert, einen Teilprozess der „grünen“ Stahlerzeugung, bei dem Eisenerz
zum Beispiel mit Wasserstoff zu Eisenschwamm reduziert wird. Neben den
Beihilfen und Strompreisen spielen für Stahlunternehmen wie ArcelorMittal
Verfügbarkeit und Kosten von strombasiertem Wasserstoff eine zentrale
Rolle. Dieser wird in [2][Deutschland sehr teuer] sein, weil es hier nicht
die besten Produktionsvoraussetzungen dafür gibt. Wenn wir ihn per Schiff
importieren, wird er ähnlich teuer sein. Andere Standorte in Europa wie
Spanien, Portugal oder Skandinavien, aber auch Australien, Namibia oder
Chile verfügen über mehr Sonne oder auch mehr Wind und sind daher viel
besser geeignet.
taz: Deshalb raten Sie – anders als Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck
sich das vorgestellt hatte –, beim Stahl teilweise auf den Import von
fossilfreien Energien und Rohstoffen nach Deutschland zu verzichten. Was
heißt das?
Verpoort: Das heißt, dass Deutschland grüne Stahlvorprodukte einführt und
sich auf die hohe Wertschöpfung in der industriellen Weiterverarbeitung
konzentriert. So könnte die hiesige Industrie statt wie heute Eisenerz
künftig grünes Roheisen importieren und in Deutschland zu Stahl
verarbeiten. Man würde dann in Briketts gepresstes Roheisen einführen, das
relativ leicht per Schiff transportiert werden kann. Diese Technologie ist
heute schon verfügbar. Die Alternative wäre der Aufbau einer teuren
Wertschöpfungskette für Wasserstoffimporte per Schiff – beruhend auf
Verflüssigung und Regasifizierung für Flüssigwasserstoff oder auf der
chemischen Synthese und dem Cracking von Ammoniak.
taz: Und warum sollte man die Eisenbriketts nach Deutschland importieren
und nicht direkt vor Ort in Frankreich oder Spanien weiterverarbeiten?
Verpoort: Viele Eigenschaften eines Stahls werden bei der
Weiterverarbeitung bestimmt. Also beim Stahlkochen, beim Walzen und bei der
Oberflächenbehandlung. Diese Eigenschaften sind für einige Abnehmer
besonders wichtig: Volkswagen und die Salzgitter AG haben deshalb enge
Beziehungen zueinander. Diese Beziehungen sind auch für andere Abnehmer
wertvoll. Man könnte sie erhalten, wenn man in Deutschland Stahl
produziert, aber das klimaneutrale Roheisen anderswo erzeugt und
importiert.
taz: In den Stahlwerken von ArcelorMittal in Bremen und Eisenhüttenstadt
gibt es jeweils rund 3.000 Beschäftigte. Wie viele von ihnen werden dann
noch gebraucht?
Verpoort: Für die konkreten Standorte ist das schwierig zu bewerten. Aber
insgesamt könnte man mit der richtigen Strategie viele Arbeitsplätze in der
deutschen Stahlindustrie erhalten – auch ohne Direktreduktionsanlagen. Laut
Branchenangaben arbeiten heute nur 5 Prozent der Mitarbeitenden in der
deutschen Stahlbranche am Energie fressenden Hochofen, um das Roheisen zu
erzeugen, 95 Prozent in der Weiterverarbeitung. ArcelorMittal betont,
weiterhin über den Bau von Elektrolichtbogenöfen an den deutschen
Standorten nachzudenken. Damit könnte man sogenannten Sekundärstahl aus
Stahlschrott erzeugen und die Kreislaufwirtschaft ankurbeln. Später könnte
man die Produktion umstellen, indem grünes Roheisen importiert und
weiterverarbeitet wird. In Bremen und Eisenhüttenstadt ist also noch nicht
alles verloren.
taz: Besteht mit ihrem Konzept nicht die Gefahr, sich im Stahlsektor auf
neue, möglicherweise schwierige Abhängigkeiten von anderen Staaten
einzulassen?
Verpoort: Ja. Allerdings sind wir heute schon beim Eisenerz von Importen
aus Kanada, Südafrika, Brasilien und Schweden abhängig. Und auch beim
Import von Wasserstoff würden wir uns von Dritten abhängig machen. Meine
Empfehlung ist auch nicht, sämtliche Produktionskapazitäten für
Roheisen mit Wasserstoff außerhalb Deutschlands aufzubauen. Aber: Man
sollte ein realistisches Ziel haben. Alle Standorte der deutschen
Stahlindustrie vollständig auf Wasserstoff umzustellen, erscheint zunehmend
unrealistisch. Es lohnt sich schlicht nicht, die gesamte Stahlindustrie
in Deutschland mit Wasserstoff zu transformieren.
taz: Die Chemieindustrie benötigt auch viel Wasserstoff, wenn sie eines
Tages klimaneutral produzieren will. Wie soll das funktionieren?
Verpoort: Ganz ähnlich wie beim Stahl. Vorprodukte wie grüner Ammoniak oder
grünes Methanol könnten importiert werden, um deren energieintensive
Produktion mit Wasserstoff in Deutschland zu vermeiden.
taz: Waren die Hoffnungen, die in Wasserstoff als [3][Zaubermittel für die
industrielle Transformation] hin zur Klimaneutralität gesetzt wurden,
übertrieben?
Verpoort: Teilweise, ja. Vorangegangene Regierungen haben unterschätzt, wie
hoch die Kosten sind und wie schwierig der Aufbau der Infrastruktur und der
Wertschöpfungsketten bei Wasserstoff ist. Es scheint, als ob zu lange eine
Wasserstoffstrategie verfolgt worden wäre, die sich an der heutigen
Erdgaswirtschaft orientiert. Aber es wird nicht funktionieren, in den
Strukturen von heute zu verharren und nur den Energieträger zu wechseln.
Mittlerweile ist klar, dass Wasserstoff in bestimmten Anwendungen keine
Rolle spielen wird, etwa für die Gebäudewärme oder für Autos.
taz: Um wie viel Prozent muss das Ziel reduziert werden, wie viel
Wasserstoff eingesetzt werden soll?
Verpoort: Die Stahlindustrie sollte bisher „Ankerkunde“ für die
Wasserstoffwirtschaft sein. Allein 20 Terawattstunden (TWh) Wasserstoff
müsste man in den nächsten Jahren bereitstellen, um die ersten vier
Transformationsprojekte zu versorgen. Weil davon jetzt ArcelorMittal
ausfällt, reduziert sich diese kurzfristige Nachfrage auf etwa 13,5 TWh.
Wollte man die deutsche Stahlindustrie vollständig transformieren, bräuchte
man etwa 70 TWh Wasserstoff. Plausibler erscheint mir, nur etwa ein Drittel
der gesamten Produktionskapazität umzustellen. Außer den Mengen ist auch
die räumliche Anordnung entscheidend. Wenn große Abnehmer ausbleiben,
sollte der Bauplan des Wasserstoff-Kernnetzes angepasst werden. Außerdem
braucht nicht jedes kleine Unternehmen einen Wasserstoffanschluss.
30 Jun 2025
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## AUTOREN
Kai Schöneberg
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