| # taz.de -- Feministisches Theater von Neslihan Arol: Dieses Lachen ist ansteck… | |
| > Meddah, das osmanische Erzähltheater, war lange Männern vorbehalten. | |
| > Neslihan Arol hat es sich angeeignet und zeigt, wie befreiend Komik sein | |
| > kann. | |
| Bild: Neslihan Arol auf der Bühne | |
| Im Bavul Café in Berlin-Kreuzberg tritt Neslihan Arol auf die Bühne. Ein | |
| schelmisches Lächeln huscht über ihr Gesicht, bevor sie sich zum kleinen | |
| Tisch beugt und ein Teelicht anzündet. „Das Licht ist ein Symbol für die | |
| Mitmenschlichkeit der Meddahs“, sagt sie. In der Tradition bedeutet es | |
| dreierlei: ein helles Herz zu haben, das von der Liebe zu den Menschen | |
| erleuchtet wird; selbst zu brennen, um die Gemeinschaft zu erhellen; und | |
| den Zuhörenden mit Wohlwollen zu begegnen. | |
| Früher griff Arol dafür sogar zu einer alten Gaslampe – als Hommage an die | |
| Vergangenheit. Doch einmal schlug die Flamme gefährlich über den Glasrand | |
| hinaus. Arol improvisierte, zeigte darauf und sagte: „Guck, wie groß meine | |
| Mitmenschlichkeit ist!“ Das Publikum lachte. Seitdem bleibt es bei der | |
| harmlosen Kerze im Glas. | |
| An diesem Abend steht sie aufrecht in der Mitte der kleinen Bühne. Ihre | |
| Bewegungen sind groß, fast übertrieben, die Hände tanzen mit den Worten. | |
| Ein violettes Tuch umrahmt ihr Gesicht, bunte Perlen baumeln herab, das | |
| weite, gemusterte Oberteil schwingt bei jeder Geste, und die schwarzen | |
| Stiefel blitzen matt im Licht. Mit einem O auf den Lippen schlüpft sie in | |
| die erste Figur. | |
| Ihre Stimme springt von Tonlage zu Tonlage, mal poltert sie tief, mal | |
| wispert sie hell, mal spricht sie Deutsch, mal Türkisch, dazwischen fällt | |
| ein Satz auf Englisch. In Sekunden entstehen Dutzende Charaktere, alle | |
| verkörpert von ihr allein. „Das Schöne ist“, sagt Arol, „manchmal verst… | |
| die Leute gar nicht, warum sie lachen. Aber Lachen ist ansteckend, es | |
| springt über, ohne Erklärung.“ | |
| ## Lebendig, politisch, komisch | |
| Es ist Meddah – das osmanische Erzähltheater, das über Jahrhunderte Männern | |
| vorbehalten war. Neslihan Arol aber macht es zu ihrem Feld: lebendig, | |
| vielsprachig, komisch und politisch. Ein feministisches Experiment, das sie | |
| mitten in Berlin auf die Bühne bringt. | |
| „Ich mag es, die Leute zu überraschen“, erzählt sie in einem Kreuzberger | |
| Cafe, wo sie Kaffee bestellt und über ihre Kunst redet. Sie lacht viel, | |
| lacht hell, steckt an. Zwischendurch schiebt sie kleine Witze ein, wie aus | |
| dem Ärmel. „Manchmal denke ich, Komödie ist wie eine Probe für | |
| Veränderung“, sagt sie. „Wir lachen, wenn etwas plötzlich anders ist, wenn | |
| eine Gewohnheit gebrochen wird. Das zeigt uns, dass es auch anders gehen | |
| könnte.“ | |
| Geboren und aufgewachsen in Istanbul, war Neslihan Arols Weg zur Bühne | |
| alles andere als geradlinig. Ihr Vater warnte sie eindringlich vor dem | |
| Schauspiel, malte das Bild eines unsicheren Lebens, das im schlimmsten Fall | |
| „auf der Straße“ enden würde. Also entschied sie sich zunächst für den | |
| sicheren Weg, studierte Chemieingenieurwesen, machte ihren Abschluss, | |
| arbeitete einige Jahre in dem Beruf. Doch die Sehnsucht nach der Bühne ließ | |
| sich nicht verdrängen. Heimlich finanzierte sie ein Masterstudium in | |
| Schauspiel und schrieb ihre erste große Arbeit über Clowns – mit einer | |
| explizit feministischen Perspektive. | |
| „Das war für mich unglaublich befreiend“, sagt sie. | |
| ## Raum jenseits der Zuschreibungen | |
| Denn gerade in den klassischen Theaterstücken fand Arol kaum Rollen, in | |
| denen [1][Frauen komisch sein durften.] Weibliche Figuren sind tragisch, | |
| edel, verzweifelt – aber selten witzig. Der Clown eröffnete ihr einen Raum | |
| jenseits dieser [2][engen Zuschreibungen:] eine Figur, die stolpern, | |
| scheitern, übertreiben und lächerlich sein darf – und gerade darin ihre | |
| Kraft entfaltet. Für Arol wurde der Clown zum feministischen Werkzeug: Er | |
| durchbricht Konventionen, [3][legt Machtverhältnisse bloß] und macht | |
| sichtbar, dass auch Frauen laut, grotesk, unperfekt und dabei befreiend | |
| komisch sein können. | |
| 2014 kam sie nach Berlin, um ihre Promotion zu beginnen – über Komik, | |
| Clowns, Stand-up und Meddah. „Acht Jahre hat es gedauert“, sagt sie. Eine | |
| Qual sei es gewesen. Dann fügt sie lachend hinzu: „Immerhin: Jetzt kann ich | |
| bei Projektanträgen ‚Dr. Arol‘ schreiben. Das sieht beeindruckend aus.“ … | |
| dass Meddah traditionell ein Männerfach war? Das stört sie nicht – im | |
| Gegenteil. „Ich wollte sehen, was passiert, wenn ich diese alte Form aus | |
| weiblicher Perspektive spiele“, erklärt sie. | |
| Und so steht [4][Neslihan Arol] in Berlin auf der Bühne, zwischen Sprachen, | |
| Kulturen und Traditionen. Sie erzählt, lacht, kippt vom Ernst ins Komische | |
| und wieder zurück – eine Frau, die Clownsein studiert hat, um zu zeigen, | |
| dass auch Humor befreiend sein kann. Die kleine Flamme, die sie zu Beginn | |
| entzündet hat, begleitet sie durch den Abend, Symbol für die Geschichten, | |
| die im Moment entstehen und durch das Erzählen lebendig werden. | |
| Arol beugt sich darüber, pustet die Kerze aus und verabschiedet sich: „Ich | |
| hoffe, beim nächsten Mal mit neuen Geschichten zurückzukehren.“ Der Applaus | |
| brandet auf, und für einen Augenblick bleibt nur schwach der Geruch von | |
| Wachs in der Luft. | |
| 29 Sep 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Humor-als-Hilfe/!6006394 | |
| [2] /Ein-Gespraech-ueber-Geschlechterrollen/!6113256 | |
| [3] /Die-Tueten-aus-der-Verwaltung/!6054111 | |
| [4] https://www.instagram.com/neslihan_arol | |
| ## AUTOREN | |
| Derya Türkmen | |
| ## TAGS | |
| Theater | |
| Clowns | |
| Kreuzberg | |
| Feminismus | |
| Kneipe | |
| Henrik Ibsen | |
| Kurden | |
| Flüchtlingssommer | |
| Theater | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Volksbühne in Berlin: Wie eine Lupe auf das menschliche Tun | |
| Das Theaterduo Vinge/Müller eröffnet mit acht Stunden von Ibsens „Peer | |
| Gynt“ die Spielzeit der Berliner Volksbühne. Und das ist nur der erste Akt. | |
| Kurdisches Filmfestival Berlin: „Konflikte sind nicht unser Fokus“ | |
| Festivalleiterin Nubar Hamamci und Koordinator Rizan Abdulaziz erklären im | |
| Interview, warum es mehr zeigt als kurdisches Kino. | |
| Migration nach Deutschland: Willkommen in der deutschen Realität | |
| Gern gesehen hierzulande war immer nur, wer sich anpasst und nützlich ist. | |
| Das galt für die Gastarbeitergeneration wie für die Geflüchteten nach 2015. | |
| Kurdisch-Deutsche Regisseurin: Im Theater ist alles möglich | |
| In Diyarbakır hat Mizgin Bilmen „Jîn – Jinên Azad“ inszeniert. Es ist … | |
| radikal-poetisches Stück über Widerstand und Stärke kurdischer Frauen. |